Orgasmus im Gehirn der Frauen

Nach Gehirnscans gleicht ein Orgasmus einem epileptischen Anfall

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Mit den bildgebenden Verfahren der Gehirnscans wie dem funktionellen Magnetresonanztomografen (fMRI) kann man viel machen. Für Neurowissenschaftler sind Scans zu einem Spielzeug geworden, um zu sehen, bei welchen Aktivitäten welche Gehirnareale aktiv sind - und auch, um die Gedanken lesen zu können. Direkt kann die Aktivität freilich nicht beobachtet werden, gemessen wird mit der fMRI eigentlich die Durchblutung von Gehirnarealen, wobei man annimmt, dass diejenigen stärker durchblutet und damit mit mehr Sauerstoff versorgt werden, die gerade aktiv sind.

Mit Gehirnscans kann man Verbindungen zwischen allen möglichen kognitiven Aktivitäten und Hirnarealen herstellen und so versuchen, eine Topographie und ein Netzwerk zu erstellen. Schon seit Jahren untersucht Barry Komisurak von der Rutgers University, was ein Orgasmus bei Frauen im Gehirn bewirkt. Festgestellt hat er beispielsweise schon, dass selbst Frauen, die schwere Rückenmarksverletzungen haben, bei denen also keine Signale vom Unterleib über das Rückenmark in das Gehirn gelangen können, einen Orgasmus erleben können. Vermutlich besteht eine direkte Verbindung zum Gehirn über den Vagusnerv.

Zumindest konnte Komisurak an Gehirnscans erkennen, wie sich der Orgasmus bei diesen Frauen, die sich klitoral stimulierten, im Gehirn aufbaut, welche Areale, z.B. Hypothalamus, Amygdala, die Hirnrinden oder der Cerebellum, aktiviert werden und wie er wieder abflaut. Interessant ist, dass dabei das Hormon Oxytocin freigesetzt wird, das Vertrauen und Glück bewirken soll, aber auch Schmerzen dämpft. Sowohl die direkte elektrische Stimulation des Vagus-Nervs als auch die der Vagina produziert bei Menschen und Ratten über die Freisetzung des Hormons eine Unterdrückung von Schmerzen. Der Neurowissenschaftler hat eine Technik des Neurofeedback entwickelt, so dass die Menschen ihre Gehirnaktivität kennen lernen und verändern können: "Wir verwenden den Orgasmus als ein Mittel, um Lust herzustellen. Wenn wir lernen können, wie man die Lustzentren des Gehirns aktivieren kann, dann kann dies viele Anwendungen haben."

In einer anderen Studie konnte Komisurak wenig überraschend zeigen, dass die Stimulation der Vagina, der Klitoris oder der Brustwarzen unterschiedlich im Gehirn repräsentiert wird, also dass unterschiedliche Areale im genitalen sensorischen Kortex aktiviert werden, was bislang nur beim Mann nachgewiesen worden war.

Beim Orgasmus wird das Gehirn überflutet. Bild: Screenshot/Guardian

Jetzt hat sein Team, wie Komisurak während der Jahrestagung der Society of Neuroscience berichtete, anhand neuer Gehirnscans einer 54-jährigen Mitarbeiterin und Sexualtherapeutin, die sich im Rahmen ihrer Promotionsarbeit selbst stimuliert hat, anhand einer fünfminütigen fMRI-Aufnahme beobachtet, dass der weibliche Orgasmus das Gehirn ähnlich in Aufwallung bringt wie ein epileptischer Anfall. Anhand eines Videos lässt sich erkennen, wie die Gehirnaktivität während der Annäherung zum Orgasmus zunimmt, ansonsten unverbundene Areale aktiviert und dann wieder erlischt. Angeblich soll beim Orgasmus jedes Gehirnareal aktiviert sein. Ausgangspunkt ist der genitale Bereich des sensorischen Kortex, der bei der Stimulation zuerst aktiv wird, dann wird gewissermaßen das limbische System wach, das mit Gefühlen verbunden ist. Aufgrund der Muskelkontraktion werden während des Orgasmus das Cerebellum und der frontale Kortex aktiv, mit der Aktivierung des Hypothalamus wird Oxytocin ausgeschüttet, wodurch der Nucleus accumbens aktiviert wird, der mit Lust und Belohnung verbunden ist.

Was lernen wir also? Die Stimulation der Genitalien erzeugt Lust, die mit Gefühlen einhergeht und Belohnung erzeugt, also ein Weiter so! Aber es gibt einen Höhepunkt, ab dem alles wieder zusammenfällt und wahrscheinlich Wiederholung angesagt ist. Das ist die Gehirnmechanik der Sexualität.