Onlinesucht löst sich auf

... aber vorerst nur als Verein

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Der Selbsthilfeverein für Onlinesüchtige (HSO e.V.) hat seine Arbeit Ende April eingestellt. Aber nicht aus Mangel an vermeintlich Netz-Abhängigen, sondern weil es bis zuletzt an öffentlicher Unterstützung gefehlt hat. Gegründet wurde die Gruppe im Juni 1999 von Gabriele Farke, die sich damals selbst als onlinesüchtig eingestuft und sich auch in zwei Büchern, "Sehnsucht Internet" und "Hexenkuss.de", mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Auf der offenbar recht gut frequentierten Netzseite des Vereins www.onlinesucht.de fanden Ratsuchende unter anderem Adressen von Beratungseinrichtungen, und wer wollte, konnte dort sein eigenes Suchtverhalten anonym beschreiben.

Dass der Selbsthilfeverein bis zuletzt keine finanzielle Unterstützung erhielt, hat nicht nur bürokratische Gründe. Auch der Begriff Onlinesucht selbst ist unter Ärzten und Wissenschaftlern strittig. Eine körperliche Abhängigkeit einschließlich schwerer Entzugssymptome wie beispielsweise bei Alkoholabhängigkeit wurde bei Netz-Junkies bisher noch nicht festgestellt, genauso wenig wie ein geistiger Abbau oder eine "alkoholische" Wesensveränderung. Genauso umstritten ist die Frage, ob Depressionen die Folge oder die Ursache von suchtähnlicher Nutzung des Internet seien.

Unstrittig ist jedoch, dass zu extensives Netzsurfen schon vorhandene private Probleme noch weiter verschärfen kann. Das beweisen nicht nur die zahlreichen privaten Bekenntnisse bei onlinesucht.de. So führt beispielsweise nach Meinung von Dr. Kimberley Young vom Center for Online Addiction die Internet-Abhängigkeit oft zum Bruch zwischenmenschlicher Beziehungen. Ehen, Beziehungen, Eltern-Kind-Bindungen und enge Freundschaften würden in den meisten Fällen durch exzessive Internet-Sitzungen zerstört. "Internet-Abhängige verbringen in ihrem Leben weniger Zeit mit reellen Menschen als mit ihrem Computer," meint Young.

Aber auch hier fragt man sich, was wohl zuerst da war: Das Ei oder die Henne? Also: Die gestörten Beziehungen oder die Internet-Sucht? Gleichwohl eines ist sicher: Es besteht ein wachsendes Bedürfnis nach Beratung im Umgang mit dem Medium - und dabei ist es völlig egal, ob die Onlinesucht nun tatsächlich pathologisch ist oder bloß als Phantom in den Köpfen aufgeregter Medienkritiker herumspukt.