Preise sind nicht alles: Warum wir eine neue ökonomische Bewertung brauchen

Seite 3: Technokratische Dystopie

Viele heutige linke Fürsprecher von Planwirtschaft orientieren sich an einem Cybersozialismus und an einer (selbst sozialtechnologisch unpraktikablen) gesamtgesellschaftlichen Arbeitszeitrechnung.

Sie revitalisieren jene Euphorie für Kybernetik und Informatik, die kurzzeitig vor 60 Jahren in der Sowjetunion und DDR existierte. Diesen sozialtechnologischen Konzepten fehlt das Bewusstsein dafür, dass ein "aggregierter Bilanzierungsversuch tendenziell dazu verleitet, die Komplexität sozialer Phänomene durch Homogenisierung zu übergehen" (Pfriem 2011, 188).

Ein auf links gedrehter technokratischer Utopismus (wie bspw. bei Schaupp, Jochum 2019) präsentiert allerhand Vorstellungen von "kybernetischer Steuerung". Wer es darauf absieht, muss vom Unterschied zwischen betrieblicher und gesamtgesellschaftlicher Planung und vom Gegensatz zwischen der Utopie kybernetischer Gesellschaftssteuerung und der deliberativen (die Bevölkerung zur gemeinsamen öffentlichen Beratung und Erwägung bringender) Demokratie absehen.

Die Autoren belassen es bei imponierenden technizistischen Schlagworten und vagen Verheißungen. Das hilft, die Konsequenzen nicht ziehen zu müssen, die in solchen Konzepten angelegt sind.

Die sowjetischen Vertreter dieses Denkens haben seinerzeit mit dessen Implikationen nicht Versteck gespielt: "Das automatisierte System der Leitung der Volkswirtschaft der UdSSR wird das umfangreichste und das komplizierteste Mensch-Maschine-System der Welt darstellen" (Maiminas 1968, 164).

Es "erfordert insbesondere den Einsatz von Psychologen und Spezialisten für die Ergonomik (Mensch-Maschine-System), um die Gewähr zu geben, dass die Arbeiten der menschlichen und der maschinellen Blöcke aufeinander abgestimmt sind, dass ihre Kommunikation und Wechselwirkung reibungslos verlaufen und die Störanfälligkeit des gesamten Systems (darunter auch gegenüber subjektiven Faktoren) sehr gering gehalten wird" (Ebd., 162).

Wer alles berechnen will, muss dafür erst alles berechenbar machen.

Vom Regen in die Traufe?

Ein zentraler Grund für die Schwäche radikaler sozialer Bewegungen resultiert aus einem Missverhältnis. Viele Probleme haben ihre Ursache in der kapitalistischen Ökonomie. Daraus folgen wohl negative, aber keine positiven Antworten auf die Frage: Wie können eine Gesellschaft und ihre Wirtschaft, die sich sowohl von der kapitalistischen Marktwirtschaft als auch vom "Staatssozialismus" unterscheiden, funktionieren?

Die neue Gesellschaftsordnung weist eigene Kompatibilitätsanforderungen auf. Das wirft die Frage auf, ob sich Strukturen und Institutionen einer nachkapitalistischen Gesellschaft miteinander "vertragen". In der bisherigen Diskussion bleibt z. B. unbeantwortet, wie nachkapitalistische Gesellschaften ohne Märkte und wie sie mit Märkten auskommen können (vgl. Creydt 2020).

Keynes stellte bereits 1933 fest: Der Kapitalismus "ist kein Erfolg. Er ist weder intelligent noch schön, er ist weder gerecht noch tugendhaft – und außerdem funktioniert er nicht. Kurz gesagt, wir mögen ihn nicht und fangen an, ihn zu verachten. Wenn wir allerdings darüber nachdenken, was wir an seine Stelle setzen sollen, sind wir völlig ratlos."

Manche meinen, wie Münchhausen sich an ihrem eigenen Schopf aus diesem Problemsumpf herausziehen zu können. Sie bieten Patentrezepte an, die sich von den zugrunde liegenden Schwierigkeiten keine Rechenschaft ablegen.

Insofern sind sie nicht in der Lage, auf eine Ambivalenz zu antworten, die heute bei kapitalismuskritischen Mitmenschen weit verbreitet ist. Zwei Positionen koexistieren. Die erste lautet: "Notwendig ist eine grundlegende Alternative zur kapitalistischen Art und Weise des Wirtschaftens, die sich nicht an deren Erfolgskriterien ausrichtet."

Dazu steht eine zweite Position im Konflikt: "Die Überwindung der kapitalistischen Strukturen ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung dafür, dass die nachkapitalistische Wirtschaft immanent funktioniert. Letztere kann sich aus ihr eigenen Inkonsistenzen und Unverträglichkeiten selbst blockieren. Tut sie das, kommt es trotz der Verabschiedung der kapitalistischen Probleme zu anderen, aber unter Umständen nicht minder gravierenden Problemen."

Zu diesen bislang unzureichend durchdachten bzw. konzeptionell nicht bewältigten Problemen gehört prominent das Verhältnis zwischen Qualität und Quantität.