Ran an die Taliban

Pakistan erklärt den Militanten in Swat den Krieg

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Wie immer, wenn Pakistan offiziell gegen islamistisch motivierte Extremisten vorgeht, sind doppelte Böden im Spiel. Die Nähe zwischen dem pakistanischen Geheimdienst ISI und manchen Taliban-Vertretern ist bekannt; aber auch das Militär ist nicht isoliert von religiösen Gruppierungen, die zuweilen Grenzgänger zwischen radikalen Forderungen und der militanten Durchsetzung solcher Dogmen sind. Dazu kommen lokalpolitische, regionale und nationale Interessen - und internationaler Druck, hauptsächlich aus den USA, dem großen Finanzier der islamischen Republik. Der Blick hinter die Bühne des derzeitigen Kriegsschauplatz in Pakistan trifft auf viele Strippen, die gezogen werden, aber wie das Spiel der vielen Strippenzieher genau aussieht, darauf gibt es derzeit keine umfassende Antwort.

Feststehen nur die Opfer: die Zivilbevölkerung des Swat-Tals, die die ohnehin hohe Zahl der Binnenflüchtlinge weiter erhöht. Das UN-Flüchtlingshochkommisariat spricht von einer „Massenflucht“ im Nordwesten Pakistans, die mittlerweile bis zu einer Million Menschen betrifft.

Deutlich ist auch die Kriegserklärung, welche die pakistanische Regierung an die Taliban im Swat-Tal gerichtet hat und die natürlich auch exemplarisch-pädogischen Charakter für die Militanten/Taliban/Aufständischen andernorts haben soll. Weil die Taliban ihre Waffen nicht abgegeben hätten und somit den Verpflichtungen nicht nachgekommen sind, die in dem aufsehenerregenden Waffenstillstandsabkommen Ende Februar festgelegt wurden, sei man jetzt genötigt, mit einer umfassenden Offensive zu antworten, so entschied die pakistanische Regierung. Eine Kehrtwende.

Dass der Full-Scale-Einsatz der Kampfhubschrauber, der Artillerie und der 15.000 Mann starken Bodentruppen gegen mutmaßlich 4.000 Taliban im Swat auf großen Druck Washingtons erfolgt, ist kein Geheimnis. Über das Afpak-Gipfel Treffen zwischen Obama, Karsai und Zardari wurde vergangene Woche ausreichend berichtet. Dass der Schießbefehl der pakistanischen Regierung kurz danach erteilt wurde, ist bestimmt kein Zufall. Ob dies langfristig die beste Lsöung ist, wird sich erst noch herausstellen. Immerhin ist damit auf längere Sicht eine strategische Alternative vereitelt, die vernünftige Gründe für sich hatte: Verhandlungen statt Krieg mit den Gegnern. Dass die Regierung Bush sich gegen die neue Linie, die die Nachfolgeregierung zu Musharraf von Anfang an als Programmpunkt verkündete, stellen würde, war glasklar. Dass die Regierung Obama diesen Annäherungsversuchen starke Grenzen zieht, gibt jenen recht, die in Obamas Politik manche Kontinuität in der Afpask-Strategie zu Bush sehen.

Der Druck der USA auf die pakistanische Regierung, einen härteren Kurs gegen die Taliban zu fahren, sei, so die gewöhnlich gut unterrichtete Asia-Times, mit dem Angebot unterfüttert, auf Drohnen-Angriffe in Pakistan zu verzichten. Das wäre etwas, womit Zardari und sein Premier vor der pakistanischen Öffentlichkeit punkten können. Doch , wie eine aktuelle Meldung aus einer pakistanischen Zeitung zeigt, die Drohnenangriffe gehen weiter.

Zu trauen ist offensichtlich keiner Nachricht, die mit den Kämpfen in dieser Region zu tun hat. Symbolisch für das vorherrschende Spiel der Manöver, Täuschungen und der Kriegspropaganda mag der Flyer sein, den pakistanische Soldaten an die Zivilbevölkerung aushändigten, um den militärischen Einsatz gegen die Taliban deutlich zu machen. Auf dem Handzettel wird der abwegige Vergleich zwischen Taliban und jüdischen Streitkräften gezogen:

They are the same as Jewish forces who are against the existence and security of the country and wanted to create disturbance in the region.

Die Wahrheit der Zivilbevölkerung, wie sie von westlichen Zeitungen zitiert wird, dürfte sich wiederum in den Augen der pakistanischen Regierung absurd ausnehmen. So spricht eine von der New York Times befragte flüchtende Frau davon, dass sie alle beiden zwei Seiten, die Taliban und die Regierungstruppen fürchten müsse:

The army and the Taliban are not killing each other — they are friends. They are only killing civilians. When civilians are killed, the government says they have killed a bunch of terrorists.

Diese Darstellung wird offiziell natürlich bestritten. Es sei unbekannt, wie viele Zivilisten bei den Kämpfen ums Leben gekommen sind, hieß es bei der Pressekonferenz, die der pakistanische General Abbas gestern aus dem Hauptquartier in Rawalpindi gab. Dafür nannte er andere Zahlen, die Eindruck machen sollten: offiziell 143 getötete militante Taliban im Swat in den letzten 24 Stunden und 16 Tote in den umkämpften Nachbarsbezirken Dir und Buner. Ein Talibanführer – das strategische Ziel ist ja die „Dekapitation“ der Militanten – findet sich nicht unter den Toten. Fazlullah soll auf der Flucht sein.

Der Erfolg der Militärkampagne ist noch ziemlich unklar. Es heißt, dass die Taliban weiter Straßen und wichtige Gebäude im Ort Mingora und im Swat kontrollieren, angeblich sollen sie Straßenbomben einsetzen; die Rede ist auch von Selbstmordanschlägen; genaue Angaben gibt es aber nicht, Journalisten ist der Zutritt zum umkämpften Gebiet verboten.

Berichtet wird, dass die Herrschaft der Taliban von vielen Bewohnern des Swat nicht gerne geduldet wurde und dass sie von den Eifereren brutalen Härten ausgesetzt waren, insofern hätte die „Full-Scale"-Vertreibung der Taliban vielleicht eine positive Perspektive. Bislang aber sieht es eher nach größerem Leiden aus. Die unleugbare Konsequenz des harten Vorgehens ist eine „humanitäre Katastrophe“, so das UHCR.

200.000 sollen aus den Kampfgebieten geflohen sein. 300.000 sind demnach im Begriff, ihre Heimat zu verlassen und darüberhinaus gebe es 550.000, die durch frühere Kämpfen in den Stammesgebieten vertreiben wurden.

Der Flüchtlingsstrom wachse ständig. Nach Angaben von Killian Kleinschmidt, einem UNHCR Vertreter in Islamabad, den der Guardian zitiert, hatten sich gestern 102.000 Vertriebene in Hilfslisten eingetragen - das seien 45.000 mehr als am Tag zuvor. Die Organisation benötige 180 Millionen Dollar, um die unmittelbaren Folgen der Krise zu lindern. Bisher soll die Aktion des pakistanischen Militärs auf breite Zustimmung treffen. Sogar die Zeitungen, die in Urdu und nicht in Englisch schreiben, sowie die Opposition, eingeschlossen der religiösen Parteien, sollen, hinter dem Krieg gegen die Taliban stehen und dies als ureigenes, nicht aufgedrängtes pakistanisches Interesse verstehen:

Previously Pakistanis saw this as the US war, but now there is a general impression that this is our war, and we must stop the Taliban march.

Amir Rana, an expert on jihadi groups

Das klingt gut, der Theaterboden in Pakistan ist aber sehr dünn.