Rundumschlag im Auftrag des Jugendschutzes

Berliner Videothek wurde vorübergehend stillgelegt.

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Glaubt man bei der Staatsanwaltschaft in Berlin wirklich daran, dass man durch Filme oder Computerspiele gewalttätig wird? Zumindest in Berlin wurde am 23. November 1999 die Videothek "Videodrom" von rund 50 Polizisten durchsucht und anschließend im Auftrag der Wirtschaftsbehörde versiegelt. Inwieweit die Betreiber an dieser Aktion selbst Schuld sind, wird wohl erst ein Gericht klären müssen. Die Wellen schlagen indes sehr hoch und im Internet wurde zunächst einmal eine Solidaritätsseite eingerichtet.

Nach den letzten Gewalttaten von Schülern an Lehrern scheint jetzt behördlicherseits ein gewisser Aktionismus ausgebrochen zu sein. Schuld an den Gewaltexzessen sollen natürlich Gewaltvideos und entsprechende Computerspiele sein. Zwar ist dieses unter Wissenschaftlern sehr umstritten, aber der "gesunde Menschenverstand" hat längst die Ursache erkannt. In Berlin wurde am 23. November die Videothek "Videodrom" von 50 Polizisten durchsucht und nach Angaben der Betreiber wurden 1.000 Filme beschlagnahmt. Allein aus dem Vertriebsbereich des Videodroms wurden 666 Videokassetten mitgenommen. Anwesend waren außerdem Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, der Sittenpolizei, der Kriminalpolizei sowie Vertreter vom Wirtschaftsamt. Neben den Räumlichkeiten der Videothek wurden auch Privatbereiche untersucht. Außer den Videokassetten wurden von den Beamten auch die Computer und erstaunlicherweise sogar Monitore und Scanner eingepackt. Wie techno.de berichtet, sollte sogar ein Stromkabel für Lautsprecher mitkonfisziert werden. Durch die Versiegelung der Räumlichkeiten auf Betreiben des Wirtschaftsamtes wurden auf einen Schlag fünfzehn Mitarbeiter vorübergehend arbeitslos und die Gefahr bestand, dass den Betreibern durch das fehlende Weihnachtsgeschäft wichtige Einnahmen verloren gehen würden. Scheinbar war die Situation sehr emotionsgeladen, denn immerhin ließ sich ein Mitarbeiter vom Wirtschaftsamt zu einer zitierten Aussage hinreißen:

"Wir werden dafür sorgen, dass sie nie wieder ein Geschäft eröffnen".

Zwar gab es im Vorfeld dieser Durchsuchungsaktion wohl schon Ermittlungsverfahren gegen die Betreiber der Videothek, die aber nach deren Angaben allesamt eingestellt worden sind. Prompt wurde zu diesem Vorgang im Internet eine Solidaritätsseite eingerichtet, auf der man den chronologischen Ablauf verfolgen kann. Hier wird der Leser dann auch zu einer Spende aufgerufen. Es klingt allerdings alles ein wenig einseitig dargestellt, denn ganz ohne Grund wird ein so machtvoller Apparat nicht im Gang gesetzt. Zumindest kann man sich über bislang veröffentlichte Zeitungsartikel der Berliner Lokalpresse ein Bild von dem Geschehnissen in der Bundeshauptstadt machen. Nach Angaben von techno.de zeigen sich viele Prominente wie Jürgen Vogel, Detlev Buck, Hans Nieswandt oder "Die Ärzte" in Briefen und Faxen solidarisch. Zu einer Pressekonferenz flog sogar Franka Potente (Lola rennt) eigens aus München ein, um sich auf die Seite "der Justizopfer" zu stellen.

Seit dem 13.12.1999 durften die Betreiber den Geschäftsbetrieb wieder aufnehmen, doch noch fehlen ihnen aufgrund der beschlagnahmten Rechner wichtige Unterlagen, um auch den Vertrieb fortzuführen. Den Jugendschutz will man nach wie vor beachten, was von den Betreibern auch nicht als Hemmnis angesehen wird. Nach dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjSM) dürfen Titel, die auf der Liste jugendgefährdender Schriften stehen, nicht mehr an Personen unter 18 Jahren abgegeben werden, nicht mehr beworben werden oder über Vertriebswege veräußert werden. Für Videotheken bedeutet dieses, dass sie solche Titel nur dann anbieten können, wenn die Videothek nur ab 18 Jahren betreten werden darf oder wenn in einer Familienvideothek ein separater Raum eingerichtet ist. Den Betreibern sind solche Auflagen bekannt und sie müssen regelmäßig mit Besuch vom Jugendschutz rechnen. Verstöße werden in der Regel mit Geldbußen geahndet.

Im vorliegenden Fall soll die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Anzeige aktiv geworden sein. Doch glaubt man den Betreibern, hat die Staatsanwaltschaft ziemlich kopflos und dilettantisch gehandelt und alles mitgenommen, was nach Sex oder Gewalt auf dem Video-Cover aussah. Zudem versprach wohl das FSK-Siegel "18 Jahre" einen eindeutigen Hinweis auf indizierte Produktionen. Hier aber gleich von Zensur zu sprechen, geht an den Tatsachen vorbei. Dennoch wird sich der Gesetzgeber fragen lassen müssen, ob Beschlagnahmungen und Schließungen nicht einem Berufsverbot gleichkommen. Schließlich lässt sich eine Festplatte auch eben mal schnell kopieren, so dass zumindest die Hardware vor Ort bleiben kann.