Polen: Abhörprotokolle enthüllen Währungsgefährdung und versuchten Machtmissbrauch

Opposition fordert Rücktritt der Regierung

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Die polnische Zeitschrift Wprost (übersetzt: "Direkt") hat am Montag Protokolle von Gesprächen veröffentlicht, die zeigen, dass Innenminister Bartłomiej Sienkiewicz und Nationalbankpräsident Marek Belka im Juli 2013 vereinbarten, das die polnische Nationalbank "eventuell" über Banken eine "gewisse Menge" Staatsanleihen aufkauft - was ihr eigentlich verboten ist. Zweck der Scharade sollte die Schaffung von Ausgabespielraum im Staatshaushalt sein, die die Regierung vor der Wahl 2015 für Wahlgeschenke nutzen kann, damit die konservative Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) nicht gewinnt. Beide waren sich darüber einig, dass dieser Trick nur dann funktioniert, wenn man vorher den damaligen Finanzministers Jacek Rostowski los wird. Vier Monate später trat Rostowski zurück - angeblich ohne Druck von Außen.

In einem anderen Gesprächsprotokoll können die Bürger Polens nachlesen, wie der ehemalige Verkehrsminister Sławomir Nowak versucht, einen hochgestellten Finanzbeamten dazu zu bringen, eine Steuerprüfung der Ehefrau des Politikers abzublasen. Andere Protokolle, die Wprost zugespielt wurden, sollen die Vize-Ministerpräsidentin Elżbieta Bienkowska, den Ex-Regierungssprecher Paweł Gras sowie den Oligarchen Jan Kulczyk betreffen.

Der polnische Innenminister Bartłomiej Sienkiewicz. Foto: Ministerstwo Spraw Wewnętrznych RP. Lizenz: CC BY-SA 2.0.

Was nach der Veröffentlichung der Protokolle und der Ankündigungen passierte, hat der Regierung Tusk möglicherweise noch mehr geschadet als das Bekanntwerden der geplanten Währungsgefährdung und des versuchten Machtmissbrauchs: Am Mittwoch drangen nämlich Mitarbeiter des polnischen Inlandsgeheimdienstes Agencja Bezpieczeństwa Wewnętrznego (ABW) in die Redaktionsräume von Wprost ein und verlangten vom Chefredakteur Sylwester Latkowski die sofortige Herausgabe aller Daten zu den Abhörprotokollen. Danach soll es zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen sein, bei der die Geheimdienstlern womöglich den Kürzeren zogen. In jedem Fall verließen sie die Redaktionsräume ohne USB-Sticks, Festplatten oder Computer.

Angeblich wollte der ABW nur ermitteln, wer die Gespräche im Warschauer Nobelrestaurant Restaurants Sowa & Przyjaciele abgehört und Mitschnitte davon weitergegeben hat. Als Verdächtige gelten unter anderem "Geschäftsleute" und Politiker sowie polnische und russische Geheimdienstmitarbeiter. Der von den Ex-Geheimdienstmitarbeitern Piotr Niemczyk und Marek Dukaczewski in polnischen Medien geäußerte Verdacht, dass die russische Regierung den polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk wegen seiner Ukrainepolitik schwächen wolle, hat den Schönheitsfehler, dass Tusks wichtigster Konkurrent Jarosław Kaczyński zwar nicht ganz so euro-euphorisch ist wie der Kaschube, aber gegenüber der östlichen Großmacht einen ähnlich selbstbewussten Kurs fährt.

Den von der PiS unmittelbar nach Veröffentlichung der Protokolle geforderten Rücktritt lehnte Tusk anfangs ab und sprach in diesem Zusammenhang vom Versuch, ihn mit "verbrecherischen Methoden" zu stürzen." Erst nachdem Staatspräsident Bronisław Komorowski, der selbst Tusks PO angehört, öffentlich meinte, Neuwahlen könnten "notwendig" werden, räumte auch er ein, dass möglicherweise eine "Vertrauenskrise" entsteht, die eine Befragung der Wähler erfordert.

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