Raining Blood? Reign In Blood!

Infinity Ward stapeln passend zum Weihnachtsgeschäft mit "Call Of Duty - Modern Warfare 2" neue Leichenberge

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Abspann. Schweres Schlucken. Was war denn das? Der Russe kommt. Wie in John Milius' Die Rote Flut gleich direkt nach Amerika. Erbitterte Nahkampf-Gefechte auf dem Burger King Parkplatz, kurzes Innehalten angesichts wundervoller Grafikleistungen, aber der Feind naht, in hoher Überzahl. Auf die Flanken achten! Krawallschild vorgehalten, Attacke. Keine Gefangenen. Nachsehen, welche Waffen man bei den Toten findet. Obacht, feindliche Hubschrauber. Schnell, schnell, eine Stinger muss her.

Call Of Duty setzt die Spieler unter Druck. Auch Modern Warfare 2, die Fortsetzung von Call Of Duty 4 - Modern Warfare, das den ursprünglichen WW2-Handlungsrahmen im Jahr 2007 erstmals zugunsten einer in der nächsten Zukunft angesiedelten apokalyptischen Vision von Krieg und Terror verlassen hatte, macht da keine Ausnahme. Dieser vierte Teil ist wohl das meistverkaufte Kriegsspiel aller Zeiten, und es gilt auch als eines der besten - zu Recht. Modern Warfare 1 versetzte den staunenden Sofa-Ledernacken nicht nur in unaufhörliche Scharmützel, sondern bot auch eine bis dahin nicht gesehene, dichte Inszenierung, die das Gefühl vermittelte, man würde als Held eines ungeheuer gewalttätigen, aber aufwendigst produzierten Actionfilms über die Kontinente wüten. Der im Irak miterlebte Einsatz einer Atombombe war einer der intensivsten und schockierendsten Momente der kompletten Videospielgeschichte. Konnten Infinity Ward, die auch den neuen Teil selbst entwickelten, den Erwartungen also gerecht werden?

Das kommt auf die Erwartungen an, die man an das neue Werk knüpft. Zumindest der Aufbau der Geschichte kann dem Vorgänger nicht das Wasser reichen. Während dieser über einen so gut abgestimmten Spannungsbogen verfügte, dass der euphorisierten Egoshooter-Gemeinde gar keine andere Wahl blieb, als alle gesundheitlichen Bedenken beiseite zu wischen und das Epos quasi am Stück durchzuspielen, wirkt Modern Warfare 2 eher episodenhaft und zumindest zu Beginn ein wenig chaotisch. Manchmal fragt man sich wirklich, auf welchem Kontinent gerade welche Glaubenskrieger, Kommunisten oder sonstigen Freischärler vom Angesicht der Erde getilgt werden. Im weiteren Verlauf werden einige Fäden zusammengeführt und langsam formt sich ein (erwartungsgemäß reaktionäres) Bild - wirklich zwingend ist die Handlung dieses Mal aber nicht. Andererseits handelt es sich hier um Kritik auf hohem Niveau, schließlich bleiben Infinity Ward ausschließlich hinter den von ihnen selbst gesetzten Standards zurück.

Denn Modern Warfare 2 ist trotz der genannten Einschränkungen ein sehr komplex gestalteter Shooter, der auch hochklassige Konkurrenz-Serien wie Brothers In Arms oder Battlefield auf die Plätze verweist, während das Flagschiff Medal Of Honor, aus dessen European Assault-Entwicklerteam sich einst die späteren Infinity-Ward-Gründer rekrutierten, komplett auf Grund gesetzt scheint. Unverständlich, dass eine Firma wie Electronic Arts diese stilbildende und gut eingeführte Spieleserie in Vergessenheit geraten lässt, während die ehemaligen Epigonen aus den Häusern Activision oder Ubisoft Erfolg um Erfolg feiern.

Die einzelnen Abschnitte der wieder in drei Akte aufgeteilten Kampagne sind im Gegensatz zur Storyline hervorragend, teilweise genial gestaltet. Die Leveldesigner bieten einen optimal ausgewogenen Querschnitt durch alle Variationsmöglichkeiten, die das Genre bietet. Beeindruckende, an Apocalypse Now gemahnende Hubschrauber-Anflüge, rasante Flucht auf Schneemobilen durch den russischen Winter, Ausflüge in den Weltraum und ähnlich spektakuläre Einlagen mehr sorgen für angenehme Abwechslung im Soldatenalltag. Selbst die Liebhaber von Stealth Action, traditionell nicht gerade eine Zielgruppe der Serie, werden mit einer atmosphärischen Mission bedient, in denen ein gegnerisches Camp unbemerkt infiltriert werden muss - meist regiert jedoch der direkte Kampf gegen die Übermacht.

Man hat sich sogar bemüht, die an der gesamten Serie gelegentlich bemängelte lineare, regelrecht schlauchförmige Missionsgestaltung aufzubrechen. So gibt es immer wieder Gelegenheit für Attacken über verschiedene Flanken - das artet zwar nicht gerade in eine ernsthafte Taktik-Simulation aus, verhindert aber größtenteils, dass man sich wie auf Gleisen durch die Spielwelt gezogen fühlt.

Da auch die Grafik schier Unglaubliches leistet, gibt es keine Frage: Call Of Duty - Modern Warfare 2 beherrscht das Genre souverän und wird wohl einmal mehr alle Verkaufsrekorde brechen.

Leider kommt man bei einem Spiel wie diesem nicht umhin, einige Worte zur deutschen Zensurpraxis zu verlieren. Die drei ersten Teile der Serie kamen noch recht glimpflich davon, da lediglich die Hakenkreuze auf Flaggen, Uniformen oder Fahrzeugen gegen das Eiserne Kreuz ausgetauscht und Namen wie Hitler und Mussolini aus den als Intros verwendeten Dokumentarszenen gelöscht wurden. Albern, aber ohne direkten Einfluss auf die Spielbarkeit.

Beim von verfassungswidrigen Symbolen freien Call Of Duty 4 - Modern Warfare 2 blieb die Kampagne unangetastet, dafür wurden die Arcade-Modi eingeschränkt. Richtig ärgerlich wurde es dagegen beim in die 1940er zurückkehrenden fünften Teil, World At War, wo neben der obligatorischen Symbolzensur auch die Schadensmodelle verändert wurden, was zu Lasten des angestrebten Realismus ging.

Vor diesem Hintergrund erstaunte die Ankündigung von Activision, dass man Modern Warfare 2 auch in Deutschland komplett und unzensiert auf den Markt bringen wolle. Dann richtete sich das Augenmerk der Prüfbehörde jedoch auf einen Abschnitt, in dessen Verlauf der Spieler als Undercover-Agent an einem Massaker des Terroristen Makarov teilnehmen muss, der mit seinen Männern auf einem Flughafen dutzende Zivilisten ermordet. Obwohl der Auftrag lautet, selbstverständlich keine Zivilisten zu töten, sondern lediglich einige Zielpersonen aus der Menge zu greifen, verhindert die Originalfassung das Töten von Unbeteiligten nicht. Die deutsche Veröffentlichung wiederum blendet nach Schüssen auf die Zivilisten mit der Bemerkung "Mission gescheitert" aus. Da sich dieser Eingriff aber nur auf ein sehr kurzes, eher unwichtiges Zwischenspiel bezieht und das Spiel davon abgesehen unangetastet blieb, ruft die Pflicht dieses Mal auch wieder aus der deutschen Verpackung.