Perspektivenwechsel

Ändert sich das Bild der Deutschen außerhalb Deutschlands?

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Lange Zeit galten die Deutschen im Ausland als unbelehrbare, allenfalls oberflächlich geläuterte Postfaschisten, deren Humorlosigkeit und Verbissenheit die nachdrücklichste Umerziehung nichts anhaben konnte. Es gibt Anzeichen für eine Änderung der Wetterlage.

Susan Jane Gilman ist eine amerikanische Politologin, die unter anderem mit erzählender Reiseliteratur auf sich aufmerksam gemacht hat. Neulich hat sie auf ihrem Blog eine interessante Kolumne veröffentlicht, in der sie ihr verwandeltes Deutschlandgefühl beschreibt.

Früher, da seien Reisen nach Deutschland immer schwierig gewesen. Trotz vieler netter Ereignisse und schöner Bekanntschaften, trotz der erfreulichen Natur und des guten Essens habe sie in Deutschland früher einen Restverdacht, eine Restalarmiertheit nicht ablegen können. Ihr erster Besuch im Jahr 1987, der eigentlich einem deutschen Freund galt - sie lobt ihn in den höchsten Tönen - ging sogar völlig daneben:

Ich konnte den Aufenthalt in seiner Heimat nicht ertragen. Die Lindenbäume, die bunt gestrichenen mittelalterlichen Häuser, die lustigen Biergärten - alles erschien mir sinister, verdächtig und unverzeihlich fehl am Platz. "Was ist wohl damals in diesen historischen Gebäuden geschehen?", fragte ich mich dauernd. Wo führten diese Eisenbahnschienen wohl hin? Jedes Mal, wenn ein Rentner oder eine Rentnerin an mir vorbeiging, fragte ich mich: "Welchen meiner Verwandten hast du mitermordet?" Nach zwei Tagen musste ich flüchten.

Seit dieser Zeit ist sie ein Dutzend Mal wiedergekommen, und es hat sich einiges geändert. Ein Unbehagen bleibe, aber es sei nun einmal so, dass ein beträchtlicher Teil der deutschen Großeltern nach 1945 geboren sei, und das sei auch zu bemerken. Sie selbst habe sich auch geändert. Ja, sie könne die Leute verstehen, die nicht einmal in Frankfurt das Flugzeug wechseln wollten. Aber das sei nicht mehr ihre Haltung, denn Deutschland, insbesondere Berlin, sei heute voller Freundlichkeit, ohne die Vergangenheit zu vergessen, im Gegenteil: von der Topographie des Terrors bis zu den Stolpersteinen des Gunter Demnig sei Deutschland voll von den Anzeichen der Erinnerung und des Bedauerns; man könne in diesem Zusammenhang fast schon von einem Overkill sprechen, allerdings einem notwendigen, denn ein einmalig furchtbares Menschheitsverbrechen verlange nun einmal eine einmalig gründliche Aufarbeitung.

Amerikanisches Pulverfass

Und dann berichtet Susan Gilman von ihrer Rückkehr in die USA. Sie erzählt von den Reaktionen auf einen ihrer Artikel, der sich in einem einzigen Satz positiv mit zwei Biographien des US-Präsidenten beschäftigt habe: „Beide, sagte ich, seien anscheinend fair und gut geschrieben.“

Im Rest ihrer Rezension habe sie ein gemischtes Lesevergnügen beschrieben. Aber dieser eine Satz brachte ihr Reaktionen ein, die sie mehr als befremdlich fand. Sie wurde ihrer Aussage nach als "Idiotin" beschimpft, als eine "Arschkriecherin" Obamas, Obama selbst als " verräterischer Nigger", es traten Psychopathen auf, die zur "Sicherung der Verfassung" durch die Ermordung aller "einheimischen Marxisten" aufriefen, auf der Website des National Public Radio wurde sie als "sabbernde Linke" bezeichnet, die in "stabile Knieschoner" investieren solle.

Das rechnete Frau Gilman mit der Nachricht zusammen, dass Drohungen gegen Abgeordnete in diesem Jahr um das Dreifache zugenommen hätten. Und mit den Reden der rechten Meinungsmacher und Politiker, die nicht aufhören, Obama als radikalen Sozialisten zu bezeichnen. Und mit den Berichten über die so genannten Tea-Party-Protestierer, die rechte Wirrköpfe aller Schattierungen unter ihrem Banner versammeln. Ihr Fazit: Es seien nicht mehr die Deutschen, die ihr Sorgen machten.

Hat der Postfaschismus in Deutschland ausgedient

Keine Frage, man liest das als Deutscher gern. So gute Noten, dazu von einer Jüdin, das ist Balsam für die Seelen all derer, die im Ausland schon auf die üblichen (Vor-)Urteile über die Deutschen getroffen sind: ob die sich nun in dumpfem, feindseligem Schweigen, lautstarken Beschimpfungen, oder gar freudig zum "deutschen Gruß" gehobenen Armen ausdrückten. Die Meinung von Susan Gilman ist gleichzeitig so positiv und differenziert, dass man auch kleinere Ungenauigkeiten hinnimmt, wie zum Beispiel die Behauptung, dass Hitler die Macht in Deutschland illegal errungen habe. Und auch das Urteil über den speziell amerikanischen Faschismus, der sich in dem dumpfen, gut bewaffneten Brüten und Gären des rechten Untergrunds - man nehme nur die Reaktionen auf ihre Rezension als Beispiel - ist verständlich. Man muss sich nur einmal die Zusammenfassungen zu den Zuckungen dieser Szene ansehen, den zum Beispiel die Internet-Show "The Young Turks" Tag für Tag bietet, und man bekommt es mit dem Fürchten zu tun.

Aber ist die Gegenüberstellung eines demokratisch geläuterten Deutschlands mit dem amerikanischen Pulverfass mehr als gute Rhetorik? Gibt es tatsächlich Anzeichen dafür, dass in Deutschland der Postfaschismus ausgedient hat? Oder haben wir es hier einer bloßen Privatbefindlichkeit zu tun? Diese Anzeichen gibt es tatsächlich. Die Wirtschaftskrise seit Ende 2008 hat bisher in Deutschland nicht zu einer weiteren Verbreitung des Neonazismus geführt, sowohl die Wahlergebnisse als auch die Straßenmobilisierung der Neonazis sind schwächer als vorher (siehe Der "Magnet einer neuen nationalen Bewegung").

Dass der Präsident des Bundestages nicht sofort sein Amt verliert, nachdem er an einer Sitzblockade gegen Neonazis teilgenommen hat, ist schon bemerkenswert. Dresden, Berlin, München - groß geplante Aufmärsche der rechten Szene endeten in Debakeln. Jemand wie Walter Mixa wäre noch vor zwanzig Jahren unangreifbar gewesen, die "diplomatische Beilegung" der Affäre um seine Devisenvergehen beweist es.

Diese spezielle Art von Immunität, die sich mindestens bis zum klerikalfaschistischen Reichskonkordat, und, auf protestantischer Seite, bis zu den "Deutschen Christen" zurückverfolgen lässt (siehe Requiem für Hitler) beginnt zu bröckeln, und auch das mag ein Resultat des Bruchs mit Tradierungslinien sein, den Susan Gilman korrekt beschreibt.

Vorsichtiger Optimismus

Freilich, das Kennzeichnende am vorsichtigen Optimismus ist ja die Vorsicht, und einige Zeichen der Hoffnung bedeuten noch lange nicht, dass die Gefahr gebannt ist. Der Neonaziaufkleber, den ich neulich von einem Umspannhäuschen entfernt habe, spricht eine andere Sprache als die freundliche Wertung Susan Gilmans. Die Tatsache, dass "schwul" und "Schwuchtel" derzeit sehr populäre Schimpfwörter auf deutschen Schulhöfen sind; die Attaktivität des radikalen Islam für deutsche Konvertiten; auch das jüngste Aufwallen eines antigriechischen Chauvinismus, der so unbehaglich passgenau die ständige Suche des Faschisten nach gesellschaftlich marginalisierten Opfern bedient, und die Bereitschaft der deutschen Eliten zu kriegerischen Abenteuern geben keinen Anlass zum Jubeln.

Aber immerhin sind die Ansichten Susan Gilmans nicht so weit von der Realität entfernt, dass man sie leicht von der Hand weisen kann. Leider gilt das auch für ihren Pessimismus in Bezug auf die USA.