Rohstoffpreise und Spekulation

Vom Boom zum Crash? Eine Analyse

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Die Preise von Nahrungsmitteln und Rohstoffen explodieren. Denn einerseits erreichen jährlich vielleicht 40 Millionen Menschen in ehemaligen Entwicklungsländern erstmals westliches Konsumniveau, was die weltweite Nachfrage zweifellos steigen lässt. Andererseits scheinen die aktuellen Preise für z.B. Öl stark von den Spekulationen der Finanzmärkte getrieben. Dann wäre aber in absehbarer Zeit mit einer Art von Crash und rapide fallenden Preisen zu rechnen.

Eine Analyse

Der Deutsche Soziologe Max Weber hat Spekulation vor mehr als 100 Jahren einfach als die „auf Gewinn am Unterschied zwischen Kauf- und Verkaufspreis einer börsengängigen Ware abzielende Handelstätigkeit“ definiert. Im bestehenden ökonomischen System ist die professionelle Spekulation dabei nicht nur schlecht, sondern sie erfüllt für das Funktionieren des Finanzsystems unabdingbare Funktionen. So sorgt die regionale Spekulation („Arbitrage“) für den Ausgleich der Preise desselben Handelsgutes an verschiedenen Börsen. In der zeitlichen Dimension, bei Termingeschäften, wirken die Spekulanten Preis stabilisierend und sorgen generell für Liquidität. Problematisch wird es, wenn übermäßige Spekulation dafür sorgt, dass die Preise nicht mehr die realen Verhältnisse von Angebot und Nachfrage widerspiegeln, sondern es zu starken Übertreibungen kommt. Denn diese werden anschließend rabiat korrigiert, wobei es in der Regel zu Übertreibungen nach unten kommt und eine Verwüstung der Finanzmärkte die Folge ist.

Findet ein Spekulant also gute Gründe, warum ein Handelsgut in Zukunft mehr kosten wird als heute, dann wird er eine Option kaufen, die ihm erlaubt, dieses Gut zu einem zukünftigen Zeitpunkt - sagen wir in drei Monaten - zu einem heute festgelegten Preis kaufen zu können. Dieser zukünftige Preis kann nun über („contango“) oder unter („backwardation“) dem aktuellen Marktpreis liegen. Denn der Spekulant muss natürlich jemanden finden, der bereit ist, ihm heute dieses Gut auf drei Monate zu verkaufen. Das könnte bei Weizen z.B. ein Produzent sein, der sich heute schon den als hoch empfundenen Preis für seine Ernte sichern will. Oder aber ein anderer Spekulant, der eine gegenteilige Erwartung hat. Je weniger also bereit sind, auf Termin zu verkaufen, umso höher ist der Preisaufschlag, den der Spekulant zu zahlen hat. Nur bewegt sich der Terminpreis immer ziemlich in der Gegend des aktuellen Kurses, denn andernfalls wird es rational, das Gut heute real zu kaufen und einzulagern, wodurch der Terminpreis selten deutlich über den aktuellen Kurs plus Finanzierungs- und Lagerkosten steigen wird. Umgekehrt ziehen die Preise auf den Futures-Märkten daher auch zwangsläufig die Kurse am Spotmarkt nach oben.

Bei stark steigenden Preisen sind allerdings immer hohe Gewinne zu erzielen, was eine enorme Anziehungskraft auf weitere Spekulanten ausübt. Und da die Rohstoffpreise sich seit gut fünf Jahren in einem ununterbrochenen Aufwärtstrend befinden, ist es kein Wunder, dass sich die globalen Finanzmärkte magisch von diesen Gewinnchancen angezogen fühlen. So waren Rohstoffengagements vor zehn Jahren noch nicht als Investmentkategorie etabliert und in kaum einem Portfolio eines Fondsmanagers zu finden, Heute investiert selbst die konservativste Lebensversicherung in Rohstoffe und auch Kleinanlegern ist der Markt über Zertifikate so einfach zugänglich wie der Aktienmarkt.

Der US-Ökonom Charles Kindlberger erkennt nun vereinfacht vier typische Phasen einer spekulativen Übertreibung: Zuerst die „Auslösung“, wobei reale Ereignisse Anlass geben, auf steigende Preise zu hoffen. Das ist beim aktuellen Rohstoffboom sicherlich gegeben. So ist seit Jahren von Peak Oil die Rede, dem heran nahenden Zeitpunkt des globalen Öl-Fördermaximums; und allein in China werden jährlich 20 Millionen Menschen neu in das westliche Industriesystem integriert, was sie dann auch auf westlichem Niveau Rohstoffe konsumieren lässt. Nimmt man freilich den Weltmarkt, der inzwischen sicherlich mehr als eine Milliarde Menschen umfasst, die auf westlichem Niveau konsumieren, dann belaufen sich die entwicklungsbedingten Konsumzuwächse jährlich nicht einmal auf ein halbes Prozent. Ebenso übersteigt die Ölproduktion derzeit die Nachfrage, was die Preise aber nicht vom Steigen abhält.

Laut Kindlberger sind wir folglich in der Boomphase, während der immer mehr in diesen Sektoren investiert wird, neue Gewinnchancen auftreten und sehr viel Kredit mobilisiert wird, zumeist durch die Einführung neuer Finanzinstrumente. Auch dies ist zweifellos in breiter Front am Rohstoffsektor geschehen, etwa durch die Einführung von Rohstoffzertifikaten.

Den stärksten und dabei stark schwankenden Preisauftrieb erfährt das Handelsgut allerdings in der Phase der Euphorie, bei der immer breitere und unbedarftere Kreise in die Spekulationen hineingezogen werden. Erfahrene Spekulanten nutzen nun diese neue Käuferschicht um ihre Gewinne zu realisieren. Allerdings haben sich die berühmten Milchmädchen und Taxifahrer bislang noch kaum in erfolgreiche Rohstoffspekulanten verwandelt. Somit fehlt noch ein klassisches Merkmal einer Spekulationsblase. Das könnte aber auch daran liegen, dass diese momentan damit beschäftigt sind, über die hohen Preise zu klagen und nicht über Geld zum Spekulieren verfügen. Aber wie die jüngste Bankenkrise gezeigt hat, sind auch die professionellen Geldmanager durchaus zu einigen Blödheiten fähig, so dass man allein daraus nicht darauf schließen sollte, es liege noch keine Spekulationsblase vor.

Laut Kindlberger folgen letztlich jedenfalls unweigerlich Panik und Crash, der zumeist dadurch charakterisiert ist, dass der Preiszerfall erst endet, wenn der Preis des Spekulationsgutes weit niedriger liegt als am Anfang des Booms. Was die Folgen wären, kann man sich ausmalen. Die derzeit verwegen auftretenden Rohstoffländer Afrikas, Südamerikas und Russland würden in eine tiefe Krise schlittern und weite Teile der hiesigen Bevölkerung könnten sich selbst die billigeren Preise kaum noch leisten. Schwieriger sind die Folgen für die westlichen Industriestaaten, China und Indien einzuschätzen. Denn zwar profitieren sie von den billigeren Preisen, doch könnte die Vermögensvernichtung und die darauf folgende Zerrüttung der Finanzmärkte diese Vorteile durchaus mehr als kompensieren.