SPD-Jubiläum: Parteigeschichte kuschelig

Von ihrem Geburtstagsevent am kommenden Donnerstag in Leipzig erhoffen sich die Sozialdemokraten einen Sympathiegewinn - zu diesem Zweck haben sie auch ihre Historie in Wohlfühlfarben gebracht

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Einhundertfünzig Jahre aktiv und immer noch frischen Mutes - so feiert sich nun die älteste deutsche Partei. Zum festlichen Anlass erwartet sie nationale und internationale Prominenz, hochwillkommen im Jahr einer Bundestagswahl, bei deren Vorbereitung die Werbeleute im Willy-Brandt-Haus bisher Glanzleistungen nicht vollbracht haben.

Nun die Stargäste: der deutsche Bundespräsident, der Staatspräsident Frankreichs - Freundliches werden sie sagen, aber der eine ist kein Sozialdemokrat, der andere im eigenen Land in politischen Nöten. Auch die Bundeskanzlerin wird erwartet, was aber den demoskopischen Werten ihres SPD-Herausforderers nicht aus dem Rückstand heraushelfen wird.

Die Schauspielerin Iris Berben und das Leipziger Symphonieorchester wirken mit beim Jubiläumsfest; dass dies die SPD bei der nächsten Sonntagsfrage hochhievt, ist nicht zu erwarten. Also ist es denn doch die Parteigeschichte, von der Aufmunterndes oder doch wenigstens Tröstliches erwartet wird, seit Wochen schon wird sie von der Partei zum aktuellen Gebrauch ins PR-Format gebracht. Dort präsentiert sie sich so:

Schon kurz vor dem Ersten Weltkrieg, trotz vorhergehender Unterdrückung, ist die SPD zur wählerstärksten Partei aufgestiegen. Dann hat sie 1918 für die Wende vom Obrigkeitsstaat zur Weimarer Demokratie gesorgt und deren ersten Reichspräsidenten gestellt. Als Hitler 1933 von dessen Nachfolger zum Reichskanzler ernannt worden war, haben allein die Sozialdemokraten gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt. Bald danach wurde die SPD verboten.

1945 kam die Freiheit und die SPD war wieder da. In Westdeutschland sorgte sie dafür, dass es in der Marktwirtschaft sozial zuging. In Ostdeutschland wurden die Sozialdemokraten unterdrückt, aber dank sozialdemokratischer Ostpolitik konnte sich die DDR auf Dauer nicht halten. Und jetzt braucht das einige Deutschland zu seinem sozialen Glück nur dies: eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung...

Eine Sympathie nahelegende Erzählung, sozusagen rund klingend - aber vielleicht doch ein bisschen zu sehr gerundet?

Die Geschichte ist keine Erfolgsstory

Bei historisch interessierten Mitmenschen kommen da möglicherweise Fragen auf, etwa diese: War da nicht 1914 und in den Folgejahren ein innersozialdemokratischer Konflikt, beginnend mit der Zustimmung der SPD-Reichstagsfraktion zu den Kriegskrediten? Hätte die Kriegsmaschinerie des deutschen Obrigkeitsstaates über vier Jahre hin funktioniert ohne den "Burgfrieden" mit der SPD und den dieser Partei verbundenen Freien Gewerkschaften? Wie kam es zum Massenprotest gegen den Krieg und gegen den Staat in der Arbeiterbevölkerung, in Opposition zur sozialdemokratischen Führung? Und dann zur langfristigen Spaltung der Arbeiterbewegung, zur Gründung der "Unabhängigen Sozialdemokratie" und später der Kommunistischen Partei? Die Lektüre marxistischer Theorieschriften wird nicht der antreibende Faktor dafür gewesen sein.

Fragen lässt sich auch, warum die SPD nicht in der Lage war, in der Weimarer Republik dem deutschnationalen Treiben und dann dem Vordringen der NSDAP wirksam entgegenzutreten; das Jahr 1933 bedeutete für die deutsche Arbeiterbewegung insgesamt eine katastrophale Niederlage.

Die gesellschaftspolitische Ordnung in Westdeutschland nach dem Ende des "Dritten Reiches": Entsprach sie den Vorstellungen der Sozialdemokratie? Endlich ein Erfolg der SPD? Keinesfalls war die "soziale Marktwirtschaft" das Ziel der SPD unter Kurt Schumacher, und Ludwig Erhardt galt damals nicht als sozialdemokratisches Idol.

Und die deutsche Wiedervereinigung? Hat die SPD der DDR ein Ende gemacht? Der ostdeutsche Staat war das Produkt des beginnenden Kalten Krieges (und der Abneigung westdeutscher Eliten gegen eine gesamtdeutsche Neutralität). Er verschwand aus der Geschichte, als die sowjetische Führung an seiner Existenz kein Interesse mehr hatte.

Schließlich die "soziale Balance" als "Auftrag" künftiger SPD-Politik: Hatten regierende Sozialdemokraten mit dem Verlust derselben nichts zu tun?

Die Geschichte der SPD ist, näher hingesehen, alles andere als eine Erfolgsstory, es mangelt da nicht an fragwürdigen Entscheidungen und Fehleinschätzungen. Muss man diese aus dem Gedächtnis verdrängen?

In Abstimmung mit dem sozialdemokratischen Parteivorstand macht derzeit eine Image-Ident-Marketing GmbH "Produktwerbung" für die Partei. Unter den Angeboten von Reklameartikeln befindet sich ein mohairiger SPD-Kuschelbär, 89,90 Euro kostet er. Offenbar hat das Plüschtier Pate gestanden beim Geschichtsdesign der Partei.