Politik als Infotainment

Zum neuen Rheinland-Pfalz-Portal der SPD

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In schlecht unterrichteten Kreisen gilt Politik als sterbenslangweilig. Gut unterrichtete Kreise wissen: Politik- und Parteiverdrossenheit nicht nur der Jugend wurde zum länger werdenden Schatten von Massendemokratien, die außer der immer währenden Verbesserung der Verhältnisse, die spätestens mit der nächsten Legislaturperiode zur Gewissheit wird, um dann auf die übernächste verschoben zu werden, nicht viel zu bieten haben. Visionen, die mehr als heiße Luft wären, sind in alteuropäischen Demokratien schon deshalb nicht zu erhoffen, weil sich die vormaligen Großutopien zwischen Marx, Mao und immergrüner Erneuerung - Gott sei Dank oder leider - auf länger bis ewig verabschiedet haben. Außer den Parteitagen des guten Willens zerrten vor allem die Skandale, Dementis und Alltäglichkeiten an des Wählers Restglauben, Politik wäre mehr als die über die eigenen Füße stolpernde Selbstverwaltung einer krisengeübten Gesellschaft.

Liebe Bürgerinnen und Bürger, unser schönes Rheinland-Pfalz ist auch virtuell ein blühendes Land. Ich lade Sie ein zu einer gemeinsamen Entdeckungsreise im Internet und freue mich auf Ihre Begleitung. Ihr Kurt Beck

Wo also noch Leimruten auslegen, die Wählers Wille locken könnten, Politiker als Amtsträger zu küren? Die Dauerjagd auf Stimmen wird jetzt auf die wachsende Netzgemeinde ausgedehnt. Höchst begehrliche Zielobjekte des SPD-Ministerpräsidenten Kurt Beck von Rheinland-Pfalz sind die vernetzten Wähler. Folglich wurde die wahlkämpferische Geschmeidigkeit, Politikverdrossene verführerisch zu umschmeicheln, mit einem 100.000 DM teuren Portal digital aufgerüstet. "Unser schönes Rheinland-Pfalz ist auch virtuell ein blühendes Land", lautet die Parole Becks und die blühende Polit-Techno-Logik der Überführung von "Realien" in "Virtualien" wäre schwer überbietbar, wenn wir uns nicht an die hochfliegenden Machbarkeitsillusionen unserer Volksvertreter gewöhnt hätten.

Wahr ist: Rentenversprechen, saumseliger Reformismus oder gar rhetorisch wie inhaltlich leere Europavisionen gewinnen längst nicht mehr den Kampf gegen Wählers Aufmerksamkeitsfluchten. Das ist indes nicht allein der Fehler bundes- oder landespolitischer Kämpen. Im System weltweiter, europäischer und nationalstaatlicher Zwänge bewegt sich Politik nicht nur schwerfällig bis überhaupt nicht, sondern wird selbst für den partizipationsfreudigen Bürger zum kryptischen Geschäft. Wer weiß schon, was in Brüsseler Büros zum Wohle der europäischen Menschheit ersonnen wird? Zwischen Basis, Berlin und Brüssel wollen nationale Politiker den gordischen Knoten der stummen Wählerverweigerung durchschlagen, obwohl wuchernde Sachzwänge und dilatorische Kompromisspolitik zuletzt als Volksherrschaft zu verkaufen sind. Was der Bürger will und was Politik kann, verschmilzt längst zu dem, was der Wähler wollen darf.

Die Lebensfähigkeit einer Demokratie ist angeblich von Transparenz abhängig. Obwohl das in Zeiten überinformierten Nichtverstehens eher nach radikaldemokratischer Intensivstation riecht, könnte vielleicht auch die abertausendste Netzquelle, die medienfreudige Politiker sprudeln lassen, Linderung bringen, wenn sich nicht der Verdacht regte, dass politische Netzambitionen ganz anderen Regeln folgen. Ein komplexes Politikverständnis ist schwerlich mit der schnellsten Bedürfnisbefriedigung zu vereinbaren, die zur conditio sine qua non der Aufmerksamkeitsherrscher in Neu- und Altmedien wurde. Information ist gut, aber Infotainment ist erheblich besser. Nicht nur der netzmediale Wahrnehmungsmodus wird inzwischen rückhaltlos auf Unterhaltung geeicht. Reichte in der Antike noch die sophistische Rhetorik zur Agitation auf der Agora, gebärden sich Mouseclickdemokraten gnadenlos, wenn es um die eigene Restlebenszeit geht, die man zuletzt an die Lektüre von Parteiprogrammen verschenkt.

Der Webauftritt der rheinland-pfälzischen SPD präsentiert ein Portal, das ähnlich wie Tausende anderer Eingangstore ins elektronische Paradies Besucher dauerhaft, am besten auf Lebenszeit binden will. 13.000 Homepages (!) von Vereinen, Firmen, Institutionen und Privatpersonen, Stadtpläne, Wetter- und Verkehrsnachrichten, Informationen zu lokalen Medien, Kulturanbietern, Restaurants, Hotels, Apotheken oder Arztpraxen werden hier verlinkt, um den parteipolitischen Botschaften das schmackhafte Ambiente zu verleihen.

Vor allem aber hat der virtuelle Ministerpräsident Beck klar bis paradox erkannt: "Das Gespräch im Internet ist anders. Es ist unmittelbarer und weniger gekünstelt, es ist humorvoller und witziger, es ist weniger marktschreierisch und weniger protzig. Eben von Person zu Person - Näher bei den Menschen." Es ist nicht die geringste Ironie, dass die "Politik zum Anfassen" in die mediale Sphäre des Cyberspace flüchtet, um näher bei den Menschen zu sein. Bringt erst das virtuelle Händeschütteln die menschliche Nähe von Person zu Person? "Wir möchten mit dem RLP-Portal nicht nur und ausschließlich politische Informationen transportieren. Wir möchten darüber hinaus den Internet-Nutzern in Rheinland-Pfalz eine moderne und gleichzeitig reichhaltige Informationsquelle zu ihrem eigenen Bundesland an die Hand geben", meint die alte Tante Espede. Listig, listig.

Übersetzt heißt das: Das vermag nicht allein die Politik der SPD, sondern Entertainment für alle. In einer Cookiekratie muss daher Zauberseller Harry Potter genau so an die Front der sozialdemokratischen Wahlkämpfer wie der Grusel Comic Futurama. Nun mag man den Netzanschluss suchenden Sozis ein wenig mehr Elektromagie wünschen als sie die sattsam bekannte Plakatleitkultur aus der dumpfesten Ecke des Politik(werbe)designs besaß, das etwa mit Drohgebärden wie "Alle Wege führen nach Moskau" oder popkulturellen Anbiederungen "Komm raus aus deiner linken Ecke" auf hochnotpeinlichen Stimmenfang ging. Es war ein immer währendes Ärgernis, dass die Wahlkampfkostenerstattung für buntes Papier, auf dem Freiheit, Gleichheit und alle übrigen Tugenden der Demokratie zum Politik-Scrabble verkamen, überhaupt gewährt wurde.

Aber ist die Anverwandlung der Politik an eine elektronische Konsumentenkultur des Schnellverzehrs von Infomix und kulturellen Eintagsfliegen wünschbar? Wer über trendgierig aufgepeppte Parteiportale ins weite Web fährt, mag schon bald den signifikanten Unterschied zwischen Politik und Unterhaltung vergessen, wenn er ihn je gesucht hätte. Hier wächst zusammen, was zusammen gehört, aber nicht, weil wir ein einig Volk von Brüdern und Schwestern, sondern eine verschworene Erlebnisgemeinde diesseits und jenseits des Netzes sind.

Sollten bisher prominente Wahlhelfer aus der bundesrepublikanischen Hoch- und Niederkultur Wählern den Kick vermitteln, den weichspülende und - gespülte Politiker selbst nicht mehr herstellen konnten, werden schon bald beflissene Avatare auf die zurzeit festinstallierte SPD-Linkfee folgen, die uns Politik als saccharinsüßes Potpourri einträufeln. Wie wäre es demnächst mit Clickrate-Erstattungen für Pageview-Versessene User des SPD-Portals als Wählerentschädigung für enttäuschte Wahlversprechen? Oder wenigstens Moorhuhndownloads für zielunsichere Wechselwähler? Die Sternstunden der erlebnisheischenden Netzdemokratie sind voraussehbar: Lara Croft wird Bundeskanzlerin und jeder Politiker ist zumindest als virtuelles Update direktdemokratisch ansprechbar bis userfreundlich. Meinte das Joseph Beuys, als er bei seinem von dem damaligen Wissenschaftsminister Johannes Rau forcierten Exodus aus der Düsseldorfer Kunstakademie verkündete: "Demokratie ist lustig"? 2