Polen öffnet seinen Telekommunikationsmarkt - in zwei Jahren

Auch wenn das Netz boomt, liegt Polen hinsichtlich der Internetnutzung zurück

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Die Warschauer Konferenz The Information Society Accelerating European Integration hätte wohl etwas bewegen sollen und vielleicht auch können: Vertreter der EU kamen nämlich mit einer klaren Botschaft an die EU-Beitrittskandidaten. Wenn sie Integration wirklich anstreben, sollten sie ihre Telekommunikationsmärkte öffnen. Polens Antwort war: Das tun wir längst.

Die Fakten aber beweisen etwas ganz anderes. Kurz nach der Warschauer Konferenz über die "Informationsgesellschaft" beschloss zwar Polens Parlament, der Sejm, die völlige Liberalisierung des IT-Marktes, aber erst ab 2002 für heimische und ab 2003 für ausländische Unternehmen. Bis dahin gehört so gut wie alles nach wie vor der Telekom. Ein schwacher IT-Markt bremst die sowieso seit 1998 hinkende Wirtschaft und umgekehrt: Wer nichts im Beutel hat, der kauft nichts - auch nicht online.

Etwas Gutes brachte die Konferenz aber trotzdem: veröffentlicht wurden EU-Daten über den Zustand des mittel- und osteuropäischen Telefonnetzes. Viele Polen können es nun einfach nicht glauben, denn selbst einige postsowjetische Republiken haben in diesem Bereich mehr vorzuweisen als das stolze Land zwischen Bug und Oder. Auf 100 Einwohner kommen in Polen nämlich nur 34 Telefonanschlüsse. Schlimmer ist es nur in Mazedonien (25), Bosnien (24), Rumänien (23) und Albanien (5). An der Tabellenspitze steht Slowenien mit 76 Anschlüssen, dann kommen Estland (61), Tschechien (52), Ungarn (48), Lettland (43), Litauen (39) und Bulgarien (38).

Genauso schlimm ist es mit dem Internetzugang. Nach der European Survey of Information Society seien nur ca. 6 Prozent Polen vernetzt, während es in Slowenien und Estland prozentual doppelt so viel und in der EU bis 23 Prozent Menschen mit Internetzugang gebe. Von Internetinitiativen will Polens Regierung aber nichts hören. Sie beschäftigt sich viel lieber mit Vergangenheit als mit der Zukunft, und in der IT-Branche sieht sie im Moment nur Einnahmequellen - für die Staatskasse ... und nicht nur für sie. Solange es all die politisch zu besetzenden Aufsichtsräte, politisch geführten Ausschreibungen und von Politikern zu erteilenden Lizenzen gibt, ist sie eine wahre Goldgrube, auf die die regierende Solidarnosc, geschweige denn die Liberalen nicht verzichten möchten. Gleichwohl boomt das polnische Netz, aber nicht gleichmäßig. In den letzten Monaten sind einige neue Portale entstanden, in die Millionen investiert worden sind. Die zwei größten Portale - Onet.pl und Wirtualna Polska - erreichten, so die Fachpresse, den Wert von je 1042 Millionen USD. Auf der anderen Seite "sterben" aber semi-professionelle WWW-Services, da ihre Gründer, meist sehr junge Menschen, nicht mehr in der Lage sind, sich um sie zu kümmern. Manchmal reicht es nicht einmal für die Telefongebühren. Wenn jetzt massenweise neue Seiten entstehen, dann sind es entweder virtuelle Visitenkarten von Kleinunternehmen, die sich keine traditionelle Werbung mehr leisten können, oder "Millionär-Clubs": Homepages von Naiven, die mit Surfen und Pay-Per-Email reich werden wollen. Nichtkommerzielle, gepflegte Hobby-Seiten von leidenschaftlichen Computerfreaks erscheinen nur noch ganz selten.

Während es in den Großstädten noch relativ viele Internetzugänge gibt, sieht die Lage auf dem Lande geradezu tragisch aus. Selbst in Kleinstädten gibt es oft keine einzige Möglichkeit, eine Standleitung zu bekommen, von einer Flatrate (obwohl Polen das erste Land mit einer Telekom-Flatrate in Europa war) schon ganz zu schweigen. Aber dort sind die Installationskosten für jeden Anschluss höher, und die Nachfrage ist geringer als in Metropolen - besonders angesichts der noch immer steigenden Arbeitslosigkeit. Dieses Jahr werden in Polen 500 000 neue Arbeitslose erwartet - und die gehen bestimmt nicht (mehr) online.

Trotzdem wollen polnische Politiker in die EU. So schnell, wie nur möglich, um jeden Preis. Mit 3 Millionen Arbeitslosen, mit monopolisiertem Telekommunikationsmarkt und Tausenden von Schulkindern, die nie im Leben am Computer gesessen haben. Doch selbst dieser Zustand hat auch eine positive Seite: der ILOVEYOU-Virus hatte in Polen keine Chance, obwohl er auch hier in mehrere Outlook-Adressbücher eingeschmuggelt wurde. In einem Land wie Polen öffnet schließlich kein vernünftiger Mensch eine Email mit Liebeserklärung. Und kein philippinischer Student kommt wohl auf die Idee, Viren mit Mitteilungen vom Typ "Ab morgen wird Surfen teurer" oder "Netzabsturz - Reparaturen bis übermorgen" zu tarnen ...