Profilneurosen auf Hochglanz

Die Berliner Politikszene hat sich ein ganz eigenes Medienumfeld geschaffen - doch die Publikationen lassen die Haare zu Berge stehen

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Die Bundesrepublik muss erneuert werden! Oder zumindest reformiert. Innovation ist gefragt! Zum Beispiel durch das "Neue Europäische Sozialmodell". Oder Hasso Plattner. Ein Streifzug durch die Publikationen, die die Berliner Republik vielleicht besser abbilden, als es Talkshows jemals können.

Ein Adler musste es schon sein, darunter gibt man sich nicht zufrieden: Der selbsternannte, parteiunabhängige ThinkTank BerlinPolis gönnt sich und der Haupstadtszene ein neues Magazin - passenderweise auch gleich mit dem Namen ThinkTank. Eben solche "Denkfabriken" spielen in der Berliner Republik eine Rolle, wie sie noch vor Jahren kaum denkbar gewesen wären.

Zwar können sich die wenigsten privaten Institutionen mit dem Output der regierungsgetragenen Institute wie dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) oder der Stiftung Wissenschaft und Politik messen. Doch seit fünf Jahren setzt sich Berlinpolis nun für dieses und jenes ein, veranstaltet Schülerwettbewerbe, Konferenzen und setzt sich in den berühmt-berüchtigten Kuschelrunden zwischen Wirtschaft und Politik in Szene - oder bietet hierfür einen unabhängigen Rahmen. Nun gönnt man sich also ein Magazin, auf dessen Deckblatt ein Kunstwerk prangt, das einen "jungen Adler" darstellen soll. Natürlich auch gleich als Sonderdruck zum angemessenen Preis erhältlich.

Was man im Heft findet, ist inhaltlich nicht der Rede wert. "Deutschland - Ein Land mit Gründergeist" nennt man einen Thementeil, in dem Wirtschaftsvertreter wie Eran Davidson von HassoPlattnerVentures, der Wagniskapitalfirma von SAP-Gründer Hasso Plattner, Staatssekretäre und Abgeordnete ihr Scherflein zur gesellschaftlichen Nichtdebatte um eine neue Gründerzeit zu Papier bringen dürfen. Papier ist geduldig, der Leser auch. Und blättert weiter. Was noch zu finden ist? Innovation. Und als wirklich lesenswerter Aufsatz die Dekonstruktion des Begriffs durch Wolf Lotter - leider auch der einzige Grund, das Heft überhaupt in die Hand zu nehmen.

Da liest sich das Hofmagazin einer anderen Gruppierung doch deutlich besser: Berliner Republik heißt die Publikation aus dem Umfeld des Netzwerk Berlin, ein Zusammenschluss jüngerer sozialdemokratischer Abgeordneter. Hier wird unter der Chefredakteursägide von Tobias Dürr, Bürochef des Interrims-SPD-Vorsitzenden Mathias Platzeck, schon deutlich mehr geboten: Hier geht es um nichts Geringeres als die Zukunft der Sozialdemokratie, Wertewandel und - natürlich - das politische Geschehen in Berlin. Abgeordnete, Wissenschaftler und Journalisten schreiben hier, was sie denken. Gut, etwas mehr Redaktion würde dem Heft nicht schaden:

Gibt man im Internet bei Google "ESM" ein, erscheinen 11.200.000 Einträge! Eine solche Verbreitung des Begriffs spiegelt womöglich die Tatsache wider, dass das ESM, wie vieles andere rund um die Europäische Union, im Kern umstritten ist.

Wer diesen Unfug verzapft, ist niemand geringeres als Anthony Giddens, ein britischer Soziologe. Dass ESM nicht überall im Netz für "Europäisches Sozialmodell" steht, dürfte eigentlich jedem klar sein.

Etwas weiter hinten im gleichen Heft darf der Bonner Politikwissenschaftler Volker Kronenberg einer Wiederbelebung eines Patriotismusgedankens das Wort reden. Und fordert "Konkret sollte die historische Vermittlung des von Hoffmann von Fallersleben verfassten 'Deutschlandliedes' und das Erlernen seiner dritten Strophe in den Schulen verbindlich gemacht werden." Sozialdemokraten, ick hör dir trapsen: die Resozialisierung von Paul Noltes im Historikerstreit ins Abseits geratene Werk an unerwartetem Ort. Wer wissen will, mit was sich der modernere Teil der SPD sonst noch so alles beschäftigt, der findet in der kurzweiligen "Berliner Republik" doch deutlich mehr als im traditionellen Sozialdemokratenblatt, dem Vorwärts.

Mit viel Brimborium ging Cicero im April 2004 als Autorenmagazin an den Start. Der Schweizer Ringier-Verlag wollte der Berliner Republik geben, was die Republik repräsentieren würde: Hochglanz, Glanz und Glamour. Und genau das ist bis heute das Konzept: weltläufiges Namedropping, Verlautbarungsjournalismus auf hohem Niveau. Und hin und wieder ein Skandälchen. So verneint aktuell eine Tagesschausprecherin in Cicero die Emanzipationsvorstellungen, die der Rest der Republik in Alice Schwarzer personifiziert sieht. Warum gerade eine Tagesschausprecherin? Nun, immerhin kennt jeder Bürger ihr Gesicht. Und die Pflichtfernsehgucker in Berlin sowieso. Wirtschaftlich darf sich das Prestigeprojekt des Ringier-Verlages langsam als erfolgreich fühlen - die verkaufte Auflage und Abonnentenzahlen steigen seit dem Start des Magazins kontinuierlich leicht an.

Doch Cicero hat ein kleines Geschwisterkind. Das würden weder Ringier noch der Politik & Kommunikation herausgebende Helios Media-Verlag jemals in dieser Form äußern, und doch liegt diese Schlussfolgerung nahe: Sie fahren beide ein ähnliches Konzept. Das kleine Magazin ist zwar schon ein paar Monate älter als Cicero, doch bedient es die gleichen Geschmäcker - nur auf der Ebene darunter: die der Kofferträger mit Karrierebewusstsein. Wer Abgeordnetengeburtstage, den Klatsch aus der Bundestagskantine und die Köpfe Berlins ach so wichtiger Lobbyisten kennen will, der greift zur Gala für den politischen und Verwaltungsnachwuchs. Namedropping ist auch hier das A und O, wer für die Lektüre länger als 20 Minuten benötigt, sollte einen Besuch beim Augenarzt in Erwägung ziehen.

Sehen und gesehen werden, das ist das Schmiermittel in der Berliner Republik; Gesichter und Namen sind es, die den Betrieb gestalten - könnte man zumindest annehmen, wenn man sich diese vier und ähnliche Magazine anschaut. Nein, es steht nicht gut um die Hauptstadtsalons, wenn alles, was sie auf 40-100 Seiten Hochglanz pressen können, so aussieht. In Deutschlands politischen Etagen könnte man sicherlich besseres tun, als Besinnungsaufsätze für derartige Publikationen zu verfassen.