Personalabbau der besonderen Art

Wer sich gewerkschaftlich organisiert, kann gehen

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Amazon.com gab letzte Woche bekannt, etwa 1.300 Mitarbeiter in den USA zu entlassen, darunter etwa 850 Mitarbeiter aus der Region Seattle, wo das Unternehmen sein Headquarter hat. Die Ankündigung, gerade in Seattle derart viele Mitarbeiter zu entlassen, scheint jedoch im Zusammenhang mit den Handlungen der dortigen Angestellten zu stehen, sich gewerkschaftlich zu organisieren.

Dass Mitarbeiter in den USA ständig dem Hire- und Fire-Risiko ausgesetzt sind, ist nichts Neues, ja es gehört zum amerikanischen Kapitalismus wie bei uns das Mitbestimmungsrecht. Dass jedoch bereits das gewerkschaftliche Organisieren in direkter Folge zu Entlassungen führt, offenbart das mangelnde basisdemokratische Verständnis des Managements in den US-Unternehmen. Getrieben vom Shareholder-Value-Wahn und einem ausufernden Selbstbereicherungstrieb wird von amerikanischen Führungskräften der Wirksamkeits-Fetischismus über die sozialen Bedürfnisse der Mitarbeiter gestellt. Anstatt soziale Innovationen zu suchen, die die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter verbessern, wird die soziale Kluft durch Massenentlassungen weiter forciert.

Es lebe die Diskriminierung!

Mitarbeiter von Amazon.com, die sich bereit erkären zu schweigen und die Firma nicht zu verklagen, bekommen Abfindungen und eine Weiterführung von Krankenversicherungszahlungen zugesagt. Die Gewerkschaften sehen dies schon als einen gewissen Erfolg, da Unternehmen Mitarbeiter nicht ohne bestimmte Extrazahlungen entlassen können. Doch dies ist nur ein geringer Trost für diejenigen, die vor die Wahl gestellt werden, umzuziehen oder ihren Job zu verlieren.

Sollte sich herausstellen, dass ausgerechnet Mitarbeiter ihren Standort verändern oder sogar entlassen werden sollen, die sich gewerkschaftlich organisieren, so ist dies ein weiterer Beweis für die Tatsache, dass Diskriminierung in der angeblich größten Demokratie der Welt zur Tagesordnung gehört. Zwar leugnete der Amazon-Pressesprecher Bill Curry jeglichen Zusammenhang zwischen den Entlassungen und den gewerkschaftlichen Aktivitäten, jedoch hat Amazon.com intern Meetings abgehalten und Mitteilungen versandt, dass eine Gewerkschaft den Teamgeist von Amazon.com zerstören würde. Mittlerweile wurde von Mitarbeiter von Amazon.com, die sich gewerkschaftlich organisieren wollten, beim "National Labor Relations Board" eine Beschwerde wegen der antigewerkschaftlichen Aktivitäten von Amazon.com eingereicht, da Mitarbeiter aufgefordert wurden, sofort die Verteilung von Gewerkschaftsliteratur zu stoppen.

Der ökonomische Alptraum

Ähnliches wie bei Amazon.com spielt sich gegenwärtig bei der Firma für Kosumentenelektronik Etown.com ab. Dort wurden ebenfalls Mitarbeiter, die sich gewerkschaftlich organisieren wollten, gefeuert. Die Botschaft des Managements ist eindeutig: Wer sich gewerkschaftlich organisieren will, hat keine Zukunft bei Etown.

Zwar sind bei Etown wesentlich weniger Mitarbeiter als bei Amazon.com betroffen, jedoch könnte das Beispiel Schule machen. Für Dot-com-Angestellte ist die gewerkschaftliche Organisation die einzige Möglichkeit, sich gegen die kommende Entlassungswelle in der amerikanischen Wirtschaft zur Wehr zu setzen. Auch Mitarbeiter der New Economy haben ein Anrecht darauf, nicht als Freiwild betrachtet zu werden. Längst sind die Zeiten in den USA vorbei, wo man nur in ein Start-Up-Unternehmen eintreten musste, um nach einigen Jahren Millionär zu werden. Nachdem Aktienoptionen als Gehalt sich als Vermögensvernichtungsanrechte erwiesen haben, steigt der Widerstand gegen die neoliberale Ausbeutungsmaschine.

Carl Hall, ein Wissenschaftsjournalist des San Francisco Chronicle betont, dass die Arbeiter des digitalen Zeitalters gute Gründe haben, sich zu organisieren, da sie oft genug überarbeitet, unterbezahlt, ohne Krankheitsabsicherung und ohne Arbeitsplatzsicherheit sind. Die "Schöne neue Welt" der New Economy offenbart sich mittlerweile für die meisten Angestellten als ökonomischer Albtraum, da im Falle einer Entlassung die hohe Verschuldung der Privathaushalte und die geringe Sparquote für viele Menschen direkt in eine soziale Katastrophe münden können.