Russland baut massiv die Militärpräsenz in der Arktis aus

Der Kalte Krieg um die Ukraine verdeckt die Aufrüstung in dem wirtschaftlich und militärisch viel wichtigeren Gebiet

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Man könnte fast den Verdacht hegen, dass Moskau an der politischen und medialen Aufmerksamkeit auf den Ukraine-Konflikt ganz gelegen kommt. Dieser lenkt davon ab, dass sich die russischen Begehrlichkeiten, abgesehen von der Krim für den Stützpunkt der Schwarzmeerflotte und den großen Gasressourcen im Meer davor, schon lange Zeit auf die Arktis richten. Dort werden riesige Ressourcen vermutet, nicht nur an Öl und Gas, sondern auch an vielen Mineralien und Metallen. Der Wettlauf um die Arktis hat dank der Klimaerwärmung begonnen. Das zurückweichende Eis und die wachsenden Möglichkeiten der Schifffahrt haben die Arktis zu einer geopolitisch bedeutsamen Region gemacht. Die Konflikte beginnen langsam aufzutauen.

Russland hat die gewaltigen arktischen Ressourcen noch kaum erschlossen. Bild: Gazprom

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffen führt in ihrem Bericht von 2012 auf, dass die russische Arktis bislang noch relativ wenig ausgebeutet wurde, aber große Ressourcen birgt:

Die russische Arktis ist insgesamt reich an Eisen, Bunt- und Edelmetallen sowie seltenen Metallen, Diamanten und Düngemittelrohstoffen. Hier liegt der überwiegende Teil der russischen Rohstoffreserven, vor allem an Platingruppenmetallen, Diamanten, Apatit, Nickel, Seltenen Erden, Silber, Aluminium, Quecksilber, Antimon, Kupfer, Zinn, Wolfram, Gold und Kobalt.

Russland hat den größten Anteil am arktischen Territorium und beansprucht noch größere Gebiete. Nach dem internationalen Recht können Staaten eine exklusive Zone von 200 Seemeilen (370km) vor der Küste wirtschaftlich nutzen. Dazu können Ansprüche auf das Kontinentalschelf unter der Meeresoberfläche nach der UN-Seerechtskonvention UNCLOS geltend gemacht werden. Voraussetzung ist, dass sich die Kontinentalkruste unter dem Meer fortsetzt. Da die USA die Konvention wie so gerne noch nicht ratifiziert haben, hängt vieles - absichtlich - in der Luft, was natürlich zu Konflikten führen kann.

2007 hatte Russland ein deutliches Zeichen für die Ansprüche, aber auch für die Bereitschaft gesetzt, nicht klein beizugeben. Zwei bemannte U-Boote tauchten 4200 Metern tief und brachten auf dem Grund am geografischen Nordpol eine russische Flagge an, um das Gebiet für Russland zu beanspruchen. Es geht um 1,2 Millionen Quadratkilometer und um den direkten Konflikt mit den anderen Anrainerstaaten Kanada, USA, Dänemark/Grönland (und die EU) und Norwegen. Erforscht werden sollte mit der spektakulären Aktion vor allem, welche Gebiete Russland beanspruchen kann. Nach eigenen Angaben gehört der Lomonossow-Rücken zu Russland, auf den auch Grönland und Kanada Anspruch erheben. Hier soll es 10 Milliarden Tonnen Gas- und Ölressourcen geben. Zudem wird der Mendelejew-Rücken als russisches Territorium beansprucht. Nach der Seerechtskonvention wurde Anfang des Jahres bereits das Ochotskische Meer in Ostsibirien Russland zugesprochen. Das sind 52.000 Quadratkilometer, in denen es mehr als 3 Milliarden Tonnen Öl- und Gasvorräte geben soll.

Priraslomnaja-Plattform. Bild: Gazprom

Dass Russland willens ist, die Ausbeutung in der Arktis auch gegen Widerstand fortzuführen, hat die Greenpeace-Aktion im September des letzten Jahres vorgeführt. Bei der Protestaktion gegen die Priraslomnaja-Plattform von Gazprom wurden die Aktivisten festgenommen und ihr Schiff beschlagnahmt. Russland beschuldigte die Aktivisten erst einmal des Terrorismus und der Piraterie ("Keine Piraten" - in Russlands arktischer Wirtschaftszone aber trotzdem unerwünscht). Ende Dezember wurden die Aktivisten wieder freigelassen.

Im April hatte Putin im Schlagschatten des Ukraine-Konflikts erklärt, dass die von Russland beanspruchten Gebiete in der Arktis eine überragende strategische Bedeutung für die nationale Sicherheit hätten: militärisch, politisch, wirtschaftlich, technisch sowie für die Umwelt und die Ressourcen. Zunächst kündigte er den Ausbau der militärischen Infrastruktur und der Militärpräsenz an, was Schritt für Schritt umgesetzt wird (Nato-Russland-Konflikt in der Arktis).

Gestern wurde berichtet, dass das Strategische Kommando Arktis seinen Dienst angetreten habe. Die Nordflotte, in der das Kommando verankert ist, ist die größte russische Marineeinheit. Dazu sollen Armee-, Luftwaffen- und Luftabwehreinheiten kommen. Es sind bereits einige Flughäfen eröffnet und ausgebaut worden, um die Luftwaffe in der Region zu verstärken. Ein Stützpunkt wurde bereits auf Cape Schmidt eröffnet. In dem Naturschutzgebiet soll auch eine Drohneneinheit stationiert werden. Schon auf Wrangel Island, einem Weltnaturerbe, gibt es einen militärischen Stützpunkt. 2015 sollen in zwei weiteren Naturschutzgebieten Stützpunkte eingerichtet werden. Nächstes Jahr soll nach dem russischen Verteidigungsminister die Radarabdeckung der Arktis gewährleistet sein, um "unerwünschte Gäste" zu erkennen.

Außenminister Lawrow meinte im Oktober, dass es keine Notwendigkeit für eine Nato-Präsenz in der Arktis gebe. Es gebe auch keine Notwendigkeit für militärische Entscheidungen, obwohl Russland seine militärische Präsenz massiv ausbaut. Die Arktis, so wiegelte Lawrow ab, sei ein "Kontinent des Dialogs" - aber, muss man hinzufügen, mit der größtmöglichen Abschreckung von unpassenden Ansprüchen.

Gazprom hatte mit ExxonMobile und anderen westlichen Unternehmen einen Vertrag über die Erschließung von arktischen Ressourcen geschlossen. Wegen der Sanktionen will man nun andere Partner suchen, beispielsweise in Vietnam.

Möglicherweise ist im Hinblick auf die gewaltigen arktischen Ressourcen das Gazprom-Pipelineprojekt South Stream relativ bedeutungslos. Damit wollte Russland unter Umgehung der Ukraine Gas über Bulgarien in die EU liefern. Bei seinem Besuch in der Türkei erklärte Putin, den Pipelinebau wegen des Widerstands in der EU abzubrechen. Putin beanstandet, dass schon abgeschlossene bilaterale Abkommen rückwirkend gekippt wurden, was nicht rechtens sei. Verschmerzen kann das Gazprom auch deswegen, weil nun mit der Türkei ein Abkommen geschlossen wurde, eine Unterwasserpipeline mit einer jährlichen Kapazität von 65 Milliarden Kubikmeter zu bauen. Das ist auch deswegen praktisch, weil irgendwann die Sanktionen auslaufen werden. 14 Milliarden Kubikmeter will Russland zu reduzierten Preisen liefern.

Zudem wurde beschlossen, den bilateralen Handel auszubauen. Die engeren Beziehungen zwischen Russland und dem Nato-Staat Türkei wurden allerdings durch den Dissenz in der Syrien-Politik überschattet. Während Putin Assad weiter stützt, will Erdogan ihn stürzten. Aber diese Frage scheint gegenüber der wirtschaftlichen Zusammenarbeit eher nebensächlich gewesen zu sein. Auch die Frage der Krimtataren, die gegen Putin protestiert haben, hat die Einigkeit nicht gestört. Nato-Generalsekretär Stoltenberg hatte die Türkei vor dem Besuch Putins vergeblich aufgerufen, sich den Sanktionen anzuschließen.