Palästinenser gegen Krieg im Irak

Solidarisierung mit den Leidensgenossen

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Jede Woche gehen Tausende von Palästinensern gegen den Krieg im Irak auf die Straße. "Saddam, bombardiere Tel Aviv mit der Chemiewaffe!", rufen sie als Aufforderung an den irakischen Präsidenten. Bilder Saddam Husseins werden mitgeführt. So jedenfalls der Eindruck aus dem Gros der internationalen Medien. Erinnerungen an den ersten Golfkrieg vor zwölf Jahren werden wach. Damals solidarisierte sich Jassir Arafat mit Saddam Hussein, Palästinenser bejubelten die irakischen Raketen auf ihrem Weg nach Israel auf ihren Dächern.

"Wo sollen sie während der Ausgangssperre auch sonst jubeln", bemerkte schon damals ein inzwischen verstorbener israelischer Kommunist und brachte das palästinensische Dilemma auf den Punkt. In aussichtsloser Lage begrüßen Menschen jede Möglichkeit zur Abhilfe. Von den "arabischen Bruderländern" war man schon lange enttäuscht, der Nahost-Friedensprozess in Madrid brachte noch keine Ergebnisse.

Heute erwarten sich viele Palästinenser auch von Verhandlungen mit Israel nichts mehr. "In den sieben Jahren des Friedens hat Israel im Westjordanland noch schneller Land enteignet und Siedlungen gebaut als in den über zwanzig Jahren davor", erklärte Murad Gh. in der Kleinstadt Zair bei Hebron. Dort demonstrierten am Sonntag Hunderte von Schülern gegen die sich immer weiter ausbreitende jüdische Siedlung am Ortsrand. Saddam-Bilder oder irakische Fahnen wurden aber nicht mitgeführt. "Natürlich fühlen wir uns mit den Menschen im Irak verbunden", so der 17-Jährige, einer der Ältesten, auf Nachfrage. "Ihnen steht jetzt dasselbe bevor wie uns. Sie werden von einer übermächtigen Armee bedroht, dürfen sich nicht wehren und werden später unter Besatzung leben." Wenig später trieben israelische Soldaten die Kinder mit Stahlkugeln und Tränengas auseinander.

In Ramallah protestierten zur selben Zeit auch etwa 500 Menschen. "Eine Frau hatte ein Saddam-Plakat dabei", erinnert sich Manar Kawasmeh, eine Demonstrantin. "Und sofort stürzten sich alle Fotografen auf sie. Wir anderen spielten gar keine Rolle mehr." Sie denkt, dass die Saddam-Unterstützerin nicht einmal etwas über den irakischen Präsidenten erzählen könnte. "Das war eine ganz normale Frau, nicht eine aus den Organisationen." Sie selbst weiß auch nicht viel über den Irak und über Saddam Hussein nur, dass er Giftgas gegen seine eigene Bevölkerung einsetzte.

"Aber die irakische Bevölkerung sollte ihre politische Führung selbst bestimmen dürfen. Die USA setzen ihre Haltung mit Gewalt durch, in Palästina wie im Irak. Dort sind sie der Meinung, dass die Menschen nach zehn Jahren Embargo und vielen Toten ihre Soldaten als Befreier begrüßen. Hier in Palästina wollen die USA, dass wir Frieden mit Israel schließen, obwohl Landenteignung, Liquidierungen und Häuserzerstörungen ungebrochen weitergehen."

Die Palästinensische Autonomiebehörde hielt sich mit Kritik am Krieg bisher zurück, rückte am Dienstag aber den Zusammenhang mit der eigenen Situation in den Mittelpunkt. "Der Friedensprozess darf wegen des Krieges nicht verzögert werden", hieß es in Bezug auf die Verlautbarungen aus Washington, die "Straßenkarte zum Frieden" erst nach Kriegsende vorzulegen.

Der Vergleich mit dem Irak steht auch im Zentrum der Debatten in den Tageszeitungen. Da Resolutionen des UN-Sicherheitsrates von Israel regelmäßig ungestraft verletzt werden, empfindet man es als "Doppelmoral", wenn im Irak Beschlüsse in- oder außerhalb der Vereinten Nationen mit militärischer Gewalt durchgesetzt werden.

'Demokratie' wird in der arabischen Welt mit Arroganz, Raketen und Blut gleichgesetzt.

Ein Kommentator

Nach Molotow-Cocktails auf zwei britische Banken in Ramallah zirkulierten die Täter ein Flugblatt, in dem sie zu Anschlägen auf "amerikanische, britische, niederländische, australische und spanische Interessen" aufriefen, die kriegführenden Länder im Irak. Ein anschließendes Treffen von Nichtregierungsorganisationen mit Vertretern aller Parteien konnte die Herkunft des Flugblattes nicht klären. Aber alle distanzierten sich von dem Aufruf, auch die Islamisten, an die der Wortschatz des Flugblattes erinnert. Seither ist jedenfalls nichts mehr passiert. Entweder die Täter konnten intern überzeugt werden oder haben selbst eingesehen, dass sie für ihr Vorgehen keine Unterstützung erhalten.

Peter Schäfer, Ramallah