Pew: Wachsende Unzufriedenheit mit Demokratie in Deutschland

Kuppel des Reichstagsgebäudes. Bild: Pixabay License

Eine Untersuchung der US-amerikanischen Meinungsforscher in 27 Ländern zeigt, dass das Funktionieren der Demokratie mehrheitlich nicht gut bewertet wird

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Unzufriedenheit ist ja angeblich ein guter Antrieb, um Verhältnisse zu bessern und es gibt einiges am gegenwärtigen politischen System zu ändern, wenn man etwa die Proteste als Maßstab nimmt, die für eine bessere Politik bei der Durchsetzung von Klimazielen und gegen drückende Mietzahlungen auf die Straße gehen. Oder die Gelbwesten-Proteste in Frankreich, die im Kern mehr soziale Gerechtigkeit fordern.

Alle diese Fälle haben gemeinsam, dass der Arbeit der gewählten Regierungen vorgeworfen wird, sie würden Partikularinteressen gehorchen. Dem Angebot, das die Parteien zu solchen Fragen machen, wird wenig zugetraut. Dass sich auffallend mehr Opposition auf der Straße als im Parlament zeigt, spricht dafür, dass die demokratische Institution nach Ansicht der Bürger zu wenig von dem verhandelt, was sie sich unter einem besseren und gerechteren Leben vorstellen.

Eine größer angelegte Umfrage, aktuell vom US-Institut Pew Research veröffentlicht, zeigt, dass es um die Zufriedenheit mit der Demokratie in 27 Ländern nicht gut bestellt ist: Die knappe Mehrheit, 51 Prozent, findet sich nämlich auf der Seite derjenigen, die mit der Art, wie die Demokratie funktioniert, unzufrieden sind.

Zufrieden sind nur 45 Prozent. Die Unzufriedenheit als Motor für eine Weiterentwicklung der Demokratie zu begreifen, wäre die positive Seite der Zustandsbeschreibung, die von Pew mit besorgtem Ton unterlegt wird.

Befragt wurden insgesamt über 30.000 Personen in 27 Ländern. Die Befragung ist also, anders als die Veröffentlichung, nicht wirklich aktuell, denn sie wurde bereits im Sommer letzten Jahres durchgeführt, von Mai bis August.

Seither mag sich manches verändert haben, so haben zum Beispiel die Gelbwesten-Proteste in Frankreich erst im November 2018 begonnen und die dortigen Diskussionen über den Stand der Demokratie sehr geprägt. Inwieweit die Debatten Rückschlüsse auf das Vertrauen der Französinnen und Franzosen in das demokratische System zulassen, wird in der "aktuellen" Pew-Umfrage also nicht erfasst - die Wahlen zum EU-Parlament werden die nächsten Impulse liefern für die Weiterführung der permanenten Diskussion ...

Zufriedenheit mit der Demokratie und Ansehen der EU

Der Zusammenhang zwischen der Haltung zur EU und der Unzufriedenheit mit der Demokratie ist einer der vielen Punkte, die die Pew-Umfrage sich als Maßgabe herausgesucht hat. Er fällt erwartungsgemäß aus: "Diejenigen Europäer, bei denen die EU in schlechtem Ansehen steht, sind auch unzufriedener mit der Demokratie". Hier fällt Deutschland mit dem größten Abstand auf.

Diejenigen, die eine schlechte Meinung von der EU haben, sind in Deutschland um 43 Prozentpunkte "unzufriedener" mit der Demokratie. Der Abstand ist hier übrigens in Großbritannien mit 13 Punkten am Geringsten. Die Plätze hinter Deutschland nehmen die Niederlande (41 Prozentpunkte) und Frankreich (40 Punkte) ein.

Voraussehbar ist auch der Zusammenhang, den Pew zwischen der Unzufriedenheit mit der Demokratie und dem Ansehen populistischer Parteien herausstellt. AfD-Sympathisanten in Deutschland liegen hier im europäischen Vergleich mit ihren Unzufriedenheitswerten hinter den Sympathisanten der Schwedendemokraten auf Platz 2. Die AfD-Sympathisanten sind um 32 Prozentpunkte unzufriedener mit der Demokratie. Bei denen, die eine gute Meinung von den Schwedendemokratien haben, sind es 40 Prozentpunkte.

In Italien wurden die Lega-Anhänger ausgesucht. Deren Anhänger sind um bloß 15 Prozentpunkte unzufriedener mit der Demokratie. In Frankreich wurden die Sympathisanten des früheren Front National (jetzt: Rassemblement National) herangezogen. Dessen Anhänger waren mit 24 Prozentpunkte "unzufriedener" mit der Demokratie.

Deutschland: Unzufriedenheit nimmt zu

Das aus deutscher Perspektive erstaunlichste Ergebnis zeigt sich bei der Entwicklung gegenüber dem Vorjahr. Laut der Pew-Umfrage hat die Unzufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland zwischen 2017 und 2018 deutlich zugenommen: von 26 Prozent auf 43 Prozent.

Damit liegt Deutschland unter den 27 befragten Ländern hinter Indien, wo der Abstand 22 Prozentpunkte beträgt, auf Platz zwei. Allerdings hat Indien mit 33 Prozent 2018 und beachtlich niedrigen 11 Prozent im Jahr 2017 auch die weitaus niedrigsten Anteile der Unzufriedenen mit der Demokratie.

Der höchste Anteil der Unzufriedenen mit der Demokratie wurde 2018 mit 83 Prozent in Brasilien registriert. Dort waren im Jahr zuvor allerdings schon knapp mehr als zwei Drittel unzufrieden. Den höchsten Anteil der mit der Demokratie Unzufriedenen hatte 2018 Griechenland mit sage und schreibe 84 Prozent. Da es im Vorjahr schon 79 Prozent waren, fiel die Veränderung nicht so auf wie in Deutschland.

Erklärungen zur wachsenden Unzufriedenheit mit der Demokratie in Deutschland zwischen 2017 und 2018 werden von Pew nicht geliefert. Es liegt nahe, dass dem Wirken der Großen Koalition dabei eine größere Rolle zukommt.

Größerer Trend

Allerdings liegt Deutschland in einem Trend, der auch die anderen europäischen Länder erfasst hat. Die Mehrheit ist mit der Demokratie unzufrieden: Neben Griechenland fällt Spanien mit einem frappierenden Anteil von über 80 Prozent auf, in Italien waren es 2018 70 Prozent, in Großbritannien 55 Prozent und in Frankreich 51 Prozent.

Mit 43 Prozent sind die mit der Demokratie Unzufriedenen in Deutschland in der Minderheit. Das ist auch in Polen so (44 Prozent), in Schweden (30 Prozent) und in den Niederlanden (34 Prozent).