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Rotes Meer ist nicht der einzige "Engpass", der globale Lieferketten bedroht

Bild: Rinson Chory / Unsplash Licence

Zentrale Schifffahrtsrouten stehen unter Stress. Nicht nur der Suez-, sondern auch der Panamakanal. Wird Iran andere Meerenge als Handelswaffe nutzen? Gastbeitrag.

Die Luftangriffe des US-amerikanischen und britischen Militärs auf Ziele im Jemen sind nicht ohne Kritik [1] geblieben. Sie zielen darauf ab, die Huthi davon abzuhalten [2], Handelsschiffe in der Meerenge von Bab al-Mandab im Roten Meer anzugreifen.

Weniger als 30 Schiffe wurden von den Huthi angegriffen, seit sie im November das Richtung Israel fahrende Schiff Galaxy Leader gekapert haben [3]. Das ist eine relativ geringe Zahl im Vergleich zu den Tausenden von Schiffen [4], die das Gebiet seitdem passiert haben.

Anders als bei der Blockade des Suezkanals [5] im Jahr 2021 läuft der Verkehr auf der Abkürzung zwischen Asien und Europa weiter. Schiffe können auch Afrika umfahren [6], was allerdings die Reisezeit um ein bis zwei Wochen verlängert und die Kosten um rund eine Million US-Dollar erhöht.

Anstieg der Container-Preise

Als Reaktion darauf sind die Container-Preise stark angestiegen [7], haben aber noch nicht das Niveau erreicht, das sie auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie [8] hatten. Selbst wenn der Weg durch das Rote Meer zum Suezkanal unbenutzbar wird, ist das kein Novum. Der Suezkanal war von 1967 bis 1975 kriegsbedingt geschlossen [9].

Aber die Gründe für die militärischen Gegenschläge zum Schutz des Welthandels [10] liegen wahrscheinlich tiefer. Globale Versorgungsketten sind seit den 1970er-Jahren für das tägliche Leben sehr viel wichtiger geworden, sodass die Auswirkungen von Unterbrechungen im Roten Meer jetzt viel größer sind.

Außerdem ist Bab al-Mandab nur einer von mehreren maritimen Engpässen [11], die für den Welthandel von entscheidender Bedeutung sind.

Verkehrsengpässe

Sogenannte "Choke-Points" [12] (Verstopfungspunkte) sind Engstellen an Haupthandelsrouten, in der Regel Meerengen oder Kanäle. Da als geopolitische Waffen [13] eingesetzte Lieferketten immer mehr Teil der wirtschaftlichen Staatsführung [14] wird, wächst ihre Anfälligkeit.

Wie die Huthi [15] gezeigt haben, erfordert die Unterbrechung des Welthandels an einem dieser Engpässe keine große militärische Macht.

Die Ausschaltung der größten Engpässe könnte schwerwiegende globale Folgen haben. Während etwa zwölf Prozent [16] des Welthandels durch den Suezkanal fließen, wird mehr als doppelt so viel durch die Straße von Malakka [17] zwischen Indonesien und Malaysia transportiert. In der Straße von Malakka gibt es regelmäßig Probleme mit der Piraterie [18].

Störungen an den Engpässen haben potenziell viel größere Auswirkungen auf die ganze Welt, da sie den Transport in und aus vielen Ländern beeinträchtigen. Alternative Routen zu diesen Punkten sind schwierig, wenn nicht gar unmöglich zu finden.

Drastische Senkungen

Am eindrucksvollsten zeigte sich das vielleicht bei der Suez-Blockade im Jahr 2021, als sich ein Containerschiff im Kanal verkeilte und den Handel im Wert von 9,6 Milliarden US-Dollar [19] pro Tag fast eine Woche lang aufhielt.

Wir sind heute nicht in der Situation von 2021. Der Suezkanal wird weiterhin von Schiffen genutzt, und das Rote Meer ist nicht für den Schiffsverkehr gesperrt.

Das Volumen der durch den Suezkanal geschleusten Container ist jedoch drastisch von 500.000 pro Tag im November 2023 auf 200.000 pro Tag im Dezember 2023 gesunken [20]. Die Nachfrage ist nicht annähernd so hoch [21] wie damals.

Auf vielen Schifffahrtsrouten gab es im vergangenen Jahr sogar Überkapazitäten [22]. Das kann nun als Puffer dienen, wenn die Schiffe mehr Zeit auf längeren Routen verbringen.

Die Schifffahrtswege dünnen aus

Einer der wichtigsten anderen Engpässe ist jedoch derzeit ernsthaft eingeschränkt. Der Panamakanal, der den Atlantik mit dem Pazifik verbindet, wird von einer schweren Dürre [23] heimgesucht.

Der Wasserstand im Panamakanal [24] ist inzwischen so niedrig, dass die Schifffahrtskapazität stark reduziert ist. Der Schifffahrtsriese Maersk hat kürzlich seine Fracht auf die parallel zum Kanal verlaufende Eisenbahnlinie verlagert [25].

Vor der aktuellen Krise im Roten Meer fuhren einige Schiffe auf ihrer Reise zwischen Asien und der Ostküste der USA einen zehntägigen Umweg durch den Suezkanal [26].

Die Alternativen für die Route durch den Bab al-Mandab und den Suezkanal sind begrenzt. Der Panamakanal ist derzeit keine praktikable Option.

Nördliche Seeweg als Alternative?

Der Nördliche Seeweg [27] ist 40 Prozent kürzer als die Alternative über den Suezkanal, um Asien mit Europa zu verbinden. Wegen des Eises ist sie jedoch nur fünf Monate [28] im Jahr befahrbar, und es gibt Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen von Schiffen auf das empfindliche arktische Ökosystem [29].

Die Eisenbahnlinie, die China mit Europa verbindet, hat in den letzten Jahren ein erhebliches Wachstum [30] des Güterverkehrs verzeichnet. Doch sowohl die Bahn als auch die Verbindung über die Nördliche Seeroute [31] sind von den Sanktionen gegen Russland [32] betroffen.

Den meisten, die das Rote Meer meiden wollen, bleibt nur der lange Umweg um Afrika.

Meerenge von Hormus

Die ursprüngliche Militäroffensive im Roten Meer trug den treffenden Namen "Operation Prosperity Guardian" [33]. Zu den Ländern, die sich der Erklärung des Weißen Hauses [34], Angriffe auf den Jemen durchzuführen, beteiligt haben, gehören große Exportländer wie Deutschland und Südkorea, Dänemark, wo die betroffene Reederei Maersk ihre Heimat hat, sowie Länder wie Australien und Kanada.

Das ist ein Hinweis auf die tiefgreifenden globalen Auswirkungen, die diese Unterbrechung hat. Nachdem die Angriffe der Huthi trotz Warnungen fortgesetzt wurden, haben die Militäraktionen ein Signal gesetzt, dass die freie Schifffahrt trotz der hohen Kosten [35] geschützt wird.

Sie können auch als ein Signal verstanden werden, dass die Länder bereit sind, andere Engpässe zu verteidigen. Es geht dabei um das wahrscheinlichste Ziel, was ein ehemaliger Chefökonom der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als "eine schreckliche und unvermeidliche Entwicklung, bei der sich die Situation im Roten Meer auf die Straße von Hormus ausweiten könnte" bezeichnete [36].

Was macht der Iran?

Mindestens ein Fünftel des weltweiten Öl- und Gastransports [37] wird durch die 39 Kilometer breite Meerenge zwischen Oman und Iran transportiert. Der Iran unterstützt die Huthi [38] im Jemen sowie andere Gruppen im Nahen Osten.

Die Straße von Hormus ist seit Langem von Spannungen geprägt [39]. Durch die Blockade dieses Engpasses [40] könnte der Iran die Weltwirtschaft ernsthaft durcheinander bringen.

Experten weisen jedoch auch darauf hin, dass es bei einer solchen Aktion wahrscheinlich zu einer heftigen weltweiten Gegenreaktion [41] kommen würde, die dem Iran mehr schaden als nutzen würde. Die Rechtfertigung für die aktuellen Militäraktionen gegen die Huthi enthält wohl auch eine Warnung vor solch einem Szenario.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit The Conversation. Das englische Original finden Sie hier [42]. Übersetzung: David Goeßmann [43].

Sarah Schiffling ist stellvertretende Direktorin des HUMLOG (Humanitarian Logistics and Supply Chain Management Research) Instituts, Hanken School of Economics.

Matthew Tickle ist Dozent für Betriebsmanagement, Betriebs- und Lieferkettenmanagement, Universität Liverpool.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9599401

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.reuters.com/world/middle-east/reactions-us-british-strikes-against-houthis-yemen-2024-01-12/
[2] https://www.bbc.com/news/uk-67972796
[3] https://www.aljazeera.com/news/2024/1/13/have-the-houthi-red-sea-attacks-hurt-israels-economy#:%7E:text=So%20far%2C%20at%20least%2026,shot%20down%20missiles%20and%20drones.
[4] https://www.lloydslistintelligence.com/knowledge-hub/data-storytelling/the-yemen-conflict-and-risk-to-commercial-maritime-operations#:%7E:text=Over%2022%2C500%20transits%20were%20made,%2Del%2DMandeb%20Strait%20daily.
[5] https://www.rte.ie/brainstorm/2021/0406/1208101-ever-given-suez-canal-blockage/
[6] https://www.reuters.com/world/middle-east/container-rates-soar-concerns-prolonged-red-sea-disruption-2024-01-12/
[7] https://www.drewry.co.uk/supply-chain-advisors/supply-chain-expertise/world-container-index-assessed-by-drewry#:%7E:text=The%20composite%20index%20increased%20by%2015%25%20to%20%243%2C072,more%20than%20average%202019%20%28pre-pandemic%29%20rates%20of%20%241%2C420.
[8] https://www.economist.com/graphic-detail/2023/01/09/global-shipping-costs-are-returning-to-pre-pandemic-levels
[9] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0304387821000821
[10] https://www.smh.com.au/world/biden-won-t-rule-out-further-strikes-on-yemeni-rebels-to-protect-trade-routes-20240112-p5ewvx.html
[11] https://www.rolandberger.com/en/Insights/Publications/Chokepoints-and-vulnerabilities-in-global-markets.html
[12] https://www.ajot.com/premium/ajot-global-maritime-choke-points
[13] https://www.gartner.com/en/supply-chain/insights/beyond-supply-chain-blog/the-geopolitical-weaponization-of-supply-chain
[14] https://direct.mit.edu/isec/article/48/2/164/118107/Wars-without-Gun-Smoke-Global-Supply-Chains-Power
[15] https://www.heise.de/tp/features/Die-Huthi-Miliz-Aufstieg-und-Einfluss-in-der-arabischen-Welt-9606625.html
[16] https://www.usni.org/magazines/proceedings/2021/may/suez-canal-and-global-trade-routes
[17] https://porteconomicsmanagement.org/pemp/contents/part1/interoceanic-passages/capacity-key-strategic-passages/
[18] https://www.westpandi.com/news-and-resources/news/march-2023/malacca-and-singapore-straits-increase-of-piracy-i/
[19] https://www.bbc.com/news/business-56533250
[20] https://www.ifw-kiel.de/publications/news/cargo-volume-in-the-red-sea-collapses/
[21] https://www.lloydslist.com/LL1147914/Red-Sea-rerouting-is-not-a-rerun-of-supply-chain-crisis
[22] https://www.container-xchange.com/analytical-pieces/blank-sailing-trends-will-persist-due-to-oversupply-and-import-demand-uncertainty-affecting-capacity-and-trade-routes/
[23] https://www.bbc.com/news/business-67281776
[24] https://www.waterdiplomat.org/story/2023/10/panama-canal-experiences-lowest-water-levels-history
[25] https://www.maersk.com/news/articles/2024/01/12/changes-to-the-oc1-service
[26] https://www.freightwaves.com/news/panama-canal-crisis-forces-us-farm-exports-to-detour-through-suez
[27] https://link.springer.com/article/10.1007/s13437-022-00273-3
[28] https://akerarctic.fi/en/arctic-passion/arctic-shipping-routes-open-for-the-season/
[29] https://arcticyearbook.com/arctic-yearbook/2017/2017-scholarly-papers/229-environmental-human-impact-of-the-northern-sea-route-industrial-development-in-russia-s-arctic-zone
[30] https://www.dhl.com/global-en/delivered/globalization/on-the-right-track-china-europe-rails-explosive-growth.html
[31] https://www.thearcticinstitute.org/future-northern-sea-route-golden-waterway-niche/
[32] https://www.railtarget.eu/freight/eu-sanctions-impact-chinaeurope-train-traffic-via-russia-heres-what-you-need-to-know-about-detained-containers-in-maaszewicze-6568.html
[33] https://www.defense.gov/News/Releases/Release/Article/3621110/statement-from-secretary-of-defense-lloyd-j-austin-iii-on-ensuring-freedom-of-n/
[34] https://www.whitehouse.gov/briefing-room/statements-releases/2024/01/11/joint-statement-from-the-governments-of-australia-bahrain-canada-denmark-germany-netherlands-new-zealand-republic-of-korea-united-kingdom-and-the-united-states/
[35] https://www.independent.co.uk/voices/yemen-houthis-lord-cameron-nato-mod-b2478443.html
[36] https://www.theguardian.com/world/2024/jan/13/red-sea-crisis-could-shatter-hopes-of-economic-recovery
[37] https://www.eia.gov/todayinenergy/detail.php?id=61002
[38] https://www.npr.org/2023/10/26/1208456496/iran-hamas-axis-of-resistance-hezbollah-israel
[39] https://www.reuters.com/graphics/MIDEAST-ATTACKS-HORMUZ/0100B0B50N3/index.html
[40] https://www.nationalgeographic.com/science/article/120206-iran-strait-of-hormuz-oil-supply
[41] https://www.mei.edu/publications/irans-harsh-revenge-blocking-strait-hormuz-really-plausible-option
[42] https://theconversation.com/red-sea-crisis-suez-canal-is-not-the-only-choke-point-that-threatens-to-disrupt-global-supply-chains-221144
[43] https://www.telepolis.de/autoren/David-Goessmann-7143590.html