Rückkehr der Masern: Wie Impfgegner und Vakzinmangel die Welt krank machen

Seite 2: Neue Ausbrüche: Masern sind keine harmlose Krankheit

"Seit drei Jahren schlagen wir Alarm wegen der sinkenden Impfraten und der zunehmenden Gefahr für die Gesundheit von Kindern weltweit", betont der UNICEF-Leiter für Immunisierung Ephrem Tekle Lemango. "Die zunehmenden Lücken in der Durchimpfungsrate führen dazu, dass sich die Masern – die ansteckendste, aber durch Impfung vermeidbare tödliche Krankheit – ausbreiten und Krankheit und Tod verursachen." "Wir haben ein kurzes Zeitfenster", fügte Lemango hinzu, "um den Rückstand bei der Masernimpfung dringend aufzuholen und jedes Kind zu schützen."

Die Direktorin des CDC Rochelle Walensky stellt fest, dass "die Rekordzahl von Kindern, die nicht ausreichend geimpft und anfällig für Masern sind, zeigt, welch tiefgreifenden Schaden die Immunisierungssysteme während der Covid-19-Pandemie erlitten haben."

Peter Hotez, Professor für Kinderheilkunde am Baylor College of Medicine und Leiter des Texas Children's Hospital, das für die Entwicklung einer patentfreien Covid-19-Impfung breite Anerkennung erfahren hat, vertritt die Ansicht, dass der "zunehmende Anti-Impf-Aktivismus" neben pandemiebedingten Blockaden und der Umverteilung von Ressourcen als Schlüsselfaktor betrachtet werden muss, wenn es um die Ursachen für die sinkenden Masernimpfraten geht.

In einem Artikel, der Anfang dieses Jahres in der Fachzeitschrift Nature Reviews Immunology veröffentlicht wurde, schreibt Hotez:

In der Zeit der Covid-19-Pandemie hat sich der Anti-Impf-Aktivismus in den USA beschleunigt, verstärkt und eine Allianz mit politischen Gruppen und sogar Extremisten gebildet. Eine organisierte, gut finanzierte und mächtige Anti-Wissenschafts-Bewegung droht nun überzuschwappen und alle Kinderimpfungen in den USA und weltweit zu gefährden.

Und Hotez fährt fort:

Ein zentrale Frage ist, ob sich der Anti-Impf-Aktivismus aus den USA nachteilig auf die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen auswirken wird. Zwei Jahrzehnte lang wurden unter der Schirmherrschaft der "Globalen Ziele" (zuerst hießen sie "Millenniums-Entwicklungsziele", dann "Nachhaltige Entwicklungsziele") enorme Fortschritte bei der Verringerung der Todesfälle und der Sterblichkeit durch Masern, Kinderlähmung, Keuchhusten und andere gefährliche Krankheiten, die durch Impfungen verhindert werden können, erzielt. Die Befürchtung ist, dass der globalisierte Anti-Impf-Aktivismus diese Trends umkehren könnte. Ein erfolgreiches Impfstoff-System unter der Leitung von Gavi, der Impfstoffallianz, und ihren Partnern bei den Vereinten Nationen, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und UNICEF, ist in Gefahr. Schon vor dem Aufkommen von Covid-19 zählte die WHO die Impfverweigerung zu den zehn größten globalen Gesundheitsgefahren, auch in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Jetzt, in der Zeit der Pandemie, stellt die WHO einen weiteren erheblichen "Rückschritt" bei den Routineimpfungen im Kindesalter fest.

"Der Anti-Impf-Aktivismus kostet heute Menschenleben in einem Ausmaß, das den globalen Terrorismus oder andere bekannte Bedrohungen übersteigt", urteilt Hotez. "Wir müssen die Tiefe und Breite des Anti-Impf-Aktivismus und seine Beeinträchtigung der globalen Sicherheit erkennen."

Zwei Studien aus dem Jahr 2019 haben gezeigt, dass eine Ansteckung mit Masern noch gefährlicher ist, als Wissenschaftler bisher angenommen hatten, was die Bedeutung der Impfung unterstreicht.

Die Washington Post fasste die Forschungsergebnisse zusammen:

Zusätzlich zu der durch das Virus verursachten Krankheit ist eine Maserninfektion auch eine Abrissbirne für das Immunsystem. Sie zerstört bis zur Hälfte der vorhandenen Antikörper, die gegen andere Viren und Bakterien schützen ... Das bedeutet, dass Menschen, insbesondere Kinder, die an Masern erkranken, viel anfälliger für andere Keime werden, die Krankheiten wie Lungenentzündung und Grippe verursachen, gegen die sie zuvor geschützt waren.

"Masern sind keine harmlose Krankheit, wie einige Impfgegner fälschlicherweise behaupten, sondern eine mit tödlichen Folgen", berichtet die Post. Während viele Menschen in den USA, darunter auch Ärzte, "die Folgen der Krankheit nie zu Gesicht bekommen haben, weil sie dank der Impfung so selten geworden ist", verlor das Land 2019 beinahe seinen Masern-Eliminierungsstatus, als Ausbrüche unter ungeimpften Bevölkerungsgruppen in New York City zu mehr als 1.200 Infektionen führten – die meisten seit 1992. In diesem Jahr wurden bisher landesweit mehr als 50 Fälle festgestellt.

Masern sind nach wie vor eine lebensbedrohliche Geißel für die ganze Welt, insbesondere für ungeimpfte Kleinkinder in einkommensschwachen Ländern.

"Der drastische Rückgang der Masern-Impfraten sollte alle Alarmglocken läuten lassen", sagte Elizabeth Cousens, Präsidentin der unabhängigen United Nations Foundation. "Dutzende Millionen Kinder sind von dieser tödlichen, aber völlig vermeidbaren Krankheit bedroht, bis wir die weltweiten Impfbemühungen wieder in Gang bringen."

Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir müssen dringend daran arbeiten, dass die lebensrettenden Impfstoffe auch das letzte Kind erreichen.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Common Dreams. Die englische Originalversion finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.

Kenny Stancil ist US-amerikanischer Journalist und Redakteur beim US-Magazin Common Dreams.