Putin, der Herrscher der Herzen einflussreicher Mönche

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Der russische Präsident zu Besuch in Griechenland: Höhere Weihen auf Athos

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Die Griechen hatten am Wochenende die Gelegenheit, den Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin im eigenen Land kennenzulernen. Aus der Ferne gilt er in vielen Kreisen als verklärter Held, als der Staatspräsident, welcher den US-Amerikanern Paroli bietet und die Großmachtsehnsüchte der Türkei begrenzt.

Für Wladimir Putin war es der erste Besuch in einem EU-Land seit 2014, dem Beginn der EU-Sanktionen gegen Russland wegen der Annexion der Krim und der darauf folgenden russischen Antwort, dem Embargo von EU-Importen.

Die wirtschaftlichen Aspekte

Dieses Embargo schadet den Griechen, deren Landwirte in den Russen die besten Kunden fanden, mitten in einer durch die Finanzkrise ruinierten Wirtschaftslage. Aufgehoben wird das Embargo von russischer Seite jedoch erst, wenn die EU als Ganzes ihre Sanktionen beendet, verlautete Putin über die russische Nachrichtenagentur Sputnik.

Trotzdem unterschrieben Griechenland und Russland zahlreiche Kooperationsverträge. Putin liebäugelt zum Beispiel mit dem Kauf des Schienenverkehrsunternehmens TrainOse und des Hafens von Thessaloniki. Vor sieben Monaten hatte sich Russland aus den gleichen Privatisierungen als Interessent zurückgezogen, an denen nun, wie Putin versicherte, doch wieder Interesse besteht.

Er zeigte, zumindest öffentlich, keine Verärgerung darüber, dass Tsipras knapp eine Woche vor seinem Besuch feierlich die Erdgaspipeline TAP eingeweiht hatte. Die so genannte Trans-Adria-Pipeline (TAP) war eine Entscheidung gegen die Interessen des russischen Staatsunternehmens Gazprom. Die Abhängigkeit der EU von russischen Gaslieferungen wird durch die TAP erheblich gemindert.

Als das Projekt begonnen wurde, gehörte Alexis Tsipras zu den ärgsten Kritikern. Nun feierte er zusammen mit den Repräsentanten des investierenden aserbaidschanischen Gasunternehmens und der politischen Führung Aserbaidschans TAP als größte ausländische Investition. Insgesamt 1,5 Milliarden Euro soll die Pipeline ins Land spülen.

Demgegenüber stehen bereits bestehende Investitionen von Russen in Höhe von 700 Millionen Euro, was Tsipras in seiner Ansprache bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Putin am Freitag bekannt gab. Zusätzlich dazu erhoffen sich die Griechen für 2016 mehr als eine Million Touristen aus Russland. Die Türkei als ärgster Konkurrent fällt in der gegenwärtigen politischen Lage wegen der Haltung des türkischen Präsidenten Erdogan im Konflikt um Syrien weg.

Die politischen Aspekte

Damit der Tourismus aus Russland für Griechenland noch einträglicher wird, müssen die Griechen die Frage der Visa-Bestimmungen und der für den Tourismus notwendigen Einreise der Russen in den Schengen-Raum lösen. Die Visa-Frage beschäftigt Putin indes nicht nur für den Badeurlaub seiner Landsleute, sondern auch aus knallharten geschäftlichen und politischen Interessen.

Tsipras bot Griechenland erneut als Brückenkopf und Vermittler zwischen Russland und der EU an. In ihren öffentlichen Äußerungen sind die Vertreter der Rechts-Links-Koalition aus den Unabhängigen Griechen und Syriza betont prorussisch. Daran ändert sich kaum etwas, wenn die Griechen bei der Regierung der USA um Hilfe im Streit mit den Kreditgebern bitten.

Putin und der griechische Präsident Pavlopoulos. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Putin war sich dessen bewusst, als er in Athen einen verbalen Frontangriff auf die NATO und die Türkei startete. Dabei verurteilte er die im Gespräch stehende Aufnahme von Montenegro ebenso wie den geplanten, gegen Moskau gerichteten Raketenabwehrschirm der NATO in Rumänien. Teilweise erinnerte, zumindest in der Übersetzung, der Duktus des russischen Präsidenten an die Zeiten des Kalten Krieges und der Sowjetunion.

Ganz anders scheinen sich die Dinge in Bezug auf die Beziehungen zur Türkei zu bewegen. Den Griechen missfiel es nicht, dass Putin den Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei mit schärfsten Worten verurteilte. Schließlich beklagt sich Griechenland selbst über Dutzende täglicher Luftraumverletzungen durch die türkische Luftwaffe.

Hinter den Kulissen setzt Putin jedoch offenbar auf eine Normalisierung der Beziehungen zur Türkei und möchte den Wechsel im Premierministeramt vom scheidenden Ahmet Davutoglu zu Binali Yıldırım zum Anlass dafür nehmen. Das jedenfalls wurde während des Staatsbesuchs von Putin in journalistischen Kreisen in Athen diskutiert.

Es ist offensichtlich, dass Putin das unter russischen Einfluss geratene Athen als eine Art Eintrittstor und Druckmittel gegen EU und NATO einsetzt. Auf der Gegenseite sieht es nicht danach aus, als ob Russland gewillt und in der Lage ist, den Griechen in der gegenwärtigen Situation so effektiv unter die Arme zu greifen, dass sich das Land aus der Abwärtsspirale der diktierten Austerität befreien kann. "Wenn Du Schulden hast, dann haben die Gläubiger ein Problem nicht Du", riet Putin Tsipras.

Es kann nur einen geben! Der Herrscher der Mönche

An kaum einem anderen Ort zeigte sich Putins Einschätzung der Griechen als Juniorpartner und nicht als gleichberechtigte Bundesgenossen so sehr wie auf dem Berg Athos. Die autonome Mönchsrepublik wird außenpolitisch von Griechenland vertreten und geschützt. Es ist bis auf Katzen keinem weiblichen Lebewesen gestattet, das heilige Gebiet zu betreten.

Innerhalb der Mönchsrepublik gibt es eine eigene Polizeigarde, die anders als die Schweizer Garde des Papstes unbewaffnet ist. Zur Unterstützung gibt es im Hafenort der Republik, Dafni, eine griechische Polizeistation. Täglich können gegen die Zahlung einer Visagebühr von 25 Euro insgesamt 100 Pilger das Areal betreten. Laut Gesetz stehen neunzig dieser Visa Griechen und zehn den übrigen Ausländern zu. Die Besucher werden ausdrücklich ersucht, weder zu rauchen, noch elektronische Geräte und erst recht keine Videokamera zu benutzen. Bei Verlassen des Geländes findet eine Zollkontrolle statt.

Schutz für Putin. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Am Samstag war alles anders. Akkreditierte Fotografen rannten mit ihren Kameras durch die Klostersiedlungen. Mönche hielten die Momente mit Tablets und Mobiltelefonen für ihr privates Album fest. Griechische Spezialeinheiten befanden sich überall auf der Insel. Scharfschützen versteckten sich in den unmöglichsten Ecken, während andere, offenbar zur Ablenkung gut sichtbar auf Balkonen der Gebäude platziert waren. Im gesamten Gelände der Mönchsrepublik wimmelte es von Russen mit Ohrstöpseln und schlecht sitzenden, an eindeutiger Stelle unter dem Arm ausgebeulten Anzügen.

Die Strände Chalkidikis in der Umgebung der Mönchrepublik wurden gesperrt. Der Hafen von Ouranoupolis, der Grenzstadt des weltlichen Griechenlands zur Mönchsrepublik, konnte nur mit Akkreditierung betreten werden. Auf der gesamten von Putin benutzten Strecke von Thessaloniki nach Athos gab es Sperren. Der Hafen von Tripiti, über den die vor Ouranoupolis liegende Insel Amouliani versorgt wird, war exklusiv für Putin gesperrt.

Putin reiste, anders als der griechische Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos, nicht mit dem Helikopter, sondern per Auto und Schiff auf den heiligen Berg. Die Schiffspassage wurde mit Kanonenbooten und U-Booten gesichert.

Im Laufe des Tages wurde deutlich, dass die Russen das Kommando hatten. Das ging so weit, dass ein griechischer Polizist recht verzweifelt die anwesenden griechischen Fotografen fragte, was er denn nur tun solle. In den Bereichen, in denen Putin sich befand, waren die auf Athos zahlreich vorhandenen Bettelmönche nicht sichtbar. Im üblichen Klosterbetrieb beherbergen die der Armut verschriebenen Mönche in aufopferungsvoller Weise die Pilger. Nur vereinzelt waren die sämtlichen weltlichen Freuden entrückten Männer mit ihren geflickten und zerrissenen Kutten vor der totalen Absperrung anzutreffen.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Die Russen feiern 2016 ihre tausendjährige Präsenz auf Athos. Im Jahr 1016 wurde im bis heute führenden Kloster der Republik, Agias Lavras, der russische Mönch Panteleimon urkundlich erwähnt. Sie haben ihr eigenes Kloster, Agios Panteleimonas, welches vom Meer aus gesehen wie eine kleine Trabantenstadt wirkt. Eigentlich wollten sie dieses Jubiläum mit einer offiziellen Feier krönen.

Hinter dieser Absicht vermutete der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäos offenbar ein Streben nach einer Hegemonie der Russen in der Mönchsrepublik. Geistig untersteht der Berg Athos dem Patriarchat von Konstantinopel. Seine Heiligkeit Bartholomäos ließ sich daher entschuldigen und empfing während Putins Besuch in Griechenland lieber den Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis, statt auf dem Berg Athos mit dem russischen Patriarchen Kyrill zusammenzutreffen. Der eigens aus Russland angereiste russische Patriarch organisierte im russischen Kloster einen "privat" genannten Empfang, von dem die Öffentlichkeit ausgeschlossen wurde.

Der öffentliche Teil fand daher an der Kathedrale Protatou statt. Doch auch hier gab es diplomatische Verwicklungen. In der Kathedrale wollte Putin einer kurzen, eigens für seinen Besuch gehaltenen Andacht beiwohnen. Die Andacht leitete der Abt des Klosters Agias Lavras, Pavlos, nominell der erste Mönch in der Hierarchie der Republik.

Neben Pavlos Thron gibt es einen zweiten, welcher, abhängig von der Anwesenheit, dem Patriarchen, einem Bischof oder dem weltlichen Herrscher zusteht. Der auf Athos befindliche weltliche Herrscher der Region war eigentlich der griechische Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos.

Die führenden Mönche wollten jedoch den finanziell spendableren Putin ehren. Zudem gibt es auf religiöser Ebene mit Putin weniger Reibungspunkte als mit der aktuellen griechischen Regierung, die den konservativen Pavlopoulos zum Staatspräsidenten machte. Pavlopoulos musste als repräsentativer Präsident die Gesetze zur Einführung der homosexuellen Ehe ebenso unterschreiben wie bald den Erlass zur Beendigung des Katechismus an griechischen Schulen.

Die diplomatischen Kreise um Pavlopoulos versuchten den Konflikt mit dem Aufstellen eines zweiten, gleichwertigen Throns zu überbrücken. Seitens der Mönche kam die Antwort, dass es nur einen Herrscher in der Kathedrale geben könne. Daraufhin verzichtete Pavlopoulos auf den Besuch der Andacht und bat darum, Putin vor der Kathedrale empfangen zu dürfen. Doch auch dies wurde ihm verweigert. Den Mönchen stünde der feierliche Empfang zu, hieß es. Für die Gemeinde der reicheren Mönche, welche die Geschicke auf Athos bestimmen, ist Putin der weltliche Herrscher ihrer Herzen.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Schließlich musste der düpierte Pavlopoulos in der Gemeindehalle von Karyes auf den Präsidenten warten. Erst nach Empfang durch die Mönche und der feierlichen Andacht kam Pavlopoulos aus dem Gebäude heraus, schritt sämtliche Stufen hinunter und empfing den Gast. Pavlopoulos ließ sich bei der abschließenden Pressekonferenz keinerlei Ärger über die diplomatischen Streitereien ansehen. Dennoch wirkte der in Griechenland für seine phlegmatische Art verschriene, aber auch immer professionell gefasst wirkende Pavlopoulos plötzlich emotional aufgewühlt.

Putin dagegen genoss sichtlich das gesamte Procedere. Sein ansonsten während des Besuchs in Griechenland immer ausdruckslos angespanntes Gesicht lockerte sich. Er betonte die gegenseitige Sympathie der beiden Völker.

Der Klatsch

Putin ist als fanatischer Nichtraucher und polemischer Antialkoholiker bekannt. Anders als sein ebenfalls Griechenland besuchender, kettenrauchender Außenminister Sergei Lawrow, wird dem Abstinenzler ein kompletter Verzicht auf Suchtmittel jeglicher Art nachgesagt.

Beim Abendessen mit Alexis Tsipras gab es anscheinend eine Ausnahme. Tsipras servierte beim Abendessen in Athen den traditionellen griechischen Tresterbrand Tsipouro. Ein doppelt oder dreifach destillierter, hochprozentiger Klarer, dessen Ursprung der Sage nach auf die Mönchsrepublik Athos zurückgeht. Tsipras erklärte seinem Besucher, dass Tsipouro ähnlich wie Wodka, nur etwas stärker sei. Putin meinte, dass Russen weder Raketen noch Wodka umwerfen würden und genoss das Getränk.