Robin Hood, Sozialrebell? Fehlanzeige

Alle Bilder: Universal

Angst vor Umverteilung: Ridley Scotts Verfilmung weiß nicht recht, was sie mit dem britischen Helden anfangen soll

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wenn sich jährlich am 1. Mai in Berlin ein erlesener Teil des Volkes mit jenen Vertretern der Staatsgewalt, die neuerdings nicht mehr im waldgrünen Wams auftreten, eine Bataille liefert - sind das dann moderne Robin Hoods? Und was ist mit jenen, die ein kurzes Auffackeln der Anarchie, zum Beispiel durch einen Hurrikan, ausnutzen, um Supermärkte zu knacken, sich gehörig zu bedienen, und den Rest unterm Volk verteilen? Auf derlei Fragen ist Ridley Scotts "Robin Hood", mit dem die Filmfestspiele von Cannes eröffnet wurden, und der jetzt in den deutschen Kinos anläuft, nicht gerade angelegt. Sie kommen einem aber in den Sinn, wenn man diesen Film sieht, der offenbar gar nicht anders kann, als mit Zeichen und beiläufigen Verweisen um sich zu werfen.

Wo es Robin Hood nicht gibt, da erfindet man ihn. Die Armen brauchen ihn, weil er die Gerechtigkeit verkörpert, ohne die Königreiche zu bloßen Raubstaaten würden.

Eric Hobsbawm

Robin Hood kann alles, macht alles, sogar Bäume hochlaufen. Er fechtet, spaltet mit Pfeil und Bogen Pfeile in der Mitte, ist lustig, verführt adelige Fräuleins, trägt Strumpfhosen und freche Filzhütchen mit Vogelfeder und spaziert am liebsten im Wald. Zumindest tut er das in den geschätzt etwa 50 Verfilmungen des Stoffes vor Ridley Scott. Unter anderem Douglas Fairbanks, Errol Flynn und Kevin Costner spielten den Sozialrebellen und Rächer der Enterbten.

Bei Ridley Scott spielt ihn Russel Crowe, der vieles kann, den man sich aber dann doch als flinken Waldgänger dann doch nicht vorstellen kann. Bei Scott trägt er ein Kettenhemd und müht sich ab mit einem schweren Schwert, der Waffe der adeligen Ritter, während Pfeil und Bogen ihn eigentlich als Mann des Volkes ausweisen. Lady Mariann spielt die auch schon ein wenig eingetrocknete Cate Blanchet arg damenhaft angesichts dessen, dass sie tagsüber selbst auf dem Feld arbeiten muss.

Misswirtschaft und Niedergang

Trotzdem: Rund eine Stunde lang macht Ridley Scott fast alles richtig. Da ist sein Film ein pralles Panorama das Mittelalters zur Zeit des Dritten Kreuzzugs und wirkt eher wie eine Fortsetzung von Scotts Kreuzfahrerfilm "Kingdom of Heaven". Man sieht, wie seinerzeit eine Burg eingenommen wurde, man sieht Kämpfe im Wald, Bootsüberfahrten, das Leben des eher veramten Landadels. Das ist extrem plastisch und sinnlich und realistisch, ohne Glamour: Ritter im Schlamm, man glaubt, den Dreck riechen und die Feuchtigkeit fühlen zu können.

Erkennbar auch Scotts Interesse für Militärtechnik, das man schon in früheren Filmen - von "Gladiator" bis "Black Hawk Down" - bewundern konnte. Ridley Scott, auch schon bald 72, hat Sinn für Geschichte, und das heißt für Details. Erstaunlich auch, mit wieviel Energie er bei der Sache ist - ein Film, dessen Druck nie nachlässt und doch erfüllt ist von der Lust an Einzelheiten, an kleinen stimmigen Details: etwa das London des Jahres 1199. Oder der Sherrif von Nottingham, der hier völlig heruntergekommen ist, arm, unwichtig - kleine, dreckige, einfache Verhältnisse. Oder dem inmitten der Schlacht wiederkehrenden Ruf "Protect the King!" Worauf dann die Ritter sämtliche Vorsicht über den Haufen werfen, nur noch um die Sicherheit des mitunter blindlings stürmenden Herrschers bemüht.

Mit der bekannten Robin Hood Legende hat das alles nicht mehr viel zu tun. Die moderne Legende, nach den mittelalterlichen Balladen zuerst von Walter Scott zusammengefasst, erzählt sich etwa so: Während des dritten Kreuzzugs war der edle König Richard Löwenherz im finstren Kontinentaleuropa auf einer kalten Burg gefangen. In England herrschte derweil sein jüngerer Bruder, Prinz John. Doch statt das Erbe sittsam im Geiste des Bruders zu verwalten, strebte John selbst nach der Krone und weigerte sich unter Vorwänden, das Lösegeld für den Bruder aufzubringen.

Auch hielten Misswirtschaft und Niedergang Einzug, der gierige Adel beraubte die einfachen Leute. Da erhob sich Robin Hood, ein angelsächsischer Freisasse, der unter Richard lebte und nach der Gefangenschaft des Königs in die Wälder des Sherwood Forrest floh, um dort als Geächteter, als Outlaw mit seinen Genossen in Wams, Strumpfhosen, und mit Flitzebogen in der Faust jahrzehntelang die bösen Reichen, sprich den normannischen Adel und die Priester zu berauben, gutherzig und mild gegen das Volk, grausam und unerbittlich gegen seine Feinde.

Ausgebrannt aus dem Morgenland

Ridley Scott, nicht Nachfahr von Walter, macht es anders. Bei ihm ist Richard fett, gealtert, frustriert, ausgebrannt aus dem Morgenland zurückgekehrt, sich der eigenen Ehrlosigkeit nur zu bewusst. In Frankreich raubt er Burgen aus, um an Geld zu kommen und um Beute für seine Soldaten zu machen. "One more castle to sac, then we are home to England."

Dann wird er bei einer Schlacht getötet. Auftritt Eleanore d'Aquitaine, die Mutter, und sein Bruder Johann Ohneland. Kein König in der Geschichte scheint so gezeichnet für alle Zeiten, wird so verachtet, für seine Nichtswürdigkeit. Auch hier ist er ein belockter Decadent, der sich nur für seine neue Frau Isabella von Angouleme interessiert. Diese war nun auch eine historisch interessante Figur, zu jenem Zeitpunkt allerdings erst 11 Jahre alt. Überhaupt nimmt sich Scott dafür, dass er sich auf der Objektebene um so viel Exaktheit bemüht, auf der Erzählebene bemerkenswerte historische Freiheiten.

Ohne Pfeil und Bogen

Robin Hood selbst, Gefolgsmann im Heer, wird durch einen Zufall Besitzer der Krone, die zurück nach England soll, er bringt sie dorthin, wird für den - eigentlich verstorbenen - Adeligen Richard Locksley gehalten und später dann von dessen Vater und Frau als dieser akzeptiert - eine schöne Weise, jene zahlreichen Geschichten aufzugreifen, in denen "falsche Ehemänner" aus dem Krieg heimkehren oder Heimkehrer sich als Ehemänner ausgeben.

Dieser Robin schießt in der zweiten Hälfe des Films gerade noch einmal einen Pfeil ab, spaltet im ganzen nicht einen einzigen. Stattdessen mutiert er zum Helden eines nationalen Befreiungskampfes, dann wieder in einen Akteur im Kampf des Adels um verbriefte Rechte. Und kämpft schließlich auf dem Strand gegen französische Invasoren. Das sieht ein wenig so aus wie "Elizabeth", vor allem aber wie "Gladiator", Gladiator on the beach" sozusagen.

Schon zuvor hat ihn Scott im Insert zu Beginn als Outlaw-Freiheitshelden vorgestellt, "in years of tyranny… the Outlaw takes his task", später redet er klug über Freiheit und "Man baut ein Land wie eine Kathedrale: Von den Fundamenten zur Spitze."

Sozialrebellen? Fehlanzeige

Insgesamt ist das Bild aber höchst uneindeutig. Einerseits ist dieser Robin ein Überlebenskünstler, erzählt Scott vom Aufstieg eines einfachen Mannes. Zugleich ist er traumatisiert: Vom Tod des Vaters und der Teilnahme an einem Massaker im Krieg. Wie der "Gladiator" ein verlorener Charakter, dem hier aber Heimkehr und Erlösung vom Trauma vergönnt sind. Ähnlich zwiegespalten ist Scotts politische Agenda. Er entscheidet sich für keine Positionierung seines Helden, nimmt in Kauf, dass dessen Darstellung in sich widersprüchlich ist: Gerade die Position des Adels ist zwar bereits bei Walter Scott doppeldeutig. Robin Hood heißt dort Locksley, doch der Adel steht für die Erniedrigung des Volkes. Bei Ridley Scott ist der Adel plötzlich nun selbst ein Opfer, und Robin ein konservativer Revolutionär, einer, der das Rad zurückdrehen will.

Irgendwie ist der Film gegen die Neoliberalen, den Finanzadel. "There are wolves in York." So erklärt der Euro-Nationalismus sich selbst derzeit auch, was Wall Street mit unserer schönen Währung macht. Aber irgendwie ist der Film doch auch gegen den Staat, der zum eigentlichen Ausbeuter erklärt wird, und gegen Besteuerung, als wäre Robin Hood der Guido Westerwelle des Mittelalters.

So mischt Scott alles, was ihm einfällt, zu einem Gebräu, das noch schwerer im Magen liegt, als der Met von Friar Tuck: Feuer auf der Karte, wie in "Bonanza", Aufstandsstimmung, das Leitmotiv des schwachen Herrschers, dann England am Boden, ein bisschen "Patriot" reloaded, dann die zwei Wirtschaftsweisen, die böse der Ausbeuter und die gute des Säens und Erntens.

Der einzige echte Sozialrebell ist ein böser Schurke, der einmal den Robin-Hood-Satz sagen darf: "No one deserves 4000 acres." Genau! Ansonsten gilt: Sozialrebellen? Fehlanzeige.

Die Bösen haben ein gezeichnetes Gesicht, durch Narbe und eine Glatze. Warum gilt ein Glatzkopf immer als böse? Und wenn sie Herrscher sind, wie der französische König Philip Augustus, dann essen sie Austern mit etwas Blut, was den König mit genug Verworfenheit und "decadence" markiert. Das ist alles etwas plakativ. Aber ohne echte Wucht und Provokation, wie es noch "Gladiator", Scotts düstere Wagner-Version des amerikanischen Eroberungskrieges hatte.

Don't print the legend!

Aber dafür sind wir in einem Männerfilm. Und der sympathische Robin Hood musste schon immer für vieles herhalten: Auf ihn beziehen sich nicht nur Charity- und Umweltorganisationen wie "Robin Wood", Globalisierungskritiker und Aktions-Künstler ("Guerilla Girls"), sondern auch Produkt- und Dienstleistungsanbieter: Bereits 1954 posierte ein rotbackiger Robin Hood auf einer Reklame für die Frühstücksflocken "Weetabix".

Ein halbes Jahrhundert später wurde der Ratgeber "Robin Hood was right", ein Verkaufserfolg mit der Erklärung, wie man sozialpolitisch sinnvoll und steuerbegünstigt spendet. Denn Robin Hood bleibt immer brav: Er rebelliert zwar gegen die monarchische Macht des internationalen Kapitalismus, aber er kämpft nie gegen das herrschende System, sondern nur gegen dessen Missstände. Ein idealer Untertan.

Nur Russell Crowe, immerhin Co-Produzent, scheint seines Standpunkts im Klassenkampf sicher. Gefragt, was Robin Hood denn heute tun würde, antwortete er in Cannes: "Er würde gegen die Finanzkrise kämpfen und gegen die Monopolisierung der Medien. So heißt es dann, ganz am Ende dieses Films, der wie ein Prequel aller denkbarer Robin-Hood-Filme anmutet: "And so the legend begins."

Eric Hobsbawm: "Die Banditen. Räuber als Sozialrebellen"; Hanser Verlag, München. 240 S., 19,90 Euro.

Thomas Hahn (Hg.): "Robin Hood in Popular Culture: Violence, Transgression, and Justice"; D.S.Brewer, USA 2000

Robin Hood, Sozialrebell? Fehlanzeige (11 Bilder)