Projektionsfläche für Ideen und Visionen

Bergtour durch den Berliner Palast der Republik

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Bergsteigen mitten in Berlin, auf einen weißen Hügel direkt am Schlossplatz, der aus der Ruine des Palastes der Republik ragt? Bevor das letzte große Symbol des DDR-Staates in diesem Jahr abgerissen wird, übernehmen Künstler dort die Regie. Damit zeigen sie einmal mehr eine Alternative zum Abriss und einer möglichen Nutzung der Palastruine auf, die in den letzten Jahren als Veranstaltungsort Kultstatus erlangte.

Der Palast am Schlossplatz. Foto: David Baltzer

Das Projekt Volkspalast – Der Berg macht den Bau zum letzten Mal vom 4. bis zum 26. August für Besucher zugänglich. Neben 35 anderen Künstlern plante und baute die Architektengruppe Raumlabor einen begehbaren Berg in der Mitte des Palastes. Wanderwege führen kreuz und quer durch die Ruine. Die Tour ist weniger als körperliche Ertüchtigung geplant, denn als Exkursion in Gegenwart und Geschichte des Baus, in ein zerklüftetes Betonmassiv.

Ein kühler Luftzug sorgt für einen alpinen Hauch im schattigen Foyer des Palastes, während draußen die Sonne Berlin auf über 30 Grad aufheizt. Auf bis zu 44 Metern Höhe wächst das weiße Kunstgebirge und soll aus dem Dach um12 Meter heraus ragen. Ein Gerüst mit einem Volumen von 10.000 Kubikmetern, über die 5.000 Quadratmeter Spezialfolie spannen. Von oben betrachtet sieht das aus wie ein gigantischer Iglu. Der Gipfel schaut aus wie das Matterhorn. „Volkspalast – Der Berg“ ist eine begehbare und bespielte Rauminstallation mit Performances, Ausstellungen und Führungen, die „sensationelle Einblicke in die Baustruktur“ der Palast-Ruine erschließen, verspricht die künstlerische Leiterin Amelie Deuflhard.

Mount Eventerest im Großen Saal. Montage: Raumlabor Berlin

Aber wozu braucht man dafür einen Berg? Für Benjamin Foerster-Baldenius von der Architektengruppe Raumlabor, der als „künstlerischer Bergleiter“ das Projekt initiierte, eine schwer zu beantwortende Frage. Der Berg schaffe auf seine Weise eine Tabula rasa der Diskussion um den Schlossplatz, auf dem nach dem Palastabriss einmal das Stadtschloss wieder aufgebaut werden soll. Hier biete sich der Berg als eine Projektionsfläche für Ideen und Visionen an. Als ein Ort der Sehnsucht, an dem die Gedanken schweifen können, sich Berlins zentralsten Platz auch ohne Preußen-Residenz vorzustellen. So stellt der Berg als Raum gewordener Widerspruch die Funktion des Ortes in Frage: Was soll denn hier noch hin?

Tour durch die Ruine. Foto: Jörg Brause

Über diese Frage können Besucher meditieren auf einer Rundwanderung quer durch das Betonmassiv. Viel steht nicht mehr vom Berliner Prestigebau der DDR. Als 2003 die Asbestsanierung abgeschlossen war, blieb ein rostiges Stahlskelett und viel nackter Beton zurück, in dem bis auf die tragenden Wände und Treppen fast alles entfernt wurde. Das Ganze eine weitläufige, düstere Leere.

Auch wenn die Bevölkerung den 1976 eröffneten Palast als „Erichs Lampenladen“ verspottete, erfreute sich der Bau doch großer Beliebtheit. Denn im Haus residierte nicht nur die Volkskammer und wurden nicht nur öffentliche Ehrungen der ‚Werktätigen’ zelebriert.

Hier tanzte das Fernsehballett der DDR im Veranstaltungssaal, der mit allen erdenklichen technischen Finessen ein Multifunktionswunder war. Da konnte auch schon mal eine Eislaufshow starten. Die zahlreichen Restaurants, Cafés und Bars standen den Bürgern offen. Mit täglich 15.000 Besuchern war es der meist besuchte Ort im Ostberliner Zentrum. Irgendwie auch ein Volkshaus, in dem mancher sich auf Bällen verliebte und dann seine Hochzeit feierte. 1990 gingen dann die Lichter aus.

Tour durch die Ruine. Foto: Jörg Brause

Doch 13 Jahre später strömten die Besucher wieder in den Rohbau, in dem sich kaum noch Spuren seiner Vergangenheit finden lassen. So wird ein Rundgang zur Suchbewegung der Erinnerung und mit der Berg-Aktion auch nach der Zukunft. Wenn Besucher auf einer Brücke in vier Metern Höhe den Veranstaltungssaal überqueren, von dem nur noch das Holzgerippe der Sitzreihen steht, bietet sich ihnen ein Panoramablick auf den Gipfel des Palastberges, den „Mount Eventerest“.

Den Gang umspielt eine Klanginstallation von Paul Plamper und Julian Kamphausen, die eine Verbindung aus Architektur und Erinnerung herstellt. Sie mixen Geräusche aus der Natur mit Erzählungen von Bergsteigern, mit Aufnahmen von Originalsitzungen des Parlaments der DDR, dem Kulturprogramm des Palastes und schlagen den Bogen in die Gegenwart zum Berliner Bankenskandal.

Aber die fröhliche Musik ist schnell vergessen, wenn die Wanderer auf der Außengalerie auf einer Hochebene ins Foyer gelangen: kein idyllischer Ort. Da konfrontiert die Ausstellung „Abriss und dann? X Ideen für den Berliner Schlossplatz“ die Spaziergänger mit Visionen zur Vergangenheit und Zukunft des Palastes. Der Abbruch der Ruine steht fest, aber die Zukunft der entstehenden Leerfläche ist noch offen. Den Wideraufbau des Stadtschlosses hat der Bundestag zwar beschlossen. Aber wegen der milliardenschweren Investition macht sich doch Hoffnung breit, da könnte noch was anderes gebaut werden.

Der Berg durchbricht den Palast. Montage: Raumlabor

Oder stehen bleiben? Auf den ersten Blick scheint alles möglich, auch ein neues Nutzungskonzept für den Palast. Etwa als Minigolfanlage, denn mit seinen vielen offenen Ebenen gibt es dafür viel Platz, frei von witterungsbedingten Einflüssen. Das schlagen zumindest der Wiener Architekt Michael Zinganel und seine Kollegen vor.

Vorbei an solchen Gedankenspaziergängen wandern die Besucher dann weiter über das von Künstlern besiedelte Bergareal. Nicht nur das Gebäude inspirierte die Künstler zu Routen. Der Berg füllt nicht nur eine Leerstelle aus, er wird selbst zum Thema. Wanderer müssen nach dem Rundgang wählen, ob sie weiter auf dem Weg für Pilger, Philosophen oder Bergsteiger gehen. Wer sich als Philosoph oder Pilger auf den Weg macht, für den stehen Theorie und Kontemplation auf dem Programm. Der Palast wird zu einer dreistöckigen Agora, in der zum Beispiel Hannah Hurtzig und Moritz Rinke ein „Berlinum“ über das Verschwinden des Palastes aufführen.

Acht internationale Architekturbüros inszenierten den Bergsteigerweg als Erlebnispfad, auf dem sie sich die Widrigkeiten des Gebäudes zunutze machen. Da muss geklettert werden, um Schluchten zu überqueren, die in den Betonböden allenthalben klaffen. Nur in einer Seilschaft können sich die Besucher fortbewegen – Künstler gestalten eine Performance als Rettungsaktion. Klar, dass da auch Alois Trenker nicht mehr fern ist, auf dessen Idealisierung der alpinen Heimat angespielt wird.

Der Palast wird zu einem urbanen Abenteuer. Eine Abschiedstour, die viele alternative Wege aufzeigt, Berlins zentralen Platz wider alle Ödnis als öffentlichen Ort zu beleben.