Paris-Berlin: Neuanfang oder Verhärtung?

Foto Merkel: Sebastian Zwez / CC BY 3.0 DE. Foto Macron: Claude Truong-Ngoc / CC BY-SA 3.0

Wird der Wahlsieg Macrons gegen die rechtsextreme Le Pen eine Neuausrichtung der europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik ermöglichen?

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An diesem Montag soll ein Neuanfang zwischen Berlin und Paris gesucht werden. Nur eine knappe Woche nach seinem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen absolviert der neue französische Präsident Emmanuel Macron seinen Antrittsbesuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Die Dringlichkeit, mit der Paris eine Neuausrichtung der Beziehungen mit Berlin sucht, wird allein an dem Umstand deutlich, dass Marcon schon einen Tag nach seiner Vereidigung gen Berlin aufbricht. Sie habe "Respekt vor den großen Aufgaben", vor denen Macron stehe, erklärte Merkel im Vorfeld des Treffens. Beide Länder seien "schicksalhaft miteinander verbunden".

Regierungssprecher Seibert erläuterte, dass Merkel dem französischen Präsidenten Hilfe bei der Umsetzung von "Wirtschaftsreformen" anbieten werde. Außerdem wolle die Kanzlerin mit einem Investitionsprogramm und weiteren Maßnahmen zur Stärkung der Eurozone auf Marcon zugehen.

Tatsächlich können aber diese diplomatischen Nettigkeiten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Macron mit einem umfassenden Katalog an Reformvorschlägen der Eurozone in Berlin aufwarten wird, die vor allem innerhalb der CDU auf große Skepsis stoßen. Die Begeisterung in Berlin, die der Wahlsieg des Liberalen Marcon gegen die rechtsextreme Le Pen ausgelöst habe, sie verflüchtige sich bereits, kommentierte die Frankfurter Rundschau (FR).

"Aktive Konjunkturpolitik" gefällt Merkel und Schäuble nicht

Der neugewählte französische Präsident ist zwar bereit, im gewissen Umfang dem deutschen Vorbild der Agenda 2010 zu folgen und eine neoliberale Deregulierung der Arbeitsmärkte und Steuersenkungen durchzusetzen. Doch zugleich poche der französische Staatschef auch auf eine aktive Konjunkturpolitik, erläuterte die FR, was ihn auf Kollisionskurs zu Kanzlerin Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble bringe:

Vereinfacht lässt sich der Grundsatzkonflikt so beschreiben: Macron will reformieren und mehr Geld ausgeben. Merkel und Schäuble wollen, dass die Euro-Länder reformieren und gleichzeitig sparen.

Frankfurter Rundschau

Der nun erneut aufflammende europapolitische Richtungsstreit zwischen Berlin und Paris erstreckt sich über etliche Problem- und Politikfelder. Neben der Konjunkturpolitik sind es die französischen Initiativen zur Vertiefung der europäischen Integration, die in Berlin Missfallen erregen. Sowohl die Vorschläge zum Aufbau europäischer Wirtschafts- und Finanzministerien wie die Einrichtung eines europäischen Haushalts wurden in Berlin (insbesondere innerhalb der CDU) trotz öffentlicher Lippenbekennntisse überwiegend kühl aufgenommen.

Einen weiteren Streitpunkt bildet die altbekannte Forderung Frankreichs nach Einführung von Eurobonds, mit denen die Zinslast der europäischen Krisenländer gemildert werden solle. Dieser Vorstoß wird von Berlin abgelehnt, wo dieser zinspolitische Ausgleichsmechanismus als eine "Vergemeinschaftung" von Schulden interpretiert wird.

Macron: Keine Schröder-Härte

Bei der neoliberalen Reformpolitik in Frankreich gibt es hingegen einige Übereinstimmungen, da auch Macron auf Steuererleichterungen, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und Sozialkürzungen setzen will. Dennoch betonte der neu gewählte Präsident bereits, dass er nicht derart weit gehen werde wie Berlin mit der Agenda 2010, die unter Kanzler Gerhard Schröder umgesetzt wurde.

Frankreich könne sich am deutschen "Dialog der Sozialpartner" orientieren, so Macron, doch die rabiaten deutschen Hartz-IV-Gesetze mit ihrer weitgehenden Entrechtung von Arbeitslosen lehnte er ab. Zugleich bekräftige Macron seine Kritik am deutschen Neo-Merkantilismus mit seinen extremen Handelsüberschüssen, der mittels einer Beggar-thy-Neighbor-Politik einen massiven Export von Schulden und Arbeitslosigkeit vornimmt.

In diesem Zusammenhang hat der französische Präsident abermals einen Kurswechsel in der deutschen Sozial-, Investitions- und Lohnpolitik gefordert, mit der diese Defizite abgebaut werden sollen. Durch substanzielle Lohnsteigerungen, höhere Investitionen und Sozialabgaben in Deutschland sollen Macron zufolge die deutschen Überschüsse abgebaut werden.

Hier, bei der Forderung nach stärkerer Belebung der Binnennachfrage in Deutschland, stieß Frankreich bislang immer wieder auf Granit - insbesondere bei Finanzminister Schäuble, der dies als eine Schwächung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit interpretiert.