Russischer Rentnercracker

Mit dem Internet kommt auch die Cyberkriminalität in die Jahre

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Unter einem Hacker oder, was in diesem Fall besser ist, einem Cracker stellt man sich normalerweise, ohne viel nachzudenken, einen jungen Menschen vor, der sich mit Computer gut auskennt und aus Lust oder auch, um Geld auf krummen Touren zu verdienen, in Computer eindringt. Russische Cracker, vornehmlich aus St. Petersburg, haben in diesem Bereich bereits eine gewisse Berühmtheit erlangt und sollen etwa auch hinter dem bislang gefährlichsten Angriff auf Pentagon-Systeme stehen (Noch immer Angriffe auf Pentagon-Rechner). Letztes Jahr ist ein russischer Hacker in das Intranet von Microsoft eingedrungen. Erst kürzlich konnte das FBI mit einer vermutlich rechtlich nicht ganz sauberen Falle zwei junge russische Cracker in die Staaten locken und dort festnehmen (Die Cyberspace-Fallen des FBI).

Jetzt gibt es in Russland möglicherweise eine Premiere, die auch zeigt, dass Computer und das Internet in die Jahre kommen. Am Donnerstag gab nämlich die Polizei in Moskau bekannt, wie BBC berichtet, dass sie eine Gruppe von fünf professionellen Crackern festgenommen habe. Dazu gehört nicht nur ein ehemaliger Polizeibeamter, sondern auch ein pensionierter, 65jähriger Programmierer, der die Gruppe anführte.

Die Gruppe soll von Internetcafés ausoperiert haben. Bislang hatten sie angeblich 300 Kreditkartennummern von Internetnutzern aus dem Westen von Websites erbeutet, wo diese Einkäufe getätigt hatten. Damit tätigten sie Scheineinkäufe bei einer von ihnen fingierten E-Commerce-Firma, die allerdings nichts anzubieten hatte, als wertlose Informationen über einige Standorte von Sägewerken. Besonders viel verdient hatten sie allerdings noch nicht. Nach Angaben der Polizei wurden von der Gruppe etwa 10.000 US-Dollar gestohlen. Wie die polizei auf die Spur der Bande kam, ist nicht bekannt.

Es ist also weniger das Ausmaß des Schadens, den die Bande angerichtet hatte, als das Alter ihres Chefs, das für Aufmerksamkeit sorgt. Und es ist ja auch ein geradezu symbolisches Ereignis, wenn ein Rentner an der Spitze einer Crackerband steht. "Der Fall zerstört den Mythos", so Dimitri Chepugow, der Chef der städtischen Polizei von Moskau, "dass Hacker 14- und 15-jährige Genies seien. Das waren Profis ohne romantische Ideen, die Geld machen wollten." Jetzt kann es passieren, dass der computerkundige Rentner für seine Straftaten zwischen drei und 10 Jahre Gefängnisstrafe erhält.

Der graue Cracker hatte früher in einem Institut als Programmierer gearbeitet und offenbar Programme geschrieben, die viel benutzt wurden, ohne daran etwas zu verdienen. Er musste von seiner Rente leben, die in Russland derzeit nicht zum Leben ausreicht. Normalerweise beträgt die Rente um die 40 Dollar, so dass die meisten Rentner noch für ihren Lebensunterhalt arbeiten mussten. Der in die Jahre gekommene Programmierer ist nicht auf den Schwarzmarkt gegangen, sondern hat versucht, sein Einkommen über den Diebstahl von Kreditkartennummern aufzubessern, was er offenbar aber nicht allzu geschickt gemacht hatte. Immerhin äußerte der Polizeichef Verständnis: "Man kann ihn verstehen", sagte er, "wenn man sich die Lebensumstände heute anschaut." Insgesamt sollen nach Angaben der Polizei monatlich 12-15 Millionen Dollar Schaden durch elektronischen Diebstahl entstehen. Das ist der Rentnercracker oder der Großvater der Cyberkriminalität insgesamt ein kleiner Fisch.