Polen treibt Justizreform voran

Die schwachen Proteste werden die Regierung nicht aufhalten, zu erwarten ist, dass der Präsident die Gesetzesnovellen nicht mehr blockieren wird

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"Wenn ihr dann vor Gericht müsst, sitzt euch ein politischer Beamter gegenüber und dann habt ihr gar keine Chance." Mit diesen Worten beschrieb diese Woche auf einer Warschauer Konferenz von 28 Nichtregierungsorganisationen der Juraprofessor Marcin Matczak die Konsequenzen einer kommenden Justizreform in Polen.

Die Organisation hatte zu Protesten aufgerufen. Am Freitagabend demonstrierten die Gegner der Reform unter dem Motto "Freie Gerichte, Freie Wahlen, Freies Polen" in Warschau vor dem Präsidentenpalast und in rund 100 weiteren Städten.

Nach Polizeiangaben waren in Warschau 1500 Demonstranten unterwegs, die liberalen Medien sprechen von 10.000. Jedenfalls zu wenig, um die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) zu beeindrucken. Diese drängt derzeit auf die Umsetzung zweier umstrittener Gesetzesnovellen, die von Staatspräsident Andrzej Duda im Juli mit einem Veto blockiert wurden. Später reichte das Staatsoberhaupt einen eigenen Entwurf hinterher.

In der letzten Woche wurde nach einer viermonatigen Pause die Verhandlung in hitzigen Parlamentssitzungen wieder weiter geführt. Am Freitag entschied der Sejm, die Änderungsvorschläge des Präsidenten an einen parlamentarischen Ausschuss zu überweisen.

Eine der Novellen erwirkt die Auflösung des "Landesgerichtsrats" (KRS) in seiner bisherigen Besetzung. Als besonders prekär gilt, dass die 15 Richter der Kontrollinstanz nun vom Sejm bestimmt werden, anstatt von der "Selbstverwaltung der Richter". Duda will durchsetzen, dass die 15 Richter des "Landesgerichtsrat" mit einer Mehrheit von 3/5 des Sejms gewählt werden sollten und nicht wie von der Regierungspartei vorgeschlagen, durch eine einfache Mehrheit des Sejms. Sollte es zu keiner Einigkeit kommen, würde der Präsident entscheiden, womit er sich selbst mehr Macht zuschreiben würde, als es die Verfassung erlaubte. Matczak hält beide Entwürfe für evident verfassungswidrig, dieser Meinung sind auch andere Rechtsexperten.

Eine weitere Novelle der PiS erlaubt, das Personal des Obersten Gerichts innerhalb von 30 Tagen auszutauschen, obwohl derenAmtszeit durch die Verfassung vorgeschrieben ist. Da das Verfassungsgericht bereits mit PiS-nahen Richtern besetzt ist und per Gesetz in seiner Kompetenz beschränkt wurde, gebe es nach der personellen Übernahme des Obersten Gerichts keine Instanz mehr, die die Regierung kontrollieren könnte.

Als gefährlich gilt der Griff nach dem Obersten Gericht auch deshalb, da diese Instanz die Rechtmäßigkeit von Wahlen und Referenden untersucht und beglaubigt. Somit könnte die PiS eine verlorene Wahl anfechten lassen.

Duda schlägt vor, alle Personen über 65 zu entlassen, ältere Richter müssten ihr Fortbestehen dann beim Staatspräsidenten beantragen und der Laienrichterschaft mehr Einfluss zu geben. "Die Annahme von schlechten und verfassungswidrigen Normen bewirkt, dass Polen in das Umfeld des Kremls kommt", erregte sich Borys Budka, der Fraktionschef der vormaligen Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO) am Freitag im Sejm.

Parteichef Jaroslaw Kaczynski, der die Regierung inoffiziell dominiert, war hingegen an diesem wichtigen Tag sich seiner Sache sehr sicher. Der Single und Tierfreund las während den Debatten in einem Katzenbuch, was selbst "Arkansas Online" mit einer Nachricht würdigte.

Polnische Medienberichte gehen davon aus, dass rasch ein neuer Entwurf gefertigt werden soll, der schließlich von Andrzej Duda unterschrieben wird. Polen ist aufgrund seiner Eingriffe in das Justizsystem mit einem Rechtsstaatlichkeitsverfahren der EU-Kommission konfrontiert. Als letzte Konsequenz drohen der Stimmenentzug und das Streichen von Fördergeldern in künftigen Budgets.