"Politiker geben nur Statements ab"

Ein deutscher Blick auf eine arabische Stadt: Vier Wochen Beirut als Stadtschreiberin

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Der Milliarden schwere Premierminister Rafik Hariri habe den Libanon auf eine Weise rekonstruiert, beklagte sich kürzlich der Exillibanese AbuKhalil, dass das Land zu einer Art Vergnügungspark für reiche Araber aus den Golfstaaten geworden sei. Die Armen kämen in seiner politischen Agenda nicht vor. Den Namen Hariri durfte die deutsche Schriftstellerin Silke Scheuermann in ihrem Internet-Tagebuch an einer bestimmten Stelle nicht erwähnen. Einen Monat hat sie im Rahmen des Dialog-Projekts MIDAD als Stadtschreiberin in der libanesischen Hauptstadt verbracht, um ihre literarischen Eindrücke vom städtischen Alltag dort festzuhalten. Telepolis sprach mit der Schriftstellerin über Möglichkeiten des Dialogs, über Zensur und ihre Erfahrungen im Libanon.

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Im Rahmen des Stadtschreiberprojekts haben Sie in Beirut und in Tripoli zwei Lesungen gemacht, zu denen jeweils rund 50 Besucher kamen. Gibt es da Unterschiede zu Veranstaltungen in Deutschland? Welches Interesse hatte das libanesische Publikum an einer jungen deutschen Lyrikerin?

Silke Scheuermann: Mich hat es gefreut, dass in Tripoli, im Gegensatz zu Beirut, auch Musliminnen da waren. Die haben sich, wie sie sagten, mit mir total identifiziert, weil sie lange in Deutschland lebten und wegen Gründen wie Heirat in den Libanon zurück mussten. Ansonsten dieses heftige Diskutieren nach der Lesung. Da ging es natürlich auch über den Sinn des ganzen Dialogprojekts. Ob eine Schriftstellerin in Beirut, eine einzelne subjektive Stimme wirklich Sinn macht. Das wurde aber vom Publikum selbst beantwortet. Wer eine objektive Sicht des Libanon möchte, soll doch bitte Deutsche Welle hören oder Zeitung lesen, etwas journalistisches. Dabei geht es natürlich um ein Missverständnis, was so ein Tagebuch soll. Im Prinzip müsste es, von der Anlage des Projekts, so sein, dass ich als Schriftstellerin alles schreiben kann. Dass ich nur Farben aufschreibe, den Geruch des Libanons analysiere oder etwas anderes Verrücktes.

Zensur und "die reichen Libanesen"

Tagebuch schreiben ist eigentlich etwas Intimes. Hier schreibst du für 17.000 Leser, die sich auf der Website von Goethe einklicken. Wie weit richtest du dich nach dem Leser oder schreibst du nur das, was du möchtest ?

Silke Scheuermann: Nein, natürlich denke ich daran, dass es ein öffentliches Tagebuch ist. Anders würde es nicht funktionieren. Viele Leute, deren Bekanntschaft man macht, sagen auch: Bitte schreib das nicht in dein Tagebuch. Es gäbe interessante Familiengeschichten, in denen Teile sunnitisch und christlich sind. Das kann ich nicht verwenden, das wäre eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts. Aber das empfinde ich als Zensur nicht so schlimm. Anders ist es allerdings bei meinen Texten, die ja nach Kairo geschickt werden. Da werden regelmäßig die Namen von Politiker mit "die reichen Libanesen" übersetzt. Auch meine Eindrücke über die Unruhen wurden zensiert.

Sie meinen die Demonstrationen im Mai in Beirut gegen die Benzinpreiserhöhung, bei denen 5 Menschen vom Militär getötet wurden.

Silke Scheuermann: Ja. Bei diesem Text wurde gestrichen. In meiner Fassung hatte ich gemutmaßt, dass das Militär das provozierte. In der Endfassung hieß es dann in etwa: es gibt viele Vermutungen, man aber nicht genau weiß, wer dahintersteckt, dass das Militär geschossen hat.

Was ja auch zutreffend ist. Als Außenstehender politische Analysen nach Hörensagen und aus Zeitungen zu machen, ist problematisch. Aber wie wird das vom Goethe Institut begründet, dass man streicht?

Silke Scheuermann: Man kann das so nicht schreiben. Ich nehme aber einfach an, dass man die arabischen Kooperationspartner nicht verletzen wollte.

Gibt es sonst noch Passagen, wo "zensiert" wurde?

Silke Scheuermann: Ja, ich hatte geschrieben, in einer Szene, wo wir im Auto unterwegs waren, dass Rafik Hariri, der Premierminister, die und die Gebäude besitzt, er auch das Strandrestaurant "Rawda" kaufen will. Da wurde der Namen rausgenommen. Das ist wirklich meine erste Erfahrung mit Zensur.

Ich glaube, das Goethe Institut wollte sich als öffentliche Institution nur rechtlich absichern, das es keine Fakten, sondern Vermutungen waren. Im Libanon gibt es ein Gesetz, das den Premierminister und den Präsidenten vor Beleidigung und Verleumdungen schützt. Das kann je nach Gutdünken ausgelegt werden.

Silke Scheuermann: Ich weiß nicht, wie Empfindlichkeiten da sind. Man will ja auch nicht das Projekt kaputt machen.

Das Gesicht des Übersetzers

Deine Gedichte wurden auch auf Arabisch bei Lesungen und teilweise auch im Internet zur Verfügung gestellt. Eine Übersetzung deiner Texte, die sehr verschlüsselt sind, stelle ich mir sehr schwierig vor.

Silke Scheuermann: Ja, da gab es wohl einige Probleme. Ich hatte in meinem Tagebuch einige Sätze aus einem Gedicht von mir zitiert, die sehr schlecht, in einem anderen Sinn übersetzt wurden.

Wenn es schnell gehen muss, tut sich selbst ein sehr erfahrener, deutsch- arabischer Übersetzter schwer.

Silke Scheuermann: Überhaupt ist das ein Problem, auch bei den Diskussionen nach den Lesungen mit dem Publikum. Da hatte ich das Gefühl, dass der Übersetzer es ganz nach seiner Facon macht. Das merkte man manchmal an seinem Gesicht, ob ihm etwas missfällt oder nicht. Auch meine Antworten, die kurz waren, wurden plötzlich lang oder auch umgekehrt. Das ist schon erstaunlich.

Wie kam es eigentlich dazu, dass du Stadtschreiberin in Beirut wurdest?

Silke Scheuermann: Mich hat das Literaturhaus in Frankfurt angerufen, das mit den anderen Literaturhäusern in Deutschland und mit dem Goethe Institut kooperiert. Ich kannte Beirut nur aus dem Roman "Die Fälschung" von Nicolas Born, aber fand das natürlich interessant.

Politiker geben nur Statements ab

Jose Oliver, der als Stadtschreiber vor kurzem in Kairo war, hat gesagt, sein Aufenthalt habe ihn total verändert und er werde nie wieder so schreiben wie zuvor.

Silke Scheuermann: Ich würde das so pathetisch nicht ausdrücken. Man verändert sich ja laufend. Die Möglichkeit in eine andere Stadt zu gehen, ist natürlich toll. Aber bei diesen Projekten geht es mehr um Kleinigkeiten. Z.B. hat man ein Manuskript von einem arabischen Autor und sagt dem Lektor zuhause, mach das doch mal. Libanesische Schriftsteller sind ja in Deutschland nicht so bekannt. Aber man ist hier nicht eine Funktionärin des Dialogs nach dem Motto: Libanon ist ein hochverschuldetes Land und setzen eine Schriftstellerin hin, die wird schon alles regeln. Das ist naiv.

Welchen Einfluss hat denn der Aufenthalt auf dein Schreiben?

Silke Scheuermann: Das wird irgendwann sicherlich mal einfließen. Nicht sofort natürlich. Das ist auch der große Widerspruch bei einem Projekt wie diesem, wo man nach vier Wochen das Ergebnis sehen will. Wenn man sagt, man will etwas wachsen lassen an Verständigung, Aufklärung, dazu braucht man länger Zeit. Wie man jemand nach Berlin, Paris oder London fahren lässt, kann Beirut auch einmal in einem Buch vorkommen. Aber das kann vielleicht drei Jahre dauern.

Zum Dialog der Kulturen meinte Jose Oliver, dass man den nicht den Politikern überlassen und sich als Autor einmischen sollte. Ist das auch dein Auftrag als Schriftstellerin?

Silke Scheuermann: Ich finde das gut. Einzelpersonen und Einzelkontakte halte ich für sehr wertvoll, weil die sich weiterstreuen. Politiker geben nur Statements ab und mit den Statements mauern sie schon. In Deutschland gibt es einen Aufklärungsbedarf und man macht etwas mit einem anderen Standpunkt als die Politiker.

Über was sollte deiner Meinung nach aufgeklärt werden ?

Silke Scheuermann: In den Nachrichten steht zum Beispiel der Krisenherd Saudi-Arabien im Mittelpunkt. Da geht ein kleines Land wie der Libanon unter. So erfährt man was darüber.

Stadtschreiber gibt es nicht nur im Libanon, sondern auch in Ägypten, Syrien, Marokko, Palästina und Jordanien. Es geht um den Dialog mit der gesamten arabischen Welt.

Silke Scheuermann: Ja, es schadet nie im Gespräch miteinander zu sein. Einige Leute dachten, als Frau müsste ich mich in Beirut verschleiern, wenn ich auf die Strasse gehe. Und das waren wirklich keine blöden Leute. Da ist der Dialog in jedem Fall wichtig. Ich finde sehr interessant hier, nur ein bisschen kurz. Länger wäre alles entspannter.

Die Muslime sind viel kritischer, krasser

Was fandest du hier besonders interessant, beeindruckend, überraschend?

Silke Scheuermann: Das habe ich alles in meinem Tagebuch geschrieben.

Das ist alles? Im Libanon spielt religiöse Zugehörigkeit eine große Rolle. Hast du Unterschiede in der Mentalität, Haltung, Gewohnheit von religiösen Gruppen festgestellt, z.B. zwischen Muslime und Christen, den beiden größten Religionsgemeinschaften?

Silke Scheuermann: Die Muslime sind viel kritischer, krasser. Man merkt das an so Kleinigkeiten wie beim Essen. Wenn man nicht alles versucht, sind Muslime eher beleidigt, weil es eine Verachtung ihrer Kultur schon bedeutet, und schon erscheint man als arrogant.

Was meintest du mit "kritischer" ?

Silke Scheuermann: So wie sie mir gegenüberstehen. Die Christen denken eher, wir haben was Gemeinsames. Die Muslime sind eher abwartend beobachtend. Beim Essen wollte ich die Nachspeise nicht, da fühlte man sich gleich persönlich beleidigt.

Sonst noch etwas?

Silke Scheuermann: Na ja, ich finde schon interessant, wie junge Drusen leben, was die für Probleme haben, dass die zum Beispiel unter sich heiraten. Was ich auch nicht geglaubt hätte, ist, dass der Reichtum so protzig zur Schau gestellt wird. Das ist fast unverschämt. Das Klischee der reichen Libanesen hat sich doch leider bestätigt. Dass die Hausmädchen aus Siri Lanka oder den Philippinen wie Sklaven gehalten werden. Das sind Zustände mit denen habe ich nicht gerechnet. Und dann die schreckliche Umweltverschmutzung.

Das deutsch-arabische Literaturforum MIDAD ist ein Projekt der Goethe-Institute Nahost/Nordafrika, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes. Das MIDAD-Projekt "Stadtschreiber" wird in Zusammenarbeit mit den Literaturhäusern in Deutschland durchgeführt und von ARTE als Medienpartner unterstützt.