Rendezvous der Generäle

Wie der umstrittene bulgarische Regierungschef Boiko Borissov David Petraeus einmal durch Sofia führte

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Anfang Juni fühlten sich einige Repräsentanten des politischen Sofia durch hohen Besuch geschmeichelt; ganze drei Tage, vom 5. bis 7. Juni 2012, weilte CIA-Direktor David Petraeus in der bulgarischen Hauptstadt, "unangekündigt", wie es hieß. "Dass er seinem Aufenthalt so viel Zeit zugemessen hat, ist ein Zeichen des Vertrauens, das unsere Partner in uns haben", freute sich Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissov (Mann mit Vergangenheit übernimmt die Macht in Bulgarien). Derweil rätselten die bulgarischen Medien, welche Mission General Petraeus in Sofia verfolgt haben könnte. Wollte er sich etwa Bulgariens Beistand für künftige bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem Iran oder Syrien vergewissern?

Ministerpräsident Boiko Borissov. Bild: GERB

Einige Wochen später sorgte General Borissov für Verwirrung. Zum Nachweis der guten Beziehungen seiner Regierung zur US-amerikanischen Administration erzählte er in einem Interview der Zeitschrift Biograph, General Petraeus sei sein "persönlicher Gast" gewesen. "Ich führe ihn durch Sofia, wir gehen in Restaurants, Cafés… Drei Tage ist der CIA-Direktor in ausgesprochen freundschaftlichem Kreis in Sofia, hat Zeit, sich auszuschlafen, spazieren zu gehen und sich zu erholen."

Borissov vergisst auch nicht zu erwähnen, die nach der Abreise von Petraeus von der amerikanischen Botschaft in dessen Namen veröffentlichte Presseerklärung hätten er und Petraeus gemeinsam entworfen. Dies macht plausibel, warum in ihr nicht wie zu erwarten lediglich die gute Zusammenarbeit der jeweiligen Geheimdienste gepriesen und Bulgariens Kampf gegen Terrorismus, Korruption und Organisierte Kriminalität gelobt wurde, sondern darüberhinaus auch die Finanzstabilität des Balkanlandes und sogar dessen Bemühen um Diversifizierung seiner Energiequellen.

Dem Vorsitzenden der bulgarischen Internet-Society kam General Borissovs Erzählung von der gemeinsamen Stadterkundung mit General Petraeus merkwürdig vor. Er bat die amerikanische Botschaft um Stellungnahme zu Borissovs Behauptung, Petraeus habe drei Tage in Sofia verbracht, um auszuspannen, denn "das klingt nicht gerade nach dem, was CIA-Direktoren für gewöhnlich tun", schrieb Markovski der US-Botschaft. Deren Antwort war distanziert, aber eindeutig: "Der CIA-Direktor war zu einem offiziellen Besuch in Bulgarien. Außer der veröffentlichten Presseerklärung können wir keine weiteren Informationen über den Besuch mitteilen, da wir Geheimdienstfragen nicht diskutieren."

Durch die Umstände seines Rücktritts gerät Petraeus' Osteuropa-Reise - vor seinem Sofia-Aufenthalt war er noch in "geheimer" Mission in Prag - in ein neues Licht. Der General unternahm sie ungefähr zu dem Zeitpunkt, als das FBI begann, seine Liebesbeziehung zu seiner Biographin Paula Broadwell zu ermitteln. Außer Borissovs Schilderung des privatimen Charakters von Petraeus' Sofia-Besuch gibt es momentan aber keine Indizien für einen Zusammenhang mit der romantischen Affäre, die ihn seinen Posten gekostet hat.

"Große Hoffnungen, finstere Verbindungen"

Ein Thema in den Kaffehausplaudereien der Generäle Borissov und Petraeus könnte ein eine knappe Woche zuvor in der taz erschienener Artikel gewesen sein. Die taz-Autoren J. Goetz und H. Burmester schrieben darin über die im Mai 2011 veröffentlichten WikiLeaks-Depeschen zu Bulgarien. In einer vom seinerzeitigen US-Botschafter in Sofia John Beyrle im Mai 2006 nach Washington gekabelten Depesche, schrieb der Diplomat, die US-Regierung dürfe nie vergessen, mit wem sie es bei Boiko Borissov zu tun habe. In ihrem Artikel vom 30. Mai 2012 führten Goetz und Burmester nun aus, das in Beyrles Depeschen auftauchende Akronym SIMO sei ein Tarn-Synonym für die CIA und verweise auf den Geheimdienst als Quelle für die Ausführungen des Botschafters.

In den Jahren 2001 bis 2005 erwarb sich Boiko Borissov als Hauptsekretär im Innenministerium und damit als oberster Verbrechensbekämpfer des Landes große Popularität unter den Bulgaren, obwohl seine Amtszeit nicht von nennenswerten Erfolgen geprägt war. Im Mai 2006 war Borissov Bürgermeister von Sofia und ließ erkennen, dass er nach Höherem strebte, voraussichtlich nach dem Regierungsamt. Botschafter Beyrle sah sich veranlasst, den aufstrebenden Politiker der Regierung in Washington mit folgenden Worten vorzustellen: "Große Hoffnungen, finstere Verbindungen."

"Man nennt ihn auch 'Batman', wegen seiner grüblerischen Erscheinung, den schwarzen Designer-Klamotten und seinem für gewöhnlich plötzlichen Auftauchen am Tatort", schrieb Beyrle in seinem Kabel. Borissov habe eine PR-Maschine aufgebaut, die ihm breite Unterstützung aller Altersgruppen und sozialen Klassen eingebracht habe, führte der Diplomat aus. "Journalisten erzählen uns privat, dass Borissov bar bezahlt für positive Berichterstattung und diejenigen bedroht, die negativ über ihn berichten." Obwohl es während Borissovs Amtszeit im Innenministerium über einhundert mit organisierter Kriminalität verbundene Morde, aber keinerlei Verhaftungen wichtiger Führer der Organisierten Kriminalität gegeben habe, so Beyrle, sei der General damals zum "Sheriff der Nation" geworden.

"Borissov ist gewieft, politisch erscheint er aber oft naiv, so wenn er uns sagte, er erwarte direkte amerikanische Unterstützung für seine politische Karriere als Zeichen unserer Wertschätzung seiner Kooperation", analysiert John Beyrle. In den letzten Jahren habe es Beschuldigungen gegeben, die Borissov in "Verbindung bringen mit Öl-Schmuggel-Skandalen und in großem Maßstab betriebenen Handel mit Amphetaminen. Informationen von SIMO scheinen diese Vorwürfe zu bestätigen."

Beyrle berichtete, Borissov werde vorgehalten, seine frühere Position als Chef der bulgarischen Polizeibehörden genutzt zu haben, um "kriminelle Geschäfte zu vertuschen". Auch werde seine, eine große Bank führende Lebensgefährtin Tsvetelina Borislavova beschuldigt, "für kriminelle Gruppen und Borissovs eigene illegale Transaktionen Geld zu waschen". Borissov würden "enge soziale und geschäftliche Verbindungen zu einflussreichen Mafia-Figuren wie Mladen Michalev aka Madscho nachgesagt" und er sei ein "früherer Geschäftspartner der OK-Figur Rumen Nikolov aka der Pascha".

Borrisovs Ego kann uns den größten Einfluss über ihn geben - er fleht um internationale Anerkennung und begehrt besonders US-Unterstützung. Wir müssen weitergehen auf dem schmalen Grat, von Borissovs PR-Maschine benutzt zu werden und an der Seite eines außergewöhnlich populären und anscheinend pro-amerikanischen Politikers zu stehen, der sich als nächster Führer Bulgariens herausstellen könnte. In anderen Worten wir sollten ihn weiter in die richtige Richtung stoßen, aber niemals vergessen, mit wem wir es zu tun haben.

John Beyrles Conclusio

Kriminelle Vergangenheit des bulgarischen Regierungschefs?

Den taz-Artikel, der als Quelle für Beyrles Ausführungen SIMO aka CIA beschrieb, nannte Borissov ein "Material, voll mit Lügen und Idiotien". Im Interview mit der Zeitschrift Biograph klagt Borissov: "Ein Teil der Medien in Bulgarien hat es derart verzerrt, dass angeblich die CIA hinter dem Text stünde und all das geschah zu einem Moment, als der CIA-Chef mein persönlicher Gast war."

Borissovs angeblich kriminelle Vergangenheit ist in oppositionellen bulgarischen Medien ein thematischer Evergreen, der ihn ärgert, aber kaum beeindruckt. Sensibler reagiert der bulgarische Ministerpräsident auf ähnliche Publikationen in ausländischen Medien, da er sie für seine internationale Reputation für abträglich hält. Ein im Jahr 2007 von dem US-amerikanischen Journalisten Jeff Stein im offiziösen Washingtoner Congressional Quaterly veröffentlichter Artikel brachte ihn auch in Bulgarien in Erklärungsnot. Stein schöpfte das Material für seinen Artikel aus einem Untersuchungsbericht, den frühere amerikanische Geheimdienstleute im Auftrag einer bis heute unbekannten Schweizer Bank erstellten. Vor wenigen Wochen hat Jeff Stein diesen Bericht den Herausgebern der mit Wikileaks kooperierenden Enthüllungsseite Bivol.bg zur Veröffentlichung übergeben.

CIA-Direktor General Petraeus charakterisiert Jeff Stein im Interview mit Bivol.bg als "sehr talentierten Kriegschef und Diplomaten", der eine "riesige Erfahrung in Beziehungen zu 'Bösen'" habe. Stein glaubt, Petraeus könne "formal freundschaftliche Beziehungen zu Borissov unterhalten, aber sofort wenn er das Zimmer verlässt, kann er sagen, 'dieser Hundesohn, er ist ein fürchterlicher Mensch'."

In auffälligem Kontrast zur lobenden Erwähnung von Bulgariens Bemühungen im Kampf gegen den Terrorismus in der Presseerklärung nach Petraeus' Abreise aus Sofia steht eine Einschätzung, die Interpol-Generalsekretär Ronald Noble Anfang November am Rande der 81. Interpol-Generalversammlung in Rom gegeben hat. Den gegenwärtigen Ermittlungstand zum Bombenattentat am 18. Juli 2012 am Flughafen des bulgarischen Schwarzmeerstadt Burgas kommentierte er gegenüber dem bulgarischen Fernsehsender bTV kritisch: "Angesichts dessen, dass Filmaufnahmen des mutmaßlichen Attentäters veröffentlicht wurden, ist die Tatsache, dass seine Identität noch immer nicht feststeht und es keinerlei Fortschritt in den Ermittlungen gibt, nicht normal."

Unter Hinweis auf den Inhalt von John Beyrles Depeschen haben die Herausgeber von Bivol.bg, Assen Jordanov und Atanass Tschobanov, im Juli 2012 die Spezielle Parlamentarische Kommission zu Organisierter Kriminalität, Korruption und Geldwäsche im Europäischen Parlament aufgefordert, den Hinweisen auf eine möglicherweise kriminelle Vergangenheit des bulgarischen Ministerpräsidenten Borissov nachzugehen. Die Mehrheit der Kommission lehnte dies Ende September als nicht in ihrer Kompetenz stehend ab.