Ostukraine: Misstrauensvotum gegenüber Kiew

Wie falsch die Zahlen beim Referendum auch sein mögen, in der Ostukraine sieht man Kiew und damit die Interessen des Westens skeptisch

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Ja, natürlich, das Referendum in Donezk und Lugansk war nicht legitim, es muss auch keineswegs anerkannt werden. Aber es sollte denen zu denken geben, die angeblich für die Freiheit und Demokratie eintreten. Offenbar sind große Teile der Bevölkerung in der Ostukraine mit der durch den Maidan inthronierten Regierung in Kiew nicht einverstanden und haben auch Angst vor dem, was aus dem Westen kommen könnte, ohne deswegen, wie die Sprachregelung in den westlichen Medien heißt, schon unbedingt prorussisch sein zu müssen (Ost-Ukraine: Unabhängigkeits-Referendum trotz Militärterror).

Ob die Zahlen, die von den Anti-Maidan-Aktivisten über die Beteiligung am Referendum und dessen Ergebnis verbreitet werden, nun stimmen oder nicht, so ist doch allen einigermaßen neutralen Beobachtern klar geworden, dass die Strategie der Kiew-Regierung und des Westens, alle Oppositionellen im Osten als von Russland gesteuert, als Terroristen und Kriminelle darzustellen, falsch ist. Wenn man immer Moskau vorwirft, nicht im 21. Jahrhundert angelangt zu sein, so trifft dies auch auf westliche Politiker und viele Medienvertreter zu. Die Lage ist, wie immer, komplizierter, um in ein Gut-Böse-Schema gepresst werden zu können.

Viel zu lange wurde darauf verzichtet, einen nationalen Dialog in der Ukraine zu beginnen. Schuld daran waren wohl weder die Menschen in der Ostukraine noch Moskau, sondern die militanten nationalistischen Kräfte der Maidan-Bewegung, die auch die Bemühungen der EU um eine friedliche Lösung ins Leere laufen ließen. Mühsam wurde zwischen den damaligen Oppositionsparteien und der Janukowitsch-Regierung mit der Hilfe der drei EU-Außenminister und dem Beisein eines russischen Gesandten ein Abkommen vereinbart, das einen geordneten Übergang garantiert hätte. Die Maidan-Bewegung brachte dies auf dem Hintergrund der weiterhin unaufgeklärten Todesschüsse zu Fall. Das führte zur wenig demokratisch legitimierten Übergangsregierung und zur Übernahme der USA, die massives Interesse daran zeigt, den Konflikt mit Russland zuzuspitzen. Warum hat sich Europa so leicht und kritiklos entmachten lassen? Das Abkommen war nicht schlecht, es forderte Kompromisse von allen Seiten und hatte eine "Roadmap" für eine Reform, was heute nicht vorhanden ist.

Für einen einigermaßen neutralen Beobachter, der weder Putin- noch Obama- oder Merkel-Versteher ist, erscheint das Getue in Washington, Brüssel und Moskau als pubertäres Spiel, das in Kiew jedoch als gefährliches Zündeln. Schon längst hätte man einen Dialog zwischen den relevanten Kräften in der Ost- und Westukraine starten können, eine stärkere Föderalisierung, von Kiew lange abgelehnt, wäre sowieso gut. Die Bändigung der westukrainischen radikalen Kräfte hätte der russischen Propaganda und den Ängsten in der Ostukraine viel Wind aus den Segeln genommen, aber offenbar war man weder in Kiew noch im Westen an einer Deeskalierung interessiert, für die man einseitig Russland verantwortlich machte, als gebe es die Bevölkerung in der Ostukraine nicht, die nicht unbedingt das will, was der Maidan und der Westen verordnet und für richtig hält.

Scheinheilig ist die Reaktion. Wer wirklich an einer Deeskalisierung und der Integrität der Ukraine interessiert wäre, würde das Referendum als Warnsignal verstehen müssen, das auch zuvor schon von Umfragen bestätigt wurde. Die Menschen wollen sich nicht unbedingt von der Ukraine loslösen, aber sie beharren auf Selbstbestimmungsrechten, also auf Demokratie. Wenn man sie jedoch allesamt als Terroristen und Kriminelle bezeichnet und behandelt, treibt man sie in die Arme Russlands und in die Revolte.

Warum die Merkels und Steinmeiers hier zusehen und nur wieder neue Sanktionen gegen Russland androhen, anstatt mäßigend auf Kiew einzuwirken, bleibt ein Geheimnis oder bedeutet schlicht Unterwürfigkeit gegenüber der US-Regierung, der offenbar egal ist, wer in der Ukraine an die Macht gelangt, Hauptsache es richtet sich gegen Russland.