Rotgrüner Urnengang

Während die Grabgesänge auf das rotgrüne Projekt schon angestimmt werden, stecken die Bemühungen einer Linksformation bestenfalls in der Anfangsphase

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Noch ist das formale Prozedere für die Parlamentswahlauflösung noch nicht eingeleitet, werden allenthalben Sterbeglocken für das rotgrüne Projekt geläutet. Dabei ist es nicht nur vereinzelt die konservative Opposition, die zur Zeit das Todeslied von Rotgrün am lautesten singt. Auch dem rotgrünen Milieu kann es gar nicht schnell genug zu Ende gehen. Der Giessener Politologe Claus Leggewie rät den Grünen gar, die Koalition schon vor der Parlamentsauflösung zu verlassen und dürfte dabei durchaus manchen Sympathisanten unter den grünen Abgeordneten haben.

Dazu dürfte vor allem die Ankündigung der SPD-Führung beigetragen haben, dieses Mal keinen rotgrünen Lagerwahlkampf zu führen und ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf zu ziehen. Besonders schmerzlich dürfte diese Nachricht für Joschka Fischer sein, dem doch Männerfreund Schröder bei der letzten Wahl noch zugesichert hat, 2006 in der gleichen Formation noch einmal anzutreten. 2005 und einige spektakuläre Wahlniederlagen später, ist davon keine Rede mehr. Die machtgewohnten Grünen müssen die fast sichere Aussicht, nach dem Ausscheiden aus allen Landesparlamenten auch bald in Berlin in der Opposition zu sein, erst noch verdauen.

Schon machen Schreckensszenarien die Runde, dass die Grünen gar den Wiedereinzug ins Parlament verpassen könnten. Selbst Optimisten gehen davon aus, dass es knapp werden könnte. Außerdem dürften Machtkämpfe unausweichlich sein, denn mit dem Ende des rotgrünen Projekts wird der durch die Visa-Affäre angeschlagene Fischer an Einfluss verlieren. Schließlich stand er wie kein anderer für das Bündnis mit den Sozialdemokraten. Bald werden sich jene Strömungen bei den Grünen zu Wort melden, die schon länger vor einer babylonischen Gefangenschaft mit der SPD warnen und sich eine Zusammenarbeit mit der CDU vorstellen können. In der Vergangenheit wurden vereinzelte Vorstöße in diese Richtung auf kommunaler Ebene still und heimlich praktiziert, als bundesweites Modell aber von Fischer und Co. rigoros abgeblockt. Dabei dürfte einer solchen Kooperation zumindest auf Länderebene in absehbarer Zukunft wenig im Wege stehen. Denn längst sind die Grünen Teil des deutschen Liberalismus. Wie in der Weimarer Republik ist der auch jetzt auf zwei Parteien aufgeteilt: auf die eher wirtschaftsliberale FDP und die linksliberalen Grünen.

Diese Entwicklung könnte den neuen linkssozialdemokratischen Gründungsinitiativen zu Gute kommen. Den Anstoß gab der ehemalige SPD-Vorsitzende Lafontaine, der am vergangenen Dienstag seine Partei verließ und erklärte, er würde dann zu den Wahlen antreten, wenn es eine Kooperation zwischen der PDS und der Wahlalternative komme. Obwohl der Druck auch aus anderen sozialen Alternativen zunimmt, spielt die PDS auf Zeit. Während Gysi, Brie und Bisky die Kooperationsbereitschaft betonten und sich für gemeinsame Gespräche offen zeigten, bastelt der Wahlkampfmanager Bodo Ramelow weiter an einer eigenen PDS-Kandidatur. Was wie ein Flügelstreit aussieht, dürfte eher eine geschickte Taktik sein.

Das Kalkül der PDS ist leicht durchschaubar. Sie versucht, Lafontaine und kooperationsbereite Teile der WASG in eine Offene Liste einzubinden und knüpft dabei an ein Wahlmodell an, das bei der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 der Partei den Einzug in den Bundestag sicherte. Nur wollten damals außer einigen Linksgrünen aus der zweiten Reihe bei den SED-Nachfolgern niemand mitspielen. Das ist 2005 anders. Doch jetzt will die PDS mit der Wahlalternative nicht auf Augenhöhe verhandeln. Bei ihrer Taktik kommt der PDS neben dem Wahlgesetz, das ein Bündnis unterschiedlicher Listen und Parteien verbietet, auch ihr Parteiapparat zu gute. Der könnte einen eigenen Wahlkampf bewältigen. Die Wahlalternative dagegen dürfte schon organisatorisch zu einer eigenen Kandidatur im Herbst kaum in der Lage sein.

Welche Kooperationsmodelle sich im Poker zwischen WASG und PDS letztlich durchsetzen werden, dürfte sich bald zeigen. Wie hoch der Zuspruch dann beim Wähler sein wird, ist unkalkulierbar. Doch dürften Spekulationen von einem zweistelligen Ergebnis eher Wunschdenken als Realität sein. Denn so bekannt Lafontaine nicht zuletzt durch seine Bild-Kolumnen auch ist, so umstritten ist er auch. Seine Isolation bei den SPD-Linken zeigt sich schon daran, dass sein Parteiaustritt ein Soloakt blieb. Selbst sein langjähriger enger Mitarbeiter Ottmar Schreiner wollte nicht folgen. Und auch enge Mitstreiter nehmen Lafontaine noch immer seinen Rücktritt von allen Partei- und Ministerämtern im Jahr 1999 übel. Gewerkschaftler erinnern daran, dass es Lafontaine war, der Ende der 80er Jahre als saarländischer Ministerpräsident und maßgeblicher Vordenker neoliberale Ansätze überhaupt erst in die SPD hineingetragen hatte. Daran haben im letzten Herbst auch Hartz-IV-Gegner erinnert, als Lafontaine sich in die Bewegung einreihen wollte. Das bürgerrechtliche Spektrum wiederum nimmt dem frechen Oskar vor allem sein in einem Bild-Kommentar geäußertes Verständnis für die Folterdrohung des Frankfurter Polizeipräsidenten gegen einen Kindesentführer übel. So ist noch gar nicht ausgemacht, ob Lafontaine ein Zugpferd oder eher ein Stolperstein für ein neues Linksbündnis wäre.

Sollte sich der Wahltermin aus verfassungsrechtlichen Gründen oder einfach aus Uneinigkeit über die Herbeiführung von Neuwahlen verzögern, dürfte auch der Streit unter den Partnern des anvisierten Linksbündnisses zunehmen. Dann hätte aber die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien ein noch größeres Problem. Damit hätte Rotgrün gezeigt, dass es nicht nur nicht regieren, sondern auch nicht zurück treten kann.