Russische Transparenz in den Wahllokalen

Um Kritik an möglichen Manipulationen der Präsidentschaftswahlen zu begegnen, lässt Putin in fast allen Wahllokalen WebCams zur Beobachtung installieren

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Am 4. März finden die Präsidentschaftswahlen statt. Putin, der noch Regierungschef ist, will sich dann wieder zum Präsiden wählen lassen, während der Interimpräsident Medwedew seinen Posten einnehmen soll. Da bei einem Wahlsieg erneut Kritik zu erwarten ist, hat Putin angeordnet, sämtliche Wahllokale des Landes mit Überwachungskameras auszustatten. Nach den Duma-Wahlen im Dezember, bei denen Putins Partei Vereinigtes Russland zwar gewonnen hatte, aber mit weniger Stimmen als erwartet, kam es aufgrund behaupteter Wahlfälschungen zu den größten Protesten seit Jahren (Russlands Protestbewegung macht sich Mut). Putin sah sich genötigt, auf die Proteste zu reagieren und versprach im Fernsehen Reformen, u.a. die Ausstattung der Wahllokale mit Überwachungskameras (Putin gibt sich aufgeklärt).

Gegenwärtig muss sich Putin wohl keine großen Sorgen machen. Nach einer aktuellen Umfrage würden 52 Prozent für Putin stimmen, womit er auch einer Stichwahl entgehen könnte. Die anderen Kandidaten sind abgeschlagen. Der Milliardär Michail Prochorow, der sich als Gegenkraft inszeniert, würde danach nur wenige Prozent erhalten. Prochorow dürfte zu den Präsidentschaftswahlen zugelassen werden, der Irkutsker Gouverneur Dmitri Mesenzew ist von der Wahlkommission erst einmal abgelehnt worden, da auf seiner Unterschriftenliste angeblich zu viele falsche Unterschriften gefunden wurden. Mehr als 5 Prozent dürfen es nicht sein. Man werde die Liste aber weiter prüfen. Prochorow sieht in der vermutlich erfolgenden Nichtzulassung des Gouverneurs als Präsidentschaftskandidaten einen "Schlag gegen die Legitimität der Wahlen".

In Nowgorod wurde am Samstag mit der Installation der ersten Web-USB-Kameras begonnen, die, mit Notebooks verbunden, einen Live-Stream aus den Wahllokalen ermöglichen sollen, um durch technisch vermittelte Transparenz jeden Verdacht der Manipulation zu entkräften. In Nowgorod wurde mit der Transparenz- und Ehrlichkeitsinitative begonnen, weil die Stadt als Wiege der russischen Demokratie gilt. In der Stadtrepublik gab es Jahrhunderte lang bis zur Eroberung durch Ivan III. im Jahr 1478 die Wetsche, eine Volksversammlung, in der auch Nichtadelige stimmberechtigt war. Allerdings wurde schon zuvor in Moskau und anderen Orten mit der Installation begonnen, daher diente Nowgorod nur als Bühne eines symbolischen Starts.

Am Samstag wurde in Nowgorod zumindest symbolisch mit der Installation des Überwachungssystems begonnen. Bild: minsvyaz.ru

Und mit den WebCams und den Echtzeitbildern über das Internet, mindestens 15 Bilder pro Sekunde, wird man wohl den jungen, mit dem Internet vertrauten Menschen entgegenkommen wollen, die in den arabischen Ländern, aber eben auch in Russland die Proteste mit organisiert hatten. Noch dazu hat Putins Partei in Nowgorod bei den Duma-Waahlen schwere Verluste einstecken müssen.

15 Milliarden Rubel, etwa 370 Millionen Euro, soll in die insgesamt 250.000 Kameras für die 93.000 Wahllokale investiert werden. Das ist mehr als doppelt so viel, wie die Duma-Wahlen im Dezember gekostet haben. Installiert werden sie vom Telekommunikationsunternehmen Rostelecom. Am 1. Februar soll dann eine Website (vermutlich hier, wo da Projekt jetzt vorgestellt wird) gestartet werden, von der aus Internetnutzer die Bilder aller Webcams sehen und damit das Geschehen in den Wahllokalen verfolgen können. In der Kürze der Zeit wird man wohl nicht alle Wahllokale mit Kameras ausstatten können, etwa tausend Wahlstationen in Gefängnissen, Krankenhäusern oder militärischen Stützpunkten sollen auch keine erhalten, wie der Kommunikationsminister ankündigte.

Da die Kameras aber nicht überall hinschauen, hätten Wahlhelfer und Wahlkommissare durchaus die Möglichkeiten, weiter Manipulationen vorzunehmen, was aus dem Transparenzprojekt eher eine symbolische Aktion werden lässt. Der Bürgermeister von Nowgorod Yury Bobryschew sagt da etwas vorsichtiger, die Kameras übten einen psychologischen Effekt auf die Wähler aus: "Sie werden glauben, dass sie nicht betrogen werden."

Zweifelhaft ist, ob es den Menschen so angenehm ist, ihre Stimmen unter den Kameras abzugeben, sie also durchaus den Eindruck haben könnten, nicht die Wahlhelfer, sondern sie würden überwacht. Es heißt allerdings, die Kameras sollen so positioniert werden, dass sie das Wahlgeheimnis wahren und möglichst nicht die Gesichter der Wähler zeigen. Eine Kamera soll auf den Raum gerichtet sein, die andere auf die Wahlurne. Zwar soll nach Umfragen eine Mehrheit der Russen für die Kameras optieren, bei vielen verschwindet die Skepsis dennoch nicht - zu Recht, handelt es sich bei den mit WebCams ausgestatteten Wahllokalen doch auch nur eine um eine Scheintransparenz.

Die Infrastruktur, die durch die Wahlbeobachtung geschaffen wird, soll später dann auch anderen Zwecken dienen, beispielsweise für die Telemedizin oder für Videokonferenzen, so gab der Kommunikationsminister bekannt. Wenn die Wahllokale in Schulen eingerichtet werden, könne man die Kameras und Notebooks anschließend auch für den Online-Unterricht nutzen.