Pentagon entwickelt nichttödliche biologische Waffen

Nach neuen Dokumenten, die das Sunshine Project erhalten hat, steht in Frage, ob das US-Militär damit gegen das Biowaffen-Abkommen und den Patriot-Act verstößt

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Mit den neuen Mitteln der Bio- und Gentechnologie lassen sich theoretisch alle Materialien durch Züchtung von entsprechenden Mikroorganismen zerstören. Metalle, Zement, Fahrbahnbeläge, Kunststoffe - nichts ist sicher. Im Rahmen des Joint Non-Lethal Weapons Program der US-Marine wird auch an der Züchtung solcher Bakterien oder Pilze geforscht, mit denen sich die Kampffähigkeit von Gegnern durch Zerstörung ihrer Ausrüstung oder der Infrastruktur (Straßen, Flugplätze, Treibstofflager) beeinträchtigen ließe. Auch für den Einsatz gegen Menschen sollen nichttödliche Waffen wie psychoaktive Substanzen, Stinkbomben oder elektromagnetische Felder entwickelt werden. Möglicherweise aber verstoßen diese Forschungen gegen internationale Abkommen zum Verbot biologischer oder chemischer Waffen, die auch von der USA vor der Bushregierung ratifiziert wurden.

Eine wichtige Grundlage für den von der US-Regierung geführten Krieg gegen den Terrorismus stellt die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen dar. Terroristen und die "Schurkenstaaten", die ihnen helfen, würden aufgrund der militärischen Überlegenheit der USA nukleare, chemische und auch biologische Waffen für Anschläge entwickeln. Dieses Argument spielt auch für die Pläne eine Rolle, erneut gegen den Irak vorzugehen, da dieser nach Ansicht der USA weiterhin biologische und nukleare Waffen entwickeln soll, dies aber auch durch neue UN-Inspektionen nicht wirklich verhindert werden könne.

Neben vielen anderen internationalen Abkommen, die die US-Regierung blockiert oder nicht ratifiziert hat, ließ sie letztes Jahr auch die Verhandlungen über die Verifizierungsregeln des Biowaffen-Abkommens platzen (Biowaffenkonferenz in Genf gescheitert). Die offiziell geäußerte Kritik war, dass die Verifizierungsprozeduren nicht streng genug gewesen seien und zu viele Schlupflöcher geboten hätten. Vermutlich aber stand die US-Regierung nicht nur unter Druck der Industrie, sondern auch das Pentagon dürfte sich nicht gerne in die Karten schauen lassen, zumal die Beurteilung, ob es sich beispielsweise um Forschung zur Abwehr von Bio-Waffen oder zur Entwicklung von offensiven Waffen handelt, hier besonders schwer zu machen ist. Offiziell haben die USA 1969 ihr Biowaffen-Programm eingestellt.

Wie sich im September letzten Jahres herausstellte, forscht das US-Militär mindestens seit 1997 im Rahmen des bislang geheimen Jefferson-Projekts mit Anthrax-Kulturen, um gegen Angriffe gewappnet zu sein. Zur Entwicklung von Impfstoffen müssen auch die Bakterien gezüchtet werden, gegen die Impfstoffe entwickelt werden, was die Problematik des "dual-use"-Charakters bestätigt (Streit um die Wiederinbetriebnahme eines Labors für die Maul-und-Klauenseuche im Irak). Aus dem (ehemaligen) US-Biowaffen-Programm stammt vermutlich auch der Milzbrandstamm, mit dem im letzten Jahr die Anschläge mit den Briefen ausgeführt wurden. Der Täter ist noch immer nicht identifiziert (Aus US-Militärlabor verschwanden Anthrax-Bakterien).

Bekannt ist ebenfalls seit letztem Jahr, dass das US-Militär an sogenannten nichttödlichen biologischen Waffen forscht, die Materialien angreifen und so eindeutig offensiven Charakter besitzen, auch wenn sie sich nicht gegen Lebewesen richten. Das Sunshine Project hat über das Informationsfreiheitsgesetz (FOIA), das allerdings von der Bush-Regierung nach einer Anordnung von US-Justizminister Ashcroft bei sicherheitsrelevanten Themen von den Behörden sehr viel zurückhaltender befolgt werden kann/soll, zumindest zwei Forschungsanträge von militärischen Labors erhalten, die belegen, dass sich das Pentagon "mit der Entwicklung und Erprobung von Material zerstörenden Mikroorganismen zu offensiven Zwecken" befassen. Das wird auch ausdrücklich in einem der Anträge formuliert:

"Das vorgeschlagene materialwissenschaftliche Forschungsprojekt wird nichttödliche Waffen entwickeln, die speziell darauf ausgerichtet sind, die Mobilität, die logistische Unterstützung und Ausrüstungsprogramme von gegnerischen Truppen vor und während militärischer Operationen in einem Zeitrahmen von Tagen oder Monaten einzuschränken".

Gentechnisch veränderte Mikroorganismen als lebendige Waffen mit eingebautem Selbstmordgen

Die zwei Anträge sind nach dem Sunshine Project jedoch nur die "Spitze des Eisbergs". Insgesamt liegen einem Ausschuss der National Academies of Science (NAS) zur Beurteilung 147 derartiger Anträge vor, die als nichtgeheim eingestuft sind. 77 dieser Anträge beziehen sich auf chemische oder biologische Substanzen. Normalerweise werden die nichtgeheimen Dokumente bei der NAS in einer Bibliothek zur Einsicht hinterlegt, nachdem das Sunshine Project aber 12. März 2002 einen Antrag auf Einsicht gestellt hatte, wurden diese gleich aus Sicherheitsgründen zurück gehalten. Eine Erklärung wurde dem Sunshine Project nicht gegeben.

Die NAS hat bereits einen Bericht verfasst, der aber nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Bislang sind 8 Forschungsanträge bekannt geworden. Neben den Projekten zur Entwicklung nichttödlicher biologischer Waffen sind darunter Vorhaben, zur Abwehr von Angriffen oder Menschenmengen Stinkbomben oder psychoaktive Substanzen einzusetzen, deren Wirkung von der Induzierung des Schlafbedürfnisses bis hin zur Auslösung von Panik oder Halluzinationen reicht.

In einem der Anträge geht es um die Züchtung gentechnischer veränderter Bakterien zur Zerstörung oder zum Abbau von Straßenbelägen und Flugplatzbahnen, von Metallteilen, Mänteln oder Schutzmaterialien bei Waffen, Fahrzeugen und anderen Ausrüstungsgegenständen oder von Treibstoffen. Vorgeschlagen wird insbesondere die Züchtung eines gentechnisch veränderten Pilzes, der ein Enzym herstellt, das schnell Polyurethan abbaut, das häufig in den Farben von Schiffen und Flugzeugen enthalten ist. Damit ließen sich auch Beschichtungen zerstören, die vor der Erkennung durch Radar schützen sollen.

Der "dual-use"-Charakter wird eigens betont, denn diese nichttödlichen biologischen Systeme würde nicht nur entwickelt, um als offensive Waffen eingesetzt zu werden, sondern sie würden auch dazu dienen, die eigenen Materialien durch "Impfstoffe" vor militärischen oder terroristischen Angriffen mit solchen Waffen schützen zu können. Die Herstellung solcher Waffen sei relativ einfach, wird versichert:

"Die wissenschaftliche Kenntnis zur Entwicklung von antimateriellen Technologien auf der Grundlage von bakteriellen Systemen ist in den Labors potenzieller gegnerischer Staaten zweifellos bereits vorhanden, und die Wahrscheinlichkeit einer kurzfristigen Entwicklung solcher Bedrohungen ist groß."

Als Hauptschwierigkeit bei der Entwicklung solcher Waffen wird hervorgehoben, dass die gentechnisch veränderten Organismen bzw. die durch sie hergestellten Substanzen genügend robust sein müssen, um unter den unterschiedlichsten Bedingungen im Feld eingesetzt zu werden. Zugleich sollen sie aber nicht mehr zerstören als die Ziele, auf die sie angesetzt wurden. Daher sollen etwa Bakterien gezüchtet werden, die nach getaner Arbeit wieder absterben und sich nicht weiter verbreiten. Gedacht wird dabei offenbar auch an den Einbau von Selbstmordgenen, mit denen sich die Freisetzung der Bakterien zeitlich und räumlich kontrollieren lassen soll.

Im zweiten Antrag wird vorgeschlagen, gentechnisch veränderte Bakterien, die mit einem patentierten Verfahren zum friedlichen Abbau gefährlicher Stoffe herstellt wurden, zu Angriffswaffen für spezifische Materialien umzubauen. Mit Hitze, Licht, Laser oder Radiofrequenz-Strahlung ließen sich die Abbauprozesse in Gang setzen. Dabei würde ein spezifische Leuchten entstehen, das dazu dienen könne, mit bestimmten Instrumenten den Zerstörungsprozess aus der Ferne beobachten zu können. Überdies könne die Technologie auch als Sensor eingesetzt werden. So könnten Menschen, die in Bereiche unerlaubt eindringen, mit solchen Substanzen angesprüht und später am Leuchten identifiziert werden.

Nicht verboten ist nur Forschung an biologischen Agenten für friedliche oder präventive Zwecke

Bei allen diesen Waffen entsteht die Frage, ob deren Entwicklung und Herstellung nicht internationalen Abkommen wie das Abkommen über das Verbot chemischer Waffen (CWC) oder das über das Verbot biologischer Waffen (BTWC) unterläuft. Das Pentagon argumentiert im Fall der psychoaktiven Substanzen, dass es keine Waffen sein, da sie nur für militärische Einsätze, die nicht kriegerisch sind (also etwa friedenserhaltenden Missionen), verwendet werden sollen. Das ist natürlich ebenso eine Auslegungsfrage wie deren möglicher Einsatz:

"NLWs [non-lethal weapons] such as neural inhibitors, gastrointestinal convulsives, neuropharmacological agents, calmative agents, and disassociative hallucinogens, and sedatives, may be considered 'temporary incapacitants' and therefore defined as toxic chemicals prohibited by the CWC for any purpose. (...) If the Pentagon interprets the term Žtoxic chemicalsŽ to include incapacitating NLWs, such as calmative agents, their utility in MRC [major regional conflict] is questionable. The sole operational utility of chemical-based anti-personnel NLWs will then be in MOOTW [military operations other than war], not MRC." - Coppernoll MA, Maniyama XK (1998): Legal and ethical guiding principles and constraints concerning non-lethal weapons technology and employment.

Als verbotene chemische Stoffe gelten alle Toxine und die zu ihrer Herstellung notwendigen Substanzen, die einen Schaden auf Menschen oder andere Lebewesen ausüben. Über den Einsatz im Krieg, der auf eine bestimmte Weise definiert werden müsste, wird im CWC nicht gesprochen, sondern nur über chemische Waffen: "Any chemical which through its chemical action on life processes can cause death, temporary incapacitation or permanent harm to humans or animals. This includes all such chemicals, regardless of their origin or of their method of production, and regardless of whether they are produced in facilities, in munitions or elsewhere."

Auch bei den Material zersetzenden biologischen Waffen wird stets betont, dass deren Erforschung weder vom BTWC noch von anderen internationalen Abkommen verboten werde. Artikel 1 des BTWC unterscheidet jedoch nicht biologische Waffen, die gegen Lebewesen gerichtet sind, von solchen, die nur Materialien zerstören, sondern verbietet die Herstellung, den Erwerb oder die Lagerung aller biologische Agenten, die nicht friedlichen oder präventiven Zwecken dienen. :

Article I

Each State Party to this Convention undertakes never in any circumstances to develop, produce, stockpile or otherwise acquire or retain:
(1) Microbial or other biological agents, or toxins whatever their origin or method of production, of types and in quantities that have no justification for prophylactic, protective or other peaceful purposes;
(2) Weapons, equipment or means of delivery designed to use such agents or toxins for hostile purposes or in armed conflict.

Auch nach dem im letzten Jahr in Kraft getretenen Patriot Act wurde eine Verschärfung bei den biologischen Waffen vorgenommen:

"Whoever knowingly possesses any biological agent, toxin, or delivery system of a type or in a quantity that, under the circumstances, is not reasonably justified by a prophylactic, protective, bona fide research, or other peaceful purpose, shall be fined under this title, imprisoned not more than 10 years, or both."

Die Forschung des US-Militärs würde also sowohl gegen das Biowaffen-Abkommen als auch gegen nationales Recht verstoßen können. Vermutlich ist das der Grund, vermutet man beim Sunshine Project, warum die eigentlich nichtgeheimen Anträge so schnell von der NAS verschlossen wurden. Zumindest will man wahrscheinlich eine größere Diskussion über die schwierige Entscheidung vermeiden, die dann auch bei der Beurteilung von angeblichen Biowaffen-Programmen in den "Schurkenstaaten" der jüngst erweiterten "Achse des Bösen" zur Geltung kommen würde und die Legitimation für mögliche Angriffe untergraben könnte (Neben Libyen und Syrien rückt einmal wieder Kuba ins Visier der USA).