Rechenmaschine, Computer oder Elektronisches Gehirn?

Zuse KG, Modell Z11, ausgestellt im Technischen Museum Wien. Bild: Stefan Kögl. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Die Wandlungen eines Begriffs

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Sprachen sind lebendige soziale Kreaturen: sie wachsen und schrumpfen, nehmen ständig Wörter auf bzw. vertreiben andere ins Exil des Vergessens. Nirgendwo ist dieser Prozess evidenter als mit Vokabeln, die sich auf neuere Technologien beziehen. Dazu gehört das Wort "Computer", das eine verwickelte Entstehungs- und internationale Transfergeschichte hat.

In Deutschland hießen Computer am Anfang eigentlich "Rechenmaschinen". Konrad Zuse hat dieses Wort neben solchen untergegangenen Neologismen wie "Speicherwerk" bzw. "Rechenwerk" immer für seine Geräte verwendet. Noch heute redet man auf Deutsch über das "Rechenzentrum", obwohl der Anglizismus Computer langsam das deutsche Wort Rechner überrollt.

Für Hardware und Software gibt es heute nur noch die Anglizismen, obwohl noch in alten technischen Büchern von der "Programmatur" die Rede war. Deutsch ist eine Sprache, die eigentlich gerne und schnell fremde Wörter annimmt. Es verwundert also nicht, dass hierzulande die englische Nomenklatur fast weitgehend übernommen wurde.

Das englische Wort "Computer" bezeichnete bis zum Zweiten Weltkrieg jedoch Menschen, und zwar solche, deren Beschäftigung das tägliche Rechnen war, z.B. für die Erstellung von mathematischen Tabellen. Beim Ausbruch der Französischen Revolution entstand großer Bedarf an mathematischen Aufstellungen mit den neuen Dezimaleinheiten, und es war Gaspard de Prony, der die arbeitslosen Coiffeure von Paris (die Perücken der Adligen waren an der Guillotine aufgesammelt worden) in einer Art Fabrik organisierte, in der Logarithmen und trigonometrische Funktionen am Fließband berechnet wurden.1

Jeder Angestellte musste nur einige einfache arithmetische Operationen durchführen und das Resultat an den nächsten Menschen in der Kette weitergeben. Die Überprüfung der Resultate und die redundante Ausführung gehörten zu der Aneinanderreihung von Berechnungen. Es war eine wahrhaftig von Menschen bestückte Rechenmaschine.

Programmiererinnen am ENIAC-Bedienfeld an der Moore School of Electrical Engineering. Bild: U.S. Army

Im 20. Jahrhundert, während der großen Depression, gab es ebenfalls solche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den USA, darunter das "Mathematical Tables Project" von 1938, bei dem Hunderte von Angestellten mitgewirkt haben. Sie verfügten jeweils über einen kleinen mechanischen Rechner, um ihre Arbeit zu beschleunigen. Und diese Menschen hießen eben "Computer"2, da auf Latein computare rechnen bedeutet. Der erste elektronische amerikanische Computer, ENIAC, hieß deswegen noch etwas unbedarft "Electronical Numerical Integrator and Computer". Ab 1945 wurde nach und nach das Wort Computer nur noch für Maschinen verwendet.

Island und Finnland

Der Siegeszug des amerikanischen Worts hat den ganzen Erdball erfasst. Auf Japanisch redet man von "konnpyuta", im lateinamerikanischen Spanisch von "computadora", auf Esperanto von "komputilo", auf Russisch von "kompiuter". Aber einige Sprachen übernehmen Worte nicht so einfach aus dem Ausland und ersetzen sie lieber durch eigene Kreationen. Zwei der schönsten Varianten findet man jeweils in Island und in Finnland.

Auf Isländisch nennt man einen Computer "tölva", das als "Zahlenorakel" übersetzt werden kann. Das Wort setzt sich zusammen aus ''tala'' (Zahl) und ''völva'' (Orakel bzw. Wahrsagerin). Klingt sehr poetisch, obwohl die Isländer, die ich gefragt habe, die Assoziation nicht sofort herstellen.

Noch etwas weiter gehen die Finnen mit dem Wort "tietokone", was als "Wissensmaschine" übersetzt werden könnte. Das ist sicherlich eine sehr moderne Verknüpfung und es wäre interessant zu erfahren, wann diese Wortschöpfung ins Finnische kam (und ob die Finnen das ernst nehmen).

Frankreich und Spanien

Die Franzosen prägen immer eigene Worte für neue technische Produkte. Der Sony Walkman ist daher beispielsweise ein "baladeur" und Software ist der "logiciel" im Rechner. Für den Computer benutzt man in Frankreich das Wort "ordinateur", das eigentlich 1955 von IBM-Frankreich erfunden wurde. Die amerikanische Firma wusste nicht, wie die neuen Maschinen im französischen Katalog genannt werden sollten und fragte - wo denn sonst? - bei der Sorbonne an. Jacques Perret, Professor für lateinische Philologie hat das Wort "ordinateur" vorgeschlagen und dabei bemerkt, dass Gott biblisch als der "Anordner" der Welt bezeichnet wird. IBM hat das Wort so übernommen (obwohl Perret zum Teil für das Feminin plädierte) und der Rest ist Geschichte.

NACA-Wissenschaftler an einer IBM type 704 electronic data processing machine (1957). Bild: NASA

Aber einen Computer als "Sortierer" bzw. "Ordnungsbringer" zu begreifen, heißt, den Computer völlig zu degradieren. Dies war 1955 vielleicht für die Maschinen von IBM angebracht, die vor allem für die Buchhaltung verwendet wurden. Ich befürchte aber, dass der Philologe Perret mit der Anfrage völlig überfordert war und das Unheil mit dieser Neuschöpfung startete.

Die Spanier haben das Wort allerdings auch übernommen, so dass ein Computer auf der Halbinsel ein "ordenador" ist, was in Lateinamerika nur müdes Grinsen hervorruft. So bleiben die Franzosen und Spanier mit der Wortschöpfung weltweit isoliert (nur die Katalanen, Gallegos und Basken benutzen verwandte Wörter: ordinador, ordenador und ordenagailua).

Italien und Schweden

Es waren die italienischen Mathematiker, die das arabische Rechnen in Europa einführten. Arithmetik hat dort seit Fibonacci eine altehrwürdige Tradition. Der Italiener sagt "calcolare" wenn es um das Rechnen geht, und so ist ein Computer ein "calcolatore".

Das Wort geht zurück auf die Rechenmeister, die noch mit Steinen ("calcoli") auf dem Brett gerechnet haben. Es ist eine organisch gewachsene Wortschöpfung - wie Rechenmaschine auf Deutsch -, die auch in andere Länder wie Rumänien exportiert wurde. Allerdings verdrängt das Wort Computer langsam das italienische Wort. Vor Jahren habe ich in Rom einen Vortrag auf Italienisch gehalten und dabei die Computermaus als "Topolino" bezeichnet. Das Auditorium brach in Lachen aus: Die Maus ist auf Italienisch ... eine Mouse.

Die Schweden haben wie die Franzosen ein ganz neues Wort erfunden: Dator. Es wurde 1986 wieder von dem Professor Björne Langefors vorgeschlagen, der sich an Daten und den bereits vorhandenen Wörtern Doktor und Traktor orientierte. Ein Dator, soviel ist sicher, arbeitet mit Daten. Das Wort sagt aber nicht wie, und nicht einmal mal, ob man diese Daten wie bei den Franzosen sortieren kann oder nicht.

China und Iran

Zwei weitere Neuschöpfungen sind sehr eloquent. In Mandarin-Chinesisch ist ein Computer ein "elektronisches Gehirn". Auf Iranisch nennt man einen Computer "Rayaneh", was so viel wie "Denker" bedeutet, obwohl mein iranischer Bekannter sehr bedauert, dass das Wort Computer mit der Zeit die Oberhand gewonnen hat.

Diese Übersicht zeigt, dass eine Wortschöpfung für Computer in den unterschiedlichen Sprachen auf verschiedenen Wege zustande gekommen ist und zwar:

  • durch direkte Entlehnung aus dem Englischen und leichtes Anpassen;
  • durch Anfragen an Gelehrte (die nicht immer verstanden haben was ein Computer alles kann);
  • durch semantische Ersetzung (calcolatore);
  • durch Extrapolation (elektronisches Gehirn, Wissensmaschine, Denker);
  • durch schöne Dichtung (Zahlenwahrsagerin).

Wie dem auch sei, der Computer ist in die Welt gekommen und die Sprache muss sich daran gewöhnen, so wie in Zukunft durch die rasante Entwicklung der Computertechnik immer neue Termini gefunden werden müssen (wie z.B. das rätselhafte "Handy" für Mobiltelefone). Man kann sich dabei etwas halbwegs Neues einfallen lassen ... oder Professoren der Philologie befragen.

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