Romney ohne Heimvorteil und ohne Chancen auf einen Sieg?

Der ehemalige Gouverneur von Massachusetts hat seinen Bundesstaat bereits vor der Abstimmung im November als verloren abgeschrieben

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Wenn man wollte, könnte man sagen: Mitt Romney ist Massachusetts. Im Ostküstenstaat begann seine politische Laufbahn, hier wurde er 2002 zum Gouverneur gewählt, zeitweise mit einer Unterstützung von 75 Prozent der Bewohner. Seit über vier Jahrzehnten leben er und seine Familie in Massachusetts. Und in Boston, der Hauptstadt, hat Romney sein Hauptquartier aufgeschlagen. Von hier aus plant er seine nächsten Schritte bis zum Sieg am 6. November. Auf die Unterstützung der 6.5 Millionen Einwohner seines Heimat-Staates und der elf zu vergebenden Wahlstimmen, hofft er dabei jedoch schon lange nicht mehr.

Aus dem Video "Number One", mit dem die Obama-Kampagne Romney in seiner angeblichen Wirtschaftskompetenz angreift

"Das Thema steht nicht zur Diskussion", sagte ein Berater von Romney gegenüber AP vor kurzem auf die Frage, ob der ehemalige Gouverneur von Massachusetts mit Obama im November um seinen Heimatstaat konkurrieren wolle. Man scheint überzeugt, auch ohne den Beistand Massachusetts gewinnen zu können. Gewiss keine freiwillige Entscheidung, sondern eine, die aus der Not geboren ist: Das Commonwealth ist eine demokratische Hochburg. In den letzten zehn Präsidentschaftswahlen hat es nur zweimal für einen Republikaner gestimmt, 1980 und 1984 für Ronald Reagan. Und bei der letzten Wahl 2008 gewann Barack Obama Massachusetts mit 25 Prozentpunkten Vorsprung vor John McCain.

Bei solchen Ergebnissen eine groß angelegte Werbekampagne in Massachusetts zu schalten, wäre wohl herausgeschmissenes Geld und Verschwendung wertvoller Manpower. Über die letzten Monate hat Romney zwar knapp 20 Millionen US-Dollar in eine lokale Firma gesteckt, die für ihn Wahlvideos produziert. Gezeigt aber werden diese nicht in Massachusetts, sondern sie sind vor allem für das nationale Publikum gedacht. Eigentlich nichts Ungewöhnliches - wenn Romney eben nicht vier Jahre als Gouverneur von Massachusetts für die Menschen vor Ort gearbeitet hätte.

"Es ist komisch", wundert sich Paul Begala in Newsweek. Die meisten Gouverneure, die sich um das Präsidentenamt bemühen, könnten normalerweise gar nicht aufhören, über ihren Bundesstaat und über ihre eigenen Leistungen zu plaudern. Romney dagegen hält sich zurück. Nur einen medienwirksamen Satz kaut er seit Monaten stur wieder: "Wir haben in Massachusetts mehr Arbeitsplätze geschaffen als der Präsident im ganzen Land."

Nonsens, sagt jetzt David Axelrod, Obamas Wahlkampfstratege. Romneys "Selbstvermarktung als job creator" wäre "völlig übertrieben." Was die Schaffung von Arbeitsstellen angehe, hätte Romney eine üble Bilanz aufzuweisen, so Axelrod.

Allerdings ist auch Barack Obamas mediale Bilanz in den letzten Wochen ziemlich verkorkst. Erst schafften es seine Demokraten in Wisconsin nicht, den radikalen ALEC-Republikaner Scott Walker aus dem Amt zu jagen und damit ein Zeichen für November zu setzen, und dann blamierte sich der Chef selbst, als Obama behauptete: "The private sector is doing fine", während fast zeitgleich weitere schlechte Wirtschaftsdaten veröffentlich wurden.

Romney stellt sich selbst ein Bein

Will Axelrod Obama mit dem Anti-Romney Angriff also nur seinem Boss helfen und die Medien wieder in eine andere Spur bringen? Nein, denn die Fakten geben Axelrod Recht. Romneys Errungenschaften als Job Creator in Massachusetts sind eher zweifelhaft, als dass sich damit prahlen ließe, wie die Zahlen des U.S. Bureau of Labor Statistics zeigen.

Zu Beginn von Romneys Amtszeit, am 3. Januar 2003, hatte Massachusetts 3.223.500 Arbeitsstellen. Einen Monat später waren bereits 15.300 Jobs verloren gegangen. Der Negativtrend ging die folgenden Monate weiter. Am Ende des Jahres blieben 3.178.800 Arbeitsplätze übrig. In seinen ersten zwölf Monaten hatte Romney rund 44.700 verlorene Jobs auf seiner Rechnung. Im darauf folgenden Jahr gelang es ihm, 20.200 Jobs zurück zu gewinnen. 2005 kamen noch einmal 26.9000 dazu, und in seinem letzten Jahr erreichte er einen weiteren Zugewinn von 34.200 Stellen. Den nüchternen Zahlen nach hätte Romney zunächst recht: Nach vier Amtsjahren steht er bei einem Netto-Arbeitsplatzgewinn von insgesamt 40.7000 Stellen (und Obama fehlen immer noch fast 1 Millionen Job zu den seit der Krise verlorenen 4 Millionen). Im nationalen Durchschnitt aber sieht Romneys eigene Darstellung als "job creator" schon ganz anders aus.

Auf der Rangliste bei der Schaffung von Arbeitsplätzen kommt Massachusetts während Romneys Amtszeit mit dieser Zahl gerade einmal auf Platz 47 von 50 US-Bundesstaaten. Nur die ohnehin gebeutelten Industriestaaten des "Rustbelts", Ohio und Michigan, und das vom Hurrikan Katrina 2005 zerstörte Louisiana waren noch schlechter. Platz 47. Eine unmissverständlich schlechte Zahl, die unter der Oberfläche von Romneys Wahlrhetorik für das Amt des Präsidenten gefährlich brodelt und eine, mit der Obama jetzt in die Offensive geht.

Aus dem Video "Number One"

"First in debt, last in job creation"

In dem neuen am Dienstag veröffentlichen Video von Obama mit dem Titel Number One heißt es: "Als Mitt Romney Gouverneur war, lag Massachusetts auf Platz Eins bei der Verschuldung." Zeitgleich, so wird weiter erzählt, wäre der Bundesstaat "bei der Schaffung von Arbeitsstellen auf Platz 47 abgerutscht". Und dann wird der Boston Globe von 2007 mit den Worten zitiert, wonach Romneys Wirtschaftsbilanz eine der "schlimmsten im ganzen Land" wäre: "First in debt, last in job creation - That's Romney Economics."

Dieser Angriff soll auch nicht so halbherzig verlaufen, wie die angeblich von Hollywood-Regisseur Steven Spielberg mitgestaltete Bain-Attacke vor wenigen Wochen. Während das Obama-Team für die Verbreitung jenes Videos ein Kleingeld von 100.000 US-Dollar ausgegeben haben soll, will man die Negativ-Botschaft diesmal offensichtlich mit der Brechstange unters Volk bringen. "Number One" soll in allen umkämpften Bundesstaaten geschaltet werden, so Axelrod. Der Preis: um die 10 Millionen US-Dollar. Vielleicht stellt es sich Ende des Jahres als überflüssiges Bemühen heraus. Man müsste dafür nur einmal ein Blick auf die US-Geschichte der Präsidentschaftswahlen werfen.

Denn in der Politik ist es wie im Fußball. Es ist immer auch ein Kampf gegen die Statistik. Mitt Romney hofft ohne Heimunterstützung auf einen Sieg am 6. November. Aber man muss sehr lange zurück schauen, bis man einen Präsidenten findet, der ins Weiße Haus einzog, ohne dabei seinen Heimstaat gewonnen zu haben. Das letzte Mal vor 168 Jahren: 1844, noch vor dem amerikanischen Bürgerkrieg, verlor James K. Polk "sein" Tennessee und wurde dennoch zum Präsidenten gewählt. Und selbst das war knapp. Polk gewann mit einem Abstand von 0.1 Prozentpunkten. Bei einer so handfesten Zahl darf man wohl fragen: Ist das tatsächlich noch Statistik oder schon der Fluch des Heimat-Staates?