Sachbücher des Monats: Januar 2015

Die Top Ten unter den Sachbüchern nebst einer persönlichen Empfehlung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Jeden Monat neu präsentiert von der Süddeutschen Zeitung, dem Norddeutschen Rundfunk, Buchjournal, Börsenblatt und Telepolis. (Die Jury )

Die Ursprünge des digitalen Zeitalters

In den 1940er Jahren kam es am Institute for Advanced Study in Princeton zu einer einzigartigen Zusammenarbeit wissenschaftlicher Genies, die als Keimzelle der digitalen Welt gelten kann. Zu ihnen gehörten Albert Einstein, Robert Oppenheimer, Kurt Gödel, Alan Turing und John von Neumann. In engem Austausch arbeiteten sie an streng geheimen Projekten, darunter dem Bau der Atombombe und der Entwicklung des Computers, weitgehend finanziert vom US-Militär. George Dyson erzählt die Geschichte dieser Anfänge des digitalen Zeitalters. Er zeigt, welch enormer Anstrengungen der versammelten Mathematiker, Physiker und Chemiker, aber auch welcher Zufälle es bedurfte, um auf den Weg zu bringen, was uns heute als selbstverständlich erscheint. Aus dem Amerikanischen von Karl Heinz Siber

Propyläen Verlag, 592 Seiten, € 26,00

Die frühen Jahre

Nach den ersten zwei Bänden seiner Kafka-Biographie schließt Reiner Stach sein Werk mit Kafkas Kindheit und Jugend, Studium und ersten Berufsjahren ab. Die Entfaltung von Kafkas Sprachtalent, seine Bildungserlebnisse, die Reifung seiner Sexualität und nicht zuletzt die Auseinandersetzung mit neuen Technologien und Medien sind die entscheidenden Wegmarken. Reiner Stachs Kafka-Biographie bietet ein Panorama der Zeit und zugleich die Studie eines außergewöhnlichen Menschen.

S. Fischer Verlag, 608 Seiten, € 34,00

Szenen aus dem intellektuellen Leben der achtziger Jahre

Einer der intellektuell aufregendsten Orte der alten Bundesrepublik war das 1981 gegründete Wissenschaftskolleg zu Berlin. Hier trafen deutsche und ausländische Wissenschaftler zu einem bis dahin einzigartigen Projekt zusammen. Uwe Pörksen gehörte zu den Fellows des ersten Jahrgangs. Gestützt auf sein Tagebuch, erzählt er von der illustren Runde am Berliner Halensee und porträtiert ihre Protagonisten, darunter Gershom Scholem, Ivan Illich, Jacob Taubes und Hartmut von Hentig. Eine flirrende Atmosphäre. Die Zeit spielte mit. Westberlin lag damals als Insel, von einer Mauer umgeben, mitten in der DDR. Pörksen holt die Jahre zurück, in denen Wörter wie "Elite" und "Exzellenz", die heute zu Fahnenwörtern geworden sind (und allerdings meistens nur "Geld" bedeuten), noch für einen Skandal gut waren.

C. H. Beck Verlag, 236 Seiten, € 24,95

Das deutsch-jüdische Verhältnis als Tragödie der Nähe

Luther ist so eng mit der deutschen Geschichte verbunden, dass sein Verhältnis zu den Juden für alle eine schwere Bürde ist. Zur 500-Jahrfeier des Reformationsbeginns werden wir vor tiefen Widersprüchen stehen. 1523 schreibt Luther über die Juden: "Will man ihnen helfen, so muss man … sie freundlich annehmen, muss sie Gewerbe treiben und arbeiten lassen". 1543 aber forderte er erschreckende Gewaltmaßnahmen, auf die sich die Antisemiten immer wieder berufen haben: "Zum ersten: dass man ihre Synagoge oder Schule mit Feuer anstecke … Zum zweiten, dass man auch ihre Häuser in gleicher Weise zerbreche und zerstöre". Dietz Bering wirft ein neues Licht auf Luthers rätselhaften Wandel vom Judenfreund zum erbitterten Judenfeind. Das Verhältnis von Luther zu den Juden zeigt sich als "Tragödie der Nähe": Die reformatorischen Umwälzungen ließen Luther so nah an die Juden heranrücken, dass die alte Distanzstellung aufgehoben war. Aus der bedrohlichen Nähe erwuchsen massive Abgrenzungsreaktionen. Das an Luther gewonnene Modell überträgt der Autor auf die gesamte deutsch-jüdische Geschichte.

Berlin University Press, 340 Seiten, € 29,90

Die jüngsten Fortschritte der Neurowissenschaften in Kombination mit modernen Forschungsmethoden machen es möglich, fundierte Antworten darauf zu geben, - wo im Gehirn die Seele zu verorten ist - wie der Aufbau der Persönlichkeit verläuft - worauf psychische Erkrankungen beruhen - warum die Wirksamkeit von Psychotherapien nicht gut belegt ist - warum alte Muster immer wieder unser Verhalten bestimmen und so schwierig zu verändern sind - warum Menschen mit antisozialen Persönlichkeitsstrukturen nur schwer behandelbar sind - wie man im Rahmen der Psychotherapie oder mit Medikamenten auf die Psyche einwirken kann.

Verlag Klett-Cotta, 425 Seiten, € 22,95

Europa 1939 - 1945

Nichts hat die Zerstörungskraft des Zweiten Weltkriegs so sehr ins kollektive Gedächtnis eingebrannt wie der Bombenkrieg: Mit nie dagewesener Gewalt vernichtete er Dutzende Städte in ganz Europa, 600 000 Menschen starben, Millionen verloren alles; die Ruinen von Coventry oder Dresden wurden zu Symbolen einer technischen, menschengemachten Apokalypse.Richard Overy schildert die Anfänge der neuen Strategie des "Moral Bombing", ihre Entwicklung wie schließlich ihr Scheitern, und er deckt zahlreiche Mythen und Irrtümer auf, die bis heute kursieren. Erstmals entsteht ein internationales Gesamtbild, von der Offensive gegen das Ruhrgebiet bis zu den "Baedeker-Angriffen", die unschätzbares historisches Erbe auslöschten, von den deutschen Bomben auf Stalingrad bis zu wenig bekannten Schauplätzen wie Rom oder Bulgarien. Overy zeigt, warum der Luftkrieg trotz Ineffektivität und mörderischer Kosten ausgeweitet wurde, welche Rolle Hermann Göring oder General Harris dabei spielten. Übersetzt von Hainer Kober

Verlag Rowohlt Berlin, 1056 Seiten, € 34,99

Der Wiener Kongreß und die Neugründung Europas

1815 war ein Schicksalsjahr für das moderne Europa. Napoleons Armeen waren geschlagen, ein ganzer Kontinent musste neu geordnet werden. Thierry Lentz wirft in seinem großen Buch einen einzigartigen Blick auf jenes Schlüsselereignis, das eine epochale Wende einläutete: Der Wiener Kongress war nicht nur ein schillerndes Tanzvergnügen - er war Fundament und Ausgangspunkt einer gewaltigen Neugründung Europas. Thierry Lentz schaut hinter die Kulissen der offiziellen Diplomatie, dorthin, wo die wichtigsten Entscheidungen von Metternich, Hardenberg und Talleyrand ihren Ausgang nahmen. Er beleuchtet die verschiedenen Interessen der Mächte, dieses diplomatische Ringen, bei dem nichts weniger auf dem Spiel stand als die Zukunft Europas. Aus dem Französischen von Frank Sievers

Siedler Verlag, 432 Seiten, € 24,99

In der Wahrheit leben

Er war Schriftsteller mit Publikationsverbot, Dissident und gefeierter Staatsmann. Er schlug sich als Taxifahrer durch, weil er nicht studieren durfte. Als Wortführer der Regimegegner landete er im Gefängnis. Nach der Revolution von 1989 wurde er als tschechischer Staatspräsident eine der geachtetsten Leitfiguren der westlichen Welt. Vaclav Havel erlebte alle Höhen und Tiefen, die ein politisch engagierter Mensch im kommunistischen Teil Europas erleben konnte. Michael Zantovsky kennt Havel seit den Zeiten der berühmten Charta ’77, war Mitbegründer des Bürgerforums, das die "Samtene Revolution" herbeiführte, und wurde engster Berater Havels während seiner Präsidentschaft. Aus dem Tschechischen von Hans Freundl

Propyläen Verlag, 688 Seiten, € 26,00

Eine Theorie der Drohne

Im Krieg auf Entfernung scheint es kaum bedeutsam, dass Maschinen Menschen töten: Was zählt ist, dass sie "human" töten. Dieses Buch zeigt die schwerwiegenden ethischen, psychologischen und rechtlichen Fragen, vor die uns das Kriegsmittel der bewaffneten Drohne stellt. "Ein schönes Ziel! Ich will versuchen, von hinten genau in die Mitte zu treffen." Hier spricht kein Scharfschütze auf dem Dach eines Gebäudes, sondern einer, der sich in der Basis Creech, Nevada, bequem in seinem Stuhl zurücklehnt. Er steuert eine Drohne, die sich bereit macht, gegen eine Gruppe Verdächtiger in Afghanistan eine Hellfire-Rakete abzufeuern. Mit diesem neuen Wunder militärischer Technik treten Tausende von Kilometern zwischen den Abzug, auf dem der Finger liegt, und das Rohr, aus dem das Geschoss tritt. Diese Entfernung stört unsere Vorstellung von Krieg: Was ist ein Kämpfer ohne Kampf? Wo ist das Schlachtfeld? Und kann man überhaupt von Krieg sprechen, wenn das Risiko nicht reziprok ist, wenn ganze Menschengruppen auf den Status potenzieller Ziele reduziert werden - die jederzeit legitime Ziele werden können? Übersetzt von Christian Leitner

Passagen Verlag, 286 Seiten, € 29,90

Ein Land und seine Widersprüche

Indien hat in den letzten 70 Jahren eine erstaunliche wirtschaftliche und politische Erfolgsgeschichte vorzuweisen. Zugleich herrschen in der größten Demokratie der Erde weiterhin krasse soziale Ungleichheit und großes Elend in den Unterschichten vor. Die Autoren gehen den Ursachen dieser Widersprüchlichkeiten auf den Grund. Diese Betrachtung behandelt die allgemeine ökonomische, politische und gesellschaftliche Entwicklung Indiens von seiner Unabhängigkeit bis heute. Besondere Aufmerksamkeit erfährt hierbei die Rolle, welche die Einführung eines demokratischen Systems auf die Wirtschaft und das soziale Gefüge des einstigen Entwicklungslandes spielte. Anhand zahlreicher Beispiele und Vergleiche mit anderen Ländern führen die Autoren vor Augen, wie die Vernachlässigung sozialer Probleme letzten Endes gravierende Auswirkungen auf das ökonomische, aber auch politische System des Landes haben konnte. Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Atzert und Andreas Wirthensohn

C. H. Beck Verlag, 376 Seiten, € 29,95

Besondere Empfehlung des Monats Januar von Ludger Lütkehaus:

Erotische Literatur wird heute meist von Frauen für Frauen geschrieben. Aber das ist nicht neu: In der italienischen Renaissance dichteten Kurtisanen - bewundert von den männlichen Kollegen. Im liberalen England um 1670 begeisterten Autorinnen wie Aphra Behn ihr Publikum mit Komödien und frivolen Romanen. Es waren Lehrstücke zur sexuellen Unabhängigkeit und gegen die Konventionsehe. Lange vor der Aufklärung prägten schreibende Frauen die französische Salonkultur und gaben mit freizügigen Themen den Ton an. Von ihnen lernten Autoren wie Crébillon und Voltaire, dessen Jungfrau von Orléans dann für einen handfesten Skandal sorgte. Erst nach der Französischen Revolution bekamen bürgerliche Moral und die christlich puritanischen Tugenden wieder die Oberhand, die freizügigen Werke verschwanden europaweit aus den Regalen - und ihre Autorinnen aus dem kulturellen Gedächtnis. Sinnliche Literatur wurde zur Bückware und büßte ihre emanzipatorische Kraft ein. Erst seit Kurzem haben Frauen dieses Feld wieder neu für sich entdeckt und, mit Erica Jong, die Angst vorm Fliegen verloren.

Galiani Verlag Berlin, 544 Seiten, € 24,99

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