Polen und das Baltikum: Der amerikanische Freund ist wieder da

Derzeit scheint es so, dass für Polen und das Baltikum die USA ein weit wichtigerer Partner sind als die EU

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Donald Tusk, Polens Premier, hielt am Mittwoch angesichts der Krim-Krise eine Rede an die Nation. Polen stehe auf drei Säulen der Sicherheit: eine stabile Wirtschaft, eine immer größer werdende Energie-Unabhängigkeit (eine Anspielung auf die polnischen Bestände an Kohle sowie Schiefergas) und eine solide Finanzpolitik. Die zweite Säule sei die Mitgliedschaft in der EU und die dritte die Partnerschaft mit den USA und die Mitgliedschaft in der NATO.

Doch Polen brauche noch eine vierte Säule: eine sich demokratisch entwickelnde Ukraine. "Eine Hilfe für die Ukraine ist eine Investition in unsere Sicherheit", sagte er. Dabei wird vor allem auf die USA gebaut. "Schulter an Schulter" stünde diese zusammen mit Polen und der internationale Gemeinschaft bei der Verurteilung des Angriffs auf die Souveränität der Ukraine, so Joe Biden am Dienstag in Warschau.

Der amerikanische Vizepräsident Joe Biden weilte am Dienstag in Warschau und Vilnius und beruhigte dort die Staats- und Regierungschefs Polens und des Baltikums. Biden, der als Europa-Spezialist gilt, verwies auf die weitere Gültigkeit von Artikel 5 im NATO-Vertrag, auf den verbindlichen Bündnisfall für alle Mitglieder, sollte ein NATO-Mitglied angegriffen werden. Zudem versprach er eine Erweiterung der US-Manöver in Polen und der Luftüberwachung sowie einen Anti-Raketen-Schild in Polen und Rumänien, das 2018 entstehen soll.

Die eher an Asien interessierte Obama-Regierung hatte zunächst entsprechende Pläne der Bush-Regierung 2009 abgesagt, was zu Verstimmungen mit Polen führte. Es war der Tiefpunkt der bilateralen Beziehungen, die auch zuvor von einigen Enttäuschungen auf polnischer Seite belastet war. Noch vor kurzem wurden sogar Sanktionen gegen die USA für möglich gehalten, sollten sie weiterhin am Visum für Polen fest halten (Polen: Sanktionen gegen die USA?).

Angeblich, so die Gazeta Wyborcza, habe Biden Polen dazu gedrängt, US-Waffensysteme zu kaufen. Zur Auswahl stünden noch Systeme aus Israel und Frankreich. Zudem will Biden die Polen beim Abbau von Schiefergas (Fracking) unterstützen, um von russischen Gas- und Öllieferungen unabhängiger zu werden.

Auch Litauen interessieren amerikanische Flüssiggaslieferungen, ein entsprechender Hafen in Klaipeda (Memel) soll Ende des Jahres fertig werden. Gegenüber der litauischen Präsidentin Dalia Grybauskaite und dem lettischen Präsidenten Andris Berzins versprach Biden am Mittwoch in Vilnius die Bündnistreue des dominanten NATO-Mitglieds USA. Berzins und sein estnischer Kollege Toomas H. Illves werden auf dem NATO-Treffen im September darauf drängen, die Präsenz der NATO am Ostrand zu stärken, um einen möglichen russischen Angreifer abzuschrecken.

Von wirtschaftlichen Sanktionen hält man in Litauen nichts, diese würden das eigene Land durch den russischen "Bumerang" zu stark treffen, so Grybauskaite. Die auflagenstarke Zeitung Lietuvos Rytas hält hingegen nur wirtschaftliche Sanktionen für wirkungsvoll, gezielte Maßnahmen, die das Vermögen von Personen aus dem Putin-Umkreis gefährden. Auch Donald Tusk will die EU von der Einführung von Wirtschaftssanktionen überzeugen.

Erneute Teilung in das alte und das neue Europa

Mögen sich die Meinungen in den baltischen Ländern und Polen über den richtigen Umgang mit Russland unterscheiden, ihr großes Sicherheitsbedürfnis gilt als der gemeinsame Nenner. Alle vier Länder haben eine Grenze mit Russland und erlebten 1939/1949 die Annexion durch die Sowjetunion. Auf russischer Seite zeigt man sich noch heute verbittert, dass man in diesen Ländern für die Befreiung von der deutschen Okkupation 1944/1945 keine Dankbarkeit zeigt.

Erinnerungen an die Teilung in das "alte Europa" und das "neue Europa" werden wach, eine Kreation des damaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, der sich 2003 so despektierlich über Deutschland und Frankreich äußerte, weil sie sich nicht an der Invasion in den Irak beteiligen wollten. Dieser Vorwurf wurde auch von den Majdan-Aktivisten erhoben. Es war die Rede vom "tauben, alten Europa" als am 20. Februar das Feuer auf die Demonstranten in Kiew eröffnet wurde.

Zumindest wird das Misstrauen auf Seiten der Polen und der Balten gegenüber den zu russlandfreundlichen Westeuropäern auf der einen Seite und der Unmut und das Unverständnis über die zu sehr fordernden und mahnenden Osteuropäer auf der anderen Seite die EU in der nächsten Zeit bestimmen.

Dabei wird Wladimir Putin sicherlich versuchen, die europäischen Divergenzen zu verschärfen. Dies geschieht schon bei dem Schweinefleisch-Embargo, das gegen die EU-Staaten verhängt wurde, da in Litauen und Polen bei einigen Wildschweinen die gefährliche afrikanische Schweinepest festgestellt wurde. Dabei sind die meisten Fälle im Westen Russland festgestellt worden. Gerade der landwirtschaftlich geprägte Osten Polens ist vom Fleischexport nach Russland abhängig, polnische Bauern setzen die Regierung in Warschau gerade deswegen unter Druck. Das Embargo betrifft nämlich in der Praxis vor allem Polen und Litauen. Nun hat Polen in Brüssel gegen Österreich und Dänemark Beschwerde eingelegt, da diese weiter Fleisch liefern. Auf den ersten Blick ein eher marginales Problem, doch ist es symptomatisch für künftige Konflikte.

Auch in Estland gibt es derzeit Unruhe, da Russland sich besorgt über die Diskriminierung geäußert hat, die die russischstämmige Bevölkerung des baltischen Landes (etwa 25 Prozent) zu erleiden habe. Diese nicht unberechtigten Anwürfe gab es immer wieder. Doch bei der derzeitigen außenpolitischen Lage fasst man dies in Tallinn als Drohung auf. Ist etwa wieder "brüderliche Hilfe" notwendig?

ukraine.htm