Panik in Manhattan

Wie der "Imperator Rex" Kaiser Wilhelm II. die "amerikanische Gefahr" bekämpfen wollte

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"Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen!"

Bei diesem inoffiziellen, aber wohl wortgetreuen Passus der berüchtigten Hunnenrede vom 27. Juli 1900 sinnierte Kaiser Wilhelm II. zwar martialisch über die "gelbe Gefahr". Doch in den imperialen Großmachtsträumen des Monarchen gab es nach neuesten Erkenntnissen noch ganz andere Gelüste, als nur die Chinesen wider jedes Kriegsrecht zu bestrafen.

Terrorangriff auf New York

Auf Grund der Visionen kaiserlicher Geoglobalpolitik sollen seit Jahren Pläne vorbereitet worden sein, die Vereinigten Staaten von Amerika zu attackieren. Nach jetzt im Militärarchiv Freiburg ausgegrabenen und von Henning Sietz in der Zeit vorgestellten Dokumenten wollte der Kaiser seine historische Mission, die Welt am deutschen Wesen genesen zu lassen, auch durch einen "Terrorangriff" auf New York und Boston bekräftigen. Maßgeblich sollte mit diesem kühnen Vorstoß die US-Regierung gezwungen werden, deutsche Interessen in Amerika und im Pazifik anzuerkennen und überdies der Panamakanal unter deutsche Kontrolle fallen.

Kaiser Wilhelm II. war ein selbstinszenatorischer Globalist mit dem fatalen Hang zum "Draufgängertum". Immerhin war ihm klar, dass sein spätes Interesse, weltweit deutsche Kolonien und Militärbasen zu begründen, vor allem durch die Amerikaner gekontert werden konnte. Der kaiserlichen Chefsache nahm sich ab 1897/1898 Marineleutnant Eberhard von Mantey an. Sein Plan beinhaltete eine schnelle Attacke auf die "Vereinigten Staaten von Nordamerika" mit dem Ziel, Amerika einen Vertrag aufzuzwingen, der Deutschland freies Spiel im Pazifik und Atlantik geben sollte. Manteys Vorstellungen wichen im Zuge ihrer Reifung nicht allzu sehr von aktuellen fundamentalistischen Terrorstrategien ab: "In New York wird die größte Panik bei dem Gedanken an ein mögliches Bombardement ausbrechen", soll er ausweislich der jetzt vorliegenden Dokumente prognostiziert haben.

Sollte es nicht nur eine spätmoderne, sondern auch eine historische Achse des Bösen gegeben haben, da die Nazis rund vier Jahrzehnte später auch den USA einen biblischen Endkampf um die Weltherrschaft liefern wollten? Sind Hitler und die Wehrmacht mehr als in nur einem Sinne genuine Erben der Großmachtsfantasien des Regenten gewesen? Für die Beziehung des letzten deutschen Kaisers zum Dritten Reich gibt es einige Belege. 1931/32 empfängt der Kaiser Göring in Haus Doorn in der Provinz Utrecht und spekuliert dabei auf eine Wiedererweckung der Monarchie. Der Monarch gratuliert 1940 dem vormaligen Obergefreiten Hitler zur Einnahme von Paris, aber der untersagt gleichzeitig seinen Offizieren den Kontakt zum Kaiser. Hitler lässt ihn nach seinem Tod am 04.Juni 1941 mit militärischen Ehren in Doorn beisetzen.

Der kaiserlichen Globalstrategie wurde auch in Europa ein Bein gestellt

Die militärische Bezwingung der USA blieb in der Planungsphase stecken. Zwar ließ man bis 1906 nicht davon ab, und der Fürst, der sein kaiserliches Gottesgnadentum auch im Sinne persönlichen Regiments interpretierte, rüstete kräftig auf. 1899 wurde er Marineoberbefehlshaber und der Reichstag entschied ein Jahr später nach den Plänen von Alfred von Tirpitz, die kaiserliche Flotte zu verdoppeln. Aber der Plan einer transatlantischen Attacke, vor der Generalstabschef Alfred von Schlieffen warnte und die er mit logistischen Einwänden zu verschleppen wusste, wurde nicht mehr fortgeführt, als die USA ihre eigenen Seekräfte gewaltig verstärkten.

Während der Venezuela-Krise 1903 fährt der amerikanische Admiral Dewey eine Flotte mit 54 Kriegsschiffen auf, die potenzielle Feinde das Fürchten lehren sollte. Deutschland zieht aus den Verstärkungen der US-Navy nicht den richtigen Schluss, die Monroe-Doktrin offiziell anzuerkennen, demnach europäische Einmischungen auf den amerikanischen Kontinent nicht hingenommen werden. Aber nicht nur das militärische Erstarken Amerikas führt zum Ende des antiamerikanischen "Operationsplan III". Die kaiserliche Globalstrategie stößt sich zunehmend an der Verschärfung der politischen Probleme vor der eigenen Haustür. Mit der "Entente cordiale" zwischen Frankreich und Großbritannien 1904 und Russlands Ablehnung eines Bündnisses mit Deutschland verfinstern sich die Aussichten des Kaisers auf eine globale Großmachtpolitik. Schließlich wird auch 1906 die erste britische Dreadnought vom Stapel gelassen und der Seekrieger Tirpitz hat auch trotz des "Zweiten Flottengesetzes" von 1900 keine militärtechnologisch plausible Antwort darauf.

Golo Mann bescheinigte dem realitätsverlorenen Narzissten, der mit seinem schneidigen, undiplomatischen Säbelrasseln eine Verkrüppelung kompensierte, die so schlecht zum preußischen Kriegerideal passte: "Es musste immer Sonntag sein im Deutschen Reich, sensationelle Neuerwerbungen, Kampf gegen irgendwen, Sieg über irgendwas." Aber dann wurde es Nacht und die Amerikaner kamen...