Quallen durchpflügen den Ozean

Eine neue Studie belegt, dass Charles Darwin doch Recht hatte: Meerestiere sorgen für viel Wirbel im Wasser und durchmischen die Ozeane gründlich

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Quallen sind eine echte Erfolgsgeschichte der Evolution, seit mehr als 500 Millionen Jahren bewegen sie sich in ihrer heutigen Form mit anmutiger Leichtigkeit durch die Weltmeere. Wie UFOs aus Gelee schweben sie im Wasser - von den Polargebieten bis zu den Tropen.

Ihre biologische Konstruktion ist simpel und äußerst effizient, sie bestehen zu mehr als 98 Prozent aus Wasser und aus zwei getrennten Hautschichten mit einer Gelschicht dazwischen. Sie verfügen über kein Gefäßsystem oder komplizierte Organe wie Hirn oder Herz, die Mundöffnung ist zugleich der After.

Ihre Gestalt erinnert an Schirme oder Glocken, unter denen die Tentakel sitzen. Ihre Haut ist bedeckt von Nesselkapseln, die bei Berührung Gift versprühen, wobei aus ihnen mit der Schnelligkeit einer Gewehrkugel Fangfäden herausschießen, die in die Beute eindringen, sich verhaken und dann mit Nervengift betäuben (ein Vorgang, den sich Medizintechniker zum Wohle von Spritzenphobikern abgeschaut haben). Neben ihren glibbrigen Körpern ist es vor allem die Giftigkeit der Medusen, die sie bei den Menschen trotz ihrer Schönheit (vgl. Drifters of the Deep und Jellies Living Art) so unbeliebt macht, vor allem wenn sie in Massen an Badestränden auftreten (siehe Mimosen und Medusen). An deutschen Küsten ist allerdings nur die Feuerqualle eine Gefahr, ihre Berührung verursacht Hautreizungen mit Brennen oder Jucken.

Einblick unter die Oberfläche des Quallensees auf der Pazifikinselgruppe Palau, Foto: Michael Dawson, University of California at Merced

Um zu schwimmen, ziehen Quallen ihr Schirme zusammen und dehnen sie anschließend wieder aus, durch die Rückstoßbewegung gleiten sie gezielt durch das Wasser (vgl. Vergleichende Tierphysiologie: Schwimmen durch Rückstoß).

Quallensee und Turbulenzen

Palau ist eine Inselgruppe in Ozeanien, südöstlich der Philippinen, bekannt als Tauchparadies und aktuell als neue Heimat ehemaliger uigurischer Guantanamo-Häftlinge (siehe 200 Millionen Dollar für die Aufnahme von Guantanamo-Insassen). Und Palau ist Heimat einer ganz speziellen Attraktion: der Quallensee, ein mit dem Meer durch Felsspalten verbundener Salzwassersee, in dem sich unzählige Quallen tummeln, die jeden Morgen in Massen aus den dunklen Tiefen des Wassers emporsteigen, um dann den ganzen Tag lang nahe der Wasseroberfläche der wandernden Sonne zu folgen. Kaum ist die untergegangen, verschwinden sie in die Mitte des Sees (Vgl.. Quallensee auf Palau).

Schon seit Jahren beobachten Forscher fasziniert das Verhalten dieser Nesseltiere, die auf kleinem Raum offenbaren, was ihre viele Verwandten in den Weiten der Weltmeere treiben.

Eine Qualle im türkisblauen Wasser des "Jellyfish Lake" auf Palau, Foto: John Dabiri, Caltech

Einer ganz speziellen Frage sind nun die Bioingenieure Kakani Katija und John Dabiri vom California Institute of Technology in Pasadena nachgegangen: Tragen die Tierchen zur Durchmischung der Ozeane bei? Und ihre verblüffenden Resultate veröffentlichen sie in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature. John Dabiri erklärt den Forschungsansatz:

Normalerweise gehen wir von der Perspektive aus, dass der Ozean mit seinen Strömungen, verschiedenen Temperaturen und chemischen Eigenschaften die Tiere beeinflusst. Aber es gibt zunehmend die Vorstellung, dass auch eine wichtige umgekehrte Einflussnahme passiert, dass die Tiere selbst durch ihre Schwimmbewegungen die Umweltbedingungen im Ozean beeinflussen.

Die Ozeane sind in ständiger Bewegung, die Wasserschichten durchmischen sich, Wärme, Nährstoffe und Gase werden ständig neu verteilt. Vorgänge, die auch für das globale Klima von entscheidender Bedeutung sind. Forschungen in den letzten Jahren hatten sich mit den von große Plankton- oder Fischschwärmen verursachten Wasserbewegungen beschäftigt, waren aber letztlich zu dem Schluss gekommene, die Viskosität, der innere Flüssigkeitswiderstand des Wassers, würde diesen Einfluss bis zur Bedeutungslosigkeit ausbremsen.

Ein Trugschluss, wie Katija und Dabiri jetzt beweisen können. Sie untersuchten den Einfluss des Schwimmens der Quallen auf das umgebende Wasser. Dabei gingen sie von einer Theorie aus, die der Physiker Charles Darwin, Enkel des berühmten gleichnamigen Evolutionstheoretikers, vor 50 Jahren aufgestellt hatte.

Diese Darwinsche Durchmischung ("Darwinian mixing"), wie die Forscher sie nennen, geht von einem Mechanismus aus, der ähnlich funktioniert wie der Windschatten-Effekt in der Aerodynamik: Durch die Bewegung jeder Qualle entsteht ein Unterdruck, eine Art von Sog unter Wasser, der dafür sorgt, dass viel Flüssigkeit aus der Umgebung mitgezogen wird. Die Größe und Form des Körpers, der sich bewegt, spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Kakani Katija inmitten der Mastigias-Quallen, Foto: Monty Graham

Mathematische Modellberechnungen und Simulationen bestätigten die Annahmen von Darwin, aber damit gaben sich die beiden Wissenschaftler natürlich nicht zufrieden. Sie überprüften die Hypothese praktisch anhand der Quallen in dem Salzwassersee auf Palau. Sie färbten das Wasser über den Schirmen schwimmender Medusen mit fluoreszierender Farbe ein und beobachteten dann, wie die leuchtende Flüssigkeit verwirbelt wurde und den Tieren wie eine Wolke folgte, sie zogen jeweils deutlich erkennbar einen Strudel hinter sich her.

Es handelt sich ganz klar um Turbulenzen, die zu einer Vermischung der Wasserschichten führen, und damit zum Transport von Wärme und Nährstoffen - selbst dann, wenn die schwimmenden Tierchen sehr klein sind. Die Viskosität des Wassers vermindert den Effekt nicht, sondern erhöht ihn im Gegenteil nach den neuen Beobachtungen sogar noch.

Es gibt sehr viele Schwärme von Kleinlebewesen wie zum Beispiel Krill, die durch die Ozeane tauchen. Kakani Katija und John Dabiri haben Modellrechnungen über ihren gesamten Einfluss angestellt, und sind zu dem Schluss gekommen, dass die biologische Ozean-Durchmischung enorm ist - sie entspricht global in ihrer Größenordung dem Einfluss von Wind und Gezeiten auf die Verwirbelung der Wassermassen innerhalb der Meere.