Rasterfahndung nach Schläfern in Berlin doch zulässig

Nach der Entscheidung des Kammergerichts ist nun offen, was mit den gesammelten Daten von 77 "durchgerasterten" Personen geschieht

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Das Berliner Kammergericht hat die heftig umstrittene Rasterfahndung nach potenziellen islamistischen Terror-Attentätern, die der Polizeipräsident des Landes im September 2001 nach den Anschlägen auf New York und Washington eingeleitet hatte, für rechtens erklärt. In einem am gestrigen Montag veröffentlichten Beschluss heißt es, dass es nicht auf eine gegenwärtige und konkrete Gefahr ankomme, um eine solche Fahndung mit dem großen Sieb auf Computerbasis durchzuführen. Damit stellten sich die Richter in letzter Instanz diametral gegen ihre Kollegen vom Landgericht, die im Januar ein gegenteiliges Urteil gesprochen und die Rasterfahndung angesichts einer nicht nachgewiesenen akuten Gefährdungslage für unzulässig erklärt hatten (Rasterfahndung in Berlin für unzulässig erklärt).

Die Fahndungsgeschichte nach "Schläfern", die bisher beispielsweise als Student einen anscheinend normalen Alltag führen und so höchstens durch Gemeinsamkeiten in ihren Lebensverhältnissen auffällig werden könnten, wird damit in Berlin erneut um ein streitiges Kapitel angereichert. Begonnen hatte sie am 17. September mit einer nicht legitimierten Datenerhebung bei Stellen wie dem Hahn-Meitner-Institut, den Wasserbetrieben sowie Hochschulen: die erforderliche richterliche Anordnung fehlte zu diesem Zeitpunkt. Sie wurde erst am 20. September nach einer ersten Abweisung des Begehrs der Kriminalisten sowie einer erneuten Begründung durch die Polizei gerichtlich genehmigt.

Die Pannenserie setzte sich im Lauf der Datenerhebungen, gegen die sich vor allem Studentenvertretungen und einzelne Hochschulverwaltungen sperrten, weiter fort. So wurden die Rastermerkmale zunächst viel zu weit gefasst - und wurden zudem schon früh öffentlich bekannt (Rasterfahndung in Deutschland). Als Merkmale angegeben wurden unter anderem "männliches Geschlecht, islamische Religionszugehörigkeit, legaler Aufenthalt, Flugausbildung und keine Auffälligkeiten im allgemeinen kriminellen Bereich. Dass es damit zu keinen Trefferfällen kommen konnte, da keine der verpflichteten Stellen über all diese Daten verfügte, bemerkte die Polizei erst nach dem Erlass des Beschlusses.

Die Suchkriterien wurden daraufhin Ende September eingegrenzt. Eine Anordnung, die den Anforderungen der Landesgesetze zumindest "im Wesentlichen" trotz "gewisser Mängel" entsprach, gab es erst am 24. Oktober, bemängelt der Berliner Datenschutzbeauftragte Hansjörg Garstka in seinem Jahresbericht 2001 (Internet wird zum Hauptproblemfeld beim Datenschutz). Insgesamt wurden schließlich 58.000 Datensätze an die Polizei ermittelt, deren Überprüfung erst im Januar 2002 - kurz vor dem Urteil des Landgerichts - abgeschlossen waren. Die Merkmalskombination traf dabei zunächst auf 109 Personen zu, von denen die Polizei 77 als relevant für weitere Ermittlungen betrachtete.

Die brisanten Datensätze werden momentan noch unter Verschluss gehalten (Rastern ohne Rasterfahndung). Ob auf ihrer Basis nach Verdächtigen gefahndet werden soll, ist noch unklar. Innensenator Erhart Körting (SPD) begrüßte den Beschluss des Kammergerichts, bei dem er selbst Beschwerde eingelegt hatte, zunächst nur, ohne genauere Angaben über weitere Ermittlungen zu machen. Aus dem Landeskriminalamt ist zu hören, dass die nächsten Schritte "geprüft" werden. "Sollte es bei dem Votum der Polizei bleiben, die Datensätze nicht zu nutzen, geht es jetzt nur noch um die Frage der Löschung", erklärte ein Sprecher des Berliner Datenschutzbeauftragten gegenüber Telepolis. Es sei aber auch das Szenario denkbar, dass die Dateien wieder in die Datenbanken des Landeskriminalamts sowie des Bundeskriminalamts eingestellt würden, wo sie zunächst nach dem Urteil des Landgerichts rausgeflogen seien.