Ratlosigkeit oder Neuanfang in stürmischen Zeiten

Die Energie- und Klimawochenschau: Strategiewechsel vor der UN-Klimakonferenz, die Klimapolitik soll vom vergeblichen Kampf der Treibhausgasbegrenzung auf eine weltweite Förderung der Erneuerbaren umgestellt werden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In zwei Wochen beginnt die UN-Klimakonferenz COP17 im südafrikanischen Durban. Eine weltweite Einigung auf verbindliche Klimaziele ist mittlerweile ausgeschlossen, Klimaforscher wollen deshalb auf eine neue Strategie setzen: Statt illusorisch weiter auf Abkommen zur Treibhausgasbegrenzung zu hoffen soll der Ausbau der erneuerbaren Energien weltweit gefördert werden.

Bedrohte Art. Gletscher hinter Schutzzaun. Bild: Matthias Brake

Anreise zur Klimakonferenz ohne Konzept im Koffer

Das Kyoto-Protokoll läuft im nächsten Jahr auch offiziell aus. Es ist das bislang einzige völkerrechtlich verbindliche Abkommen der Klimaschutzpolitik. Für einen globalen Klimaschutz und zur Eindämmung der globalen Erwärmung wäre eine globale Post-Kyoto-Regelung nötig. Doch schon durch das Scheitern der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 wurde klar, dass die bisherige Herangehensweise, verpflichtende Emissionsminderungen zu vereinbaren, unrealistisch ist (Kopenhagen endet mit Armutszeugnis). Und wozu auch weiter Begrenzungs-Abkommen vereinbaren, wenn die Treibhausgasemissionen laut neuester Studien von IEA und IPCC munter weiter steigen.

Kurz vor der Abfahrt der deutschen Vertreter nach Durban debattierte der Deutsche Bundestag am Freitag über den Stand der Klimapolitik hierzulande. Dem Thema wurden im Parlament nur 45 Minuten Debattenzeit zugestanden, zu klar scheint allen Beteiligten, dass die herkömmliche Klimapolitik nicht mehr funktioniert. Die SPD-Fraktion, Initiator der Debatte, forderte, Deutschland solle seine Rolle als einstiger Vorreiter in Sachen Klimadiplomatie und klimapolitisches Profil zurückgewinnen. Hermann Ott, klimapolitischer Sprecher der Grünen, formulierte den Ist-Zustand deutlicher und sagte, er sehe bei der Bundesregierung nur "dröhnende Ratlosigkeit".

Auch international ist bei der derzeitigen Interessenlage kein Abkommen in Sicht, das verbindliche Emissionsminderungen festlegt. Deutschland und die EU treten für eine Nachfolgeregelung des Kyoto-Protokolls ein, die bindende Minderungsziele für alle großen Emittenten umfasst. Zielmarke soll die rechnerische Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf höchstens 2 Grad sein. Einige Industrieländer torpedieren eine Einigung auf Minderungsziele gleich ganz, indem sie ankündigen, verbindliche Ziele nur zu akzeptieren, wenn die Entwicklungsländer in gleicher Weise verpflichtet werden. Demgegenüber reklamieren andere Länder für sich ein Recht auf mehr Emissionen, quasi als Nachholbedarf gegenüber den Industrieländern.

Wie auch immer die jeweiligen nationalen Befindlichkeiten in Durban aussehen werden. Laut einem Bericht des US-Energieministeriums wurden im vergangenen Jahr weltweit sechs Prozent mehr Kohlenstoff in die Luft geblasen als noch im Vorjahr (Die Grenzen der Klimapolitik). Weltweit waren das so 512 Mio. Tonnen CO2 mehr als noch 2009. Die herkömmliche Klimapolitik, die auf Begrenzung der Emissionen setzt, ist also offensichtlich gescheitert. John Reilly vom Massachussetts Institut of Technology (MIT) kommentierte das Scheitern der Klimaprotokolle: "Je mehr wir über die Kontrolle von Emissionen reden, desto mehr wachsen sie."

Die Energieversorgung wird schmutziger. Gerade auf die besonders CO2-intensive Kohle entfiel knapp die Hälfte der Zunahme des weltweiten Energieverbrauchs der letzten Dekade. Wobei der Großteil aus dem Energiesektor in den Schwellenländern stammt, also dort wo immer mehr Produkte für die alten Industrieländer hergestellt werden. Bild: IEA

Zwar haben die Industriestaaten, die das Kyoto-Protokoll ratifiziert haben, die Emissionen in ihren Ländern tatsächlich gesenkt, jedoch im wesentlichen durch die Auslagerung von besonders emissionsintensiven Industrien in Schwellen- und Entwicklungsländer. Dies ist der Hauptgrund für Chinas Aufstieg zum größten CO2-Emittenten der Welt und nicht der CO2-Fußabdruck seiner eigenen Bürger.

Zwischen 1990 und 2008 sind die globalen Emissionen von CO2 so um 39 Prozent gestiegen. Diese Nettotransfers von Emissionen über den internationalen Handel haben sich von 400 Mio. 1990 auf 1,6 Mrd. Tonnen 2008 erhöht. Betrachtet man die realen Reduktionen der Industrieländer, wird das Verhältnis noch schlechter: In den Lieferländern wurde fünfmal mehr CO2 für die von den Kyoto-Protokollstaaten importierten Produkte erzeugt, als diese in ihren eigenen Ländern reduzierten (Aus den Augen, aus dem Sinn?).

Neuanfang: Erneuerbare fördern, statt CO2 zu begrenzen

Angesichts der verfahrenen Situation und der Gemengelage von Interessen, die alles andere wollen, nur eben keine verbindlichen Minderungsziele, sind neue Herangehensweisen gefragt. Auch Ottmar Edenhofer vom IPCC und Vizechef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) ist pessimistisch zu den Erfolgschancen des Treffens in Durban. Er habe keine positiven Erwartungen daran und spricht sich deshalb für neue Wege jenseits der UN-Verhandlungen aus. In ihrer jetzigen Form seien sie ohnehin ein Konstruktionsfehler, man müsse den Teilnehmerkreis verkleinern und die Verhandlungsgegenstände ausweiten.

Das könnte etwa im Rahmen des von den USA gestarteten Major Economies Forum (MEF) sein, das die Haupt-Emittenten von Treibhausgasen repräsentiert. In diesem Rahmen solle dann nicht mehr ergebnislos über Emissionsgrenzen verhandelt werden sondern über Technologiepolitik zugunsten erneuerbarer Energien entschieden werden. Zweiter wichtiger Verhandlungsgegenstand müsste der kontraproduktive Abbau von Subventionen für fossile Energieträger sein, Edenhofer beziffert diese für 2010 auf weltweit 409 Mrd. Dollar.

Klimaschutz durch Energieeinsparung und Effizienzsteigerung als Weg zur regenerativen Vollversorgung. Noch aber stellen IEA und PIK weiter steigende Subventionen für konventionelle Energieträger fest. Bis 2020 könnten die jährlich weltweiten Subventionen von 409 sogar noch auf 660 Mrd. Dollar ansteigen, wenn die Politik ihren Kurs beibehält. Bild: Matthias Brake

Auch die IEA prognostiziert in ihrem gerade veröffentlichten "World Energy Outlook 2011", dass der Energieverbrauch weltweit bis 2035 noch um ein Drittel steigen wird. 90 Prozent der steigenden Nachfrage nach Öl, Kohle und Gas werden dabei aus Schwellenländern wie China und Indien kommen. Auch IEA-Direktorin Maria van der Hoeven appelliert daher für eine Modernisierung der Erzeugertechnik: "Die Regierungen müssen schärfere Maßnahmen ergreifen, um Investitionen in effizientere und klimafreundlichere Technologien zu fördern." Stattdessen finde aber immer noch eine Ausweitung der Subventionen für konventionelle Energieträger statt. Bis 2020 könnten die weltweiten Subventionen von 409 sogar auf 660 Mrd. Dollar ansteigen, wenn die Politik ihren Kurs beibehalte.

Dazu kommt, dass sich laut IEA die globale Energieeffizienz 2010 im zweiten Jahr in Folge verschlechtert hat. Zusammen mit dem weiterhin hohen Verbrauch fossiler Brennstoffe führe das bei heutiger Klimapolitik wegen der CO2-Emissionen zu einer langfristigen Erderwärmung um 3,5 Grad Celsius. Würden die Politikziele gar nicht mehr umgesetzt, könnten es sogar sechs Grad Celsius sein. Das 2-Grad-Ziel wird nach den Ergebnissen der IEA also in jedem Fall verfehlt.

Die aktuellen Wetterextreme sind bereits Teil der Klimaänderung

Auf die bereits heute messbaren Folgen der Erderwärmung verweist der PIK-Klimaexperte Stefan Rahmstorf. Bei der Fläche des arktischen Meereises ist 2011 ein neuer Negativrekord gemessen worden die Dicke der Eisdecke sei viermal schneller geschrumpft, als im Mittel der bisherigen Prognosen angenommen. Der gleiche Trend zeige sich auch beim Festlandseis Grönlands. In der Folge der Schmelze dürfte der Meeresspiegel bis 2100 um 75 bis 190 cm steigen, im Mittel sei ein Anstieg um einen Meter zu erwarten. Rahmstorf weist auch auf die zunehmende Häufung von Extremwetterereignissen hin. Ihre Häufung decke sich mit den mit der Erderwärmung verbundenen wissenschaftlichen Erwartungen.

Auch zur diesjährigen Moskauer Hitzewelle schreiben die Klimaforscher des PIK, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Folge des Klimawandels gewesen ist. Damit verliert die alte vermeintliche Gewissheit das tägliche Wetter habe nichts mit dem Klimawandel zu tun an Gültigkeit. Als Appell gibt der UN-Klimarat IPCC den Durban-Diplomaten seinen aktuellen Sonderbericht Managing the Risks of Extreme Weather Events mit auf den Weg. In einer Welt die bis 2100 zwischen 3 und 5 Grad Celsius wärmer wird werde es viele Verlierer geben, weil extreme Wetterlagen zunehmen. Danach wird der Klimawandel immer mehr Menschen betreffen und höhere wirtschaftliche Schäden verursachen.

Eisausdehnung im arktischen Ozean im Verlauf der letzten Jahre nach Auswertung von Satellitendaten der Universität Bremen. Als Folge rechnet das PIK damit dass die Meeresspiegel bis 2100 weltweit je nach dem weiteren Verlauf des Klimawandels um 75 bis 190 cm ansteigen. Bild: Uni Bremen

Die weltweiten Treibhausgasemissionen sind im Jahr 2010 um sechs Prozent gestiegen - so stark wie nie zuvor. Die Emissionen im vergangenen Jahr übertreffen damit selbst die pessimistischsten Prognosen, die der Weltklimarat IPCC in seinem letzten Bericht im Jahr 2007 getroffen hat. Als Folge werden mit hoher Wahrscheinlichkeit heftige Regenfälle in vielen Gegenden zunehmen, vor allem in den Tropen und den Polregionen und im Winter auch in den mittleren Breiten mit Europa. Tropische Wirbelstürme werden dagegen voraussichtlich seltener, aber ihre Zerstörungskraft wird zunehmen und sie werden von heftigerem Regen begleitet.

Mit mittlerer Wahrscheinlichkeit prognostizieren die Klimaforscher im 21. Jahrhundert eine Zunahme von Dürren im Mittelmeerraum und Mitteleuropa, im Süden der USA, Nordostbrasilien und im südlichen Afrika. Die größten Sachschäden werde der Klimawandel in den Industrieländern verursachen, aber in den armen Ländern der Welt die meisten Menschenleben kosten. John Reilly vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) sagte zum Bericht des IPCC, obwohl Klimaskeptiker dem IPCC vorwerfen, zu alarmistisch zu sein, gingen Wissenschaftler inzwischen davon aus, dass die Prognosen des IPCC noch zu konservativ sind.