SPD-Parteitag: Bei Flüchtlingen keine Obergrenze, sondern Kontingente

Gabriel: Angemessene Integration gelingt nicht bei weiterhin einer Million Flüchtlinge im Jahr

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Bei der Sonntagsfrage verharrt die SPD bei 24 Prozent. Das lässt der Partei keine Flügel wachsen. Es gibt ohnehin keinen Rand, der mit starken Ideen auf sich aufmerksam macht, und es gibt niemand, der die Partei weiter nach oben bringen will, die vernünftige Mitte will im Basislager bleiben, an der Seite von Merkel weiter mitregieren.

Das wird schon beim Auftakt des Parteitages ganz offen vorgeführt. Ein Altkanzler erhält frenetischen Beifall ("Die Genossen wollten überhaupt nicht mehr aufhören") für eine Rede, die sich an verstorbenen Größen wie Helmut Schmidt und Egon Bahr entflammt. "Lasst uns das nicht vergessen", zitiert der Spiegel Gerhard Schröder: Für verantwortungsvolle Politik einzustehen, darin liege der Kern der SPD: "Das gibt uns die Kraft." Die Botschaft: Nur Mut!

Wozu braucht es den bei der Gegenwarts-SPD?

Die Mitregierungs-Partei teilt alle relevanten Position mit der Kanzlerin, schafft kein eigenes Profil. Das ist ihr Dilemma. Beim Kriegseinsatz in Syrien und beim Problem der Flüchtlingsaufnahme.

Von Kommunen und aus den Landesregierungen gibt es Rückmeldungen, die jetzt auch Gabriel zu einem anderen Ton nötigen. Nicht mehr, wir schaffen das schon mit 500.000 jährlich - "Ich habe da keine Zweifel - vielleicht auch mehr" - , sondern:

Ich bin der festen Überzeugung, dass es nicht gelingt, eine angemessene Integration in Deutschland sicherzustellen, wenn wir im nächsten und übernächsten Jahr jeweils wieder eine Million Flüchtlinge bekommen.

Wie Merkel setzt Gabriel eine rote Linie. Mit der SPD wird es keine Obergrenze geben. Eine derartige Begrenzung wäre "Quatsch", wird er zitiert:

Wir müssten doch einen Zaun um Deutschland ziehen und die Bundeswehr mit aufgepflanztem Bajonett an die Grenzen stellen.

Stattdessen tritt er für eine Kontingentlösung ein, wie Merkel. Die SPD dürfe "nicht die Augen zumachen" vor den Nöten, die viele Kommunalpolitiker und Flüchtlingshelfer mit dem Zuzug der Flüchtlinge hätten, soll er in seiner Ansprache vor dem Parteitag gesagt haben (die Rede kommt morgen). Aber er macht hier die Augen zu vor einer anderen Realität.

Kontingentlösung heißt, dass auch andere europäische Staaten mitmachen, dafür stehen die realistischen Aussichten nicht gut. Weiter bedeutet die Kontingentlösung eine Abhängigkeit von der Türkei und von Griechenland, was die die Außengrenzen betrifft.

Auch hier stehen die Aussichten nicht zum Besten: Die Türkei kann mit der Abhängigkeit von ihrer Grenz-und Schleusenmacht, eigene politische Interessen mit anderem Gewicht ins Spiel bringen, die Deutschland, was Syrien betrifft, Schwierigkeiten bereiten können. Ganz abgesehen davon, dass man die Augen schön verschließen muss, wenn es um Menschenrechte geht.

Paradox ist zudem, dass Gabriel, der in der Griechenland-Schuldenkrise harte Töne gegen die Tsipras-Regierung anschlug ("letzte Brücken eingerissen"), jetzt auf den EU-Grenzschützer Griechenland setzt, der mit dieser Problem-Outsourcing-Aufgabe überfordert ist. Bundeswehr mit Bajonetten an der Grenze stellt er hier als Horrorbild auf und in Griechenland gilt das nicht? Ist ja auch weit weg, also wegschauen? (vgl. Wildes Flüchtlingslager in Idomeni von der Polizei geräumt)

Die Kontingentlösung ist, solange von einer größeren Zahl von EU-Mitgliedsstaaten keine entsprechenden Mitmachsignale kommen, eine Art Palliativ, das jetzt der Basis vorgesetzt wird.

Da schwingt die Sorge mit, dass man es sich mit keinem verderben will. Würde die SPD unmissverständlich, klar und deutlich für ein EU-weites Einwanderungsrahmengesetz eintreten und Pläne vorstellen, wie die EU-Mitgliedsstaaten davon zu überzeugen sind, wäre das schon mutiger.