Rupert Neudeck: "Verrücktsein ist ein Ehrentitel für uns"

Kommentar zum Tode von Rupert Neudeck

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Der Freund der "Sonnenseite": Rupert Neudeck ist tot. "Radikal leben" heißt sein letztes Buch. Es ist - wie könnte es bei einem Radikalen wie Rupert Neudeck anders sein - eine Streitschrift - eine Streitschrift für radikalen Humanismus und für radikales Christentum. Radikalität war nicht nur sein Lebensthema, es war auch sein Lebenswerk und das seiner Frau Christel.

Seine Ärzte sagen, er sei bei einer Herzoperation gestorben. Ruperts Freund, der frühere Staatssekretär Ulrich Kasparick schreibt, Ruperts Herz sei so groß gewesen, dass man es einfach nicht operieren konnte, da habe die ganze Welt hineingepasst.

Der Journalist Rupert Neudeck hat das journalistische Dogma, wonach Journalisten immer neutral sein müssten und sich niemals einmischen sollten, grandios widerlegt. Im Frühjahr 1979 kam er in unsere Report-Redaktion im SWF und sagte uns: "Wir müssen etwas tun. Im Südchinesischen Meer ertrinken Tausende. Wir sollten ein Schiff chartern."

Als wir anschließend Rupert Neudeck die Möglichkeit gaben, in drei Minuten seine Idee vor einem Millionen-Publikum zu präsentieren, spendeten die Fernseh-Zuschauer spontan mehrere Millionen DM. Damit konnte Neudeck ein großes Schiff, die Cap Anamur, chartern und über 11.000 Boat People das Leben retten. Er verstand diese Arbeit als Auftrag der Spender.

Der radikale Humanist und der radikale Christ rettete nicht nur Flüchtlingen im südchinesischen Meer das Leben, sondern auch Hunderttausenden in afrikanischen Flüchtlingslagern, während der Jugoslawienkriege, bei humanitären Einsätzen in Afghanistan und im Irak. Neudecks Cap Anamur und seine spätere Organisation Grünhelme haben Schulen und Krankenhäuser auf der ganzen Welt gebaut sowie in Bosnien und Tschetschenien tausende Häuser für heimatlos Gewordene und im Irak für vertriebene Kurden.

Neudecks Frau Christel hat all diese Aktionen 35 Jahre lang von ihrem Wohnzimmer in Troisdorf aus gemanagt und organisiert. "Sie ist die Königin von Cap Anamur und der Grünhelme", sagte Rupert noch vor wenigen Wochen als das Ehepaar in Stuttgart den "Erich-Fromm Preis" entgegen nahm. Konkrete Versöhnung zwischen verfeindeten Gruppen, statt ewige Kreuzzüge und Gegen-Kreuzzüge, war Neudecks Motto.

Die Neudecks haben bei ihren Projekten engagierte Muslime und engagierte Christen zusammengebracht.

Bei seinen vielen Reisen hat Neudeck immer viel gelesen und auf dieser "Sonnenseite" hunderte Bücher rezensiert - originell, meinungsstark, faktenreich und oft humorvoll. Die Sonnenseite verliert einen treuen Freund, dem wir und unsere Leserinnen und Leser viel verdanken.

Für Christel und Rupert Neudeck heißt christliche Existenz ganz einfach: Dasein für andere. Gelebte Bergpredigt ist für dieses Ehepaar ein moralischer Imperativ. Aus ihrem christlich-katholischen Glauben haben sie viel Kraft geschöpft. Ruperts Lieblingsgeschichte war das Jesus-Gleichnis vom Barmherzigen Samariter. In "Radikal leben" hat er dieses Gleichnis für unsere Zeit so übertragen:

"Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho, dann von Allepo nach Tal Refaat, dann von Grozny nach Tiflis, dann von Manila nach Arcachon, von Bamako nach Timbuktu und fiel unter die Räuber. Sie zogen ihn aus, schlugen ihn wund und ließen ihn halbtot liegen. Zufällig zog ein UN-Beamter des Weges, sah ihn und ging vorüber: Nicht mein Mandat. Ebenso kam ein Blauhelm vorbei, erkannte, dass seine Richtlinien ihm nicht befahlen zu helfen, und ging vorüber. Ein Samariter aber hatte, als er ihn erblickte, Mitleid mit ihm. Er trat hinzu, versorgte seine Wunden, hob ihn auf sein Reittier und führte ihn in eine Herberge.

Am anderen Tag nahm er einige syrische Lira (oder Rubel oder Euro oder Dollars), gab sie dem Wirt und sprach: 'Sorge für ihn, und so Du etwas darüber hinaus verwendest, will ich bei meinem Wiederkommen bezahlen.'

'Wer von den Dreien war also dem, der unter die Räuber gefallen war, der nächste?' Antwort: "Der, der ihm geholfen hat.'"

Mehr von Franz Alt und und Rupert Neudeck auf Sonnenseite.com.

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