Polizei verhindert politische Flashmob-Aktion in Moskau

Der Flashmob-organisierte Kundgebung sollte sich gegen Neonazis richten; Putin kritisierte das in erster Lesung angenommene neue Demonstrationsgesetz, das nahezu alle Kundgebungen verbieten würde

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In Spanien könnten Flashmobs mit dazu beigetragen haben, dass die konservative Regierung abgewählt wurde. Nach der Desinformationspolitik der Aznar-Regierung nach den Anschlägen vom 11. März fanden am Samstag Abend vor den Wahlen vor den Parteigebäuden der Volkspartei Kundgebungen gegen die Regierung und ihre Irak-Politik statt. Zusammengerufen wurden die Teilnehmer an den spontanen, ungenehmigten Demonstrationen neben Mund-zu-Mund-Propaganda über SMS, Chat und Internet (Flashmobs gegen die spanische Regierung).

Einen politisch motivierten Flashmob hatte es das letzte Wochenende auch in Moskau gegeben. Flashmobs sind meist mehr oder weniger gelungene Dada-Aktionen, bei denen die einander oft unbekannten Teilnehmer plötzlich zu einer vorgeschlagenen Zeit an einem Ort auftauchen, irgendwelche absurden Dinge machen und dann wieder verschwinden (Ein bisschen Spaß muss sein). Genau diese Möglichkeit einer Schwarmbildung über Internet oder Handy, auf die Schnelle eine Versammlung durchführen zu können und nach einer gemeinsamen Aktion ebenso schnell sich wieder aufzulösen und in der Anonymität zu verschwinden, macht Flashmobs auch für unangemeldete und für die Polizei überraschende politische Kundgebungen interessant.

Just das sollte auch ausgenutzt werden, um am Sonntag um 13 Uhr mehrere hundert Menschen am Grab des unbekannten Soldaten vor dem Kreml für zwei Minuten zusammen kommen zu lassen, um Blumen und schwarze Hakenkreuze zu deponieren. Zwei Tage vor Hitlers Geburtstag sollte damit gegen die Umtriebe von Neonazis und die Attacken auf Ausländer demonstriert werden, wie Andrei Sharomov von der Partei SLON (auf deutsch: Elefant) und Mitorganisator des Flashmob erklärt. Man habe auch deswegen die Form eines Flashmob gewählt, um keine Genehmigung einholen zu müssen:

Wir sagten dies der Polizei nicht. Es handelt sich nur um friedliche Bürger, die ihren Geschäften nachgehen und nur kurz stehen bleiben, um Blumen niederzulegen.

Es kamen zwar auch 150 Teilnehmer, doch möglicherweise hat die Polizei das Vorhaben auch mitbekommen. So waren die Eingänge zum Mahnmal am Vormittag wegen Bauarbeiten gesperrt und mit Polizeiabsperrungen gesichert worden. Auch den bereits sicherheitshalber vorgeschlagenen Plan B, die Blumen und Hakenkreuze an der nahegelegenen Statue von Marschall Sukow niederzulegen, hat die Polizei vereitelt und diese ebenfalls abgezäunt. Zudem waren Polizeieinheiten in der Gegend unterwegs. Um noch überraschen zu können, müssten Flashmobs in Zukunft sich wohl andere Kommunikationswege als Websites nutzen.

Wie die Moscow Times berichtet, irrten die Flashmobbers einige Minuten umher und wussten nicht, was sie tun sollen. Dann legten einige Teilnehmer doch ihre Blumen und die auf Papier gemalten Hakenkreuze vor die Abzäunung der Sukow-Statue. Eine städtische Angestellte, die sich in der Absperrung aufhielt, nahm die Blumen und brachte sie zur Statue, während sie die Papiere mit den Hakenkreuzen wegschmiss.

Ausgerechnet Russland hatte in der UN-Menschenrechtskommission eine letzten Freitag angenommene Resolution gegen die Glorifizierung der Nazis initiiert, während nun gleichzeitig eine harmlose Kundgebung aufwändig verhindert wurde

Das Demonstrationsverhinderungsgesetz

Warum die Polizei die Aktion unbedingt verhindern wollte, ist nicht bekannt. Neben den Oppositionsparteien hat nun auch der russische Präsident Putin erst letzte Woche das in der ersten Lesung mit großer Mehrheit angenommene neue Demonstrationsgesetz kritisiert. Es dürfe nicht zu Einschränkungen der Bürgerrechte führen, in der Tat würde es das demokratische Recht auf Kundgebungen weitgehend außer Kraft setzen.

Nach dem Gesetz wären Demonstrationen vor allen Regierungs- und Behördengebäuden, vor Botschaften und Schulen, aber auch vor Sportstätten, Konzerthallen oder Krankenhäusern sowie auf großen Straßen verboten. Überdies müssten Anträge für die Genehmigung von Demonstrationen spätestens 10 Tage zuvor eingereicht werden. Verweigert werden kann eine Kundgebung auch, wenn sie "nicht den allgemein gültigen Normen der Moral" entspricht.

Russlands taktische Schritte zum Thema Menschenrechte

Eine andere, ebenfalls angenommene und von Russland unterstützte Resolution fordert alle Staaten auf, entschlossen gegen Rassenhass, Diskriminierung, Intoleranz und Gewalt aufgrund religiöser Intoleranz vorzugehen. Zuvor hatte der Sonderberichterstatter seinen Bericht über aktuelle Formen des Rassismus vorgelegt, in dessen Zentrum die negative Haltung gegenüber Religionen, besonders gegenüber dem Islam stand, der fälschlicherweise oft mit Menschenrechtsverletzungen und Terrorismus verbunden werde. Obgleich Russland hier wegen seines Vorgehens in Tschetschenien selbst schon lange unter Kritik steht, stellte es sich im Unterschied zur EU und den USA hinter diese Resolution, möglicherweise auch deswegen, weil am Donnerstag zuvor der Resolutionsentwurf der EU abgelehnt worden ist, in dem Russland wegen der humanitären Situation in Tschetschenien kritisiert wurde.

Auch die von Russland selbst initiierte Resolution, die sich vor allem gegen die aktuelle Verherrlichung der Waffen SS richtet, aber auch allgemein gegen Versammlungen und Organisationen von Mitgliedern der ehemaligen Waffen SS und anderen Nazi-Anhängern, könnte womöglich als Ablenkungsmanöver von Tschetschenien dienen. Auch gegen sie stimmten die europäischen Länder, Japan und die USA, was den russischen Außenminister Fedorov erstaunt erklären ließ: "Ich verstehe nicht, wie man gegen eine Resolution stimmen kann, die sich gegen ein solches hässliches Phänomen richtet. Offensichtlich folgen sie ihren eigenen Überlegungen. Wenn dies so ist, dann sollten sie dies uns mitteilen." Die irische UN-Botschafterin sagte, man verurteile jede Form der Intoleranz, auch den Neonazismus, doch habe man der Resolution nicht zugestimmt, weil sie sich nicht gegen den Neonazismus "in einer globalen und ausgewogenen Weise" richtet. Der Zeitpunkt und die Motivation Russland wurden von ihr in Frage gestellt.

In der Resolution, die vor allem Besorgnis über die Errichtung von Denkmälern für die Waffen SS äußert, wird kein bestimmtes Land genannt, aber es wird angenommen, dass sie sich gegen Lettland richten könnte. Dort wurde letztes Jahr ein Denkmal für die lettische Legion, einem Teil der Waffen SS, errichtet. Nach lettischen Politikern wurde diese nicht aufgrund der Nähe zu den Nazis gebildet, sondern um gegen die Sowjets zu kämpfen. Seit die baltischen Länder sich von Russland getrennt und vor allem der Nato beigetreten sind, gibt es Spannungen zwischen den Ländern.

Fedorov erklärte hingegen, dass in einer "Reihe von Staaten" Gruppierungen von ehemaligen SS-Offizieren nahezu legal auftreten können, obgleich dies eine Revision der Nürnberger Strafgerichtsprozesse darstelle:

Die Kommission hat erneut bestätigt, dass es keinen Platz für ehemalige SS-Mitglieder, Kriegsverbrecher, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Chauvinismus und andere extremistische Phänomene in der zivilisierten Welt gibt.