Sachbücher des Monats: Juni 2010

Die Top Ten unter den Sachbüchern nebst einer persönlichen Empfehlung, jeden Monat neu, präsentiert von Süddeutsche Zeitung / Buchjournal / Börsenblatt / Norddeutscher Rundfunk / Telepolis.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Antony Beevor

D-Day

Die Schlacht um die Normandie

D-Day, das war die größte militärische Operation aller Zeiten: die Invasion der Alliierten am 6. Juni 1944 in der Normandie. Beevor zeichnet diesen Tag minutiös nach. Hautnah erlebt der Leser im Hauptquartier die Nervosität der Befehlshaber, begreift die komplexe Strategie einschließlich des kühnen Täuschungsmanövers, spürt die moralische Bürde, die Männer wie General Eisenhower empfanden.Übersetzt von Helmut Ettinger

C. Bertelsmann Verlag, 636 Seiten, EUR 28,00

Ludolf Herbst

Hitlers Charisma

Die Erfindung eines deutschen Messias

Alle Charakterisierungen der NS-Diktatur als charismatische Herrschaft führen in die Irre. Sie beruhen nicht nur auf unsachgemäßen Anwendungen der Herrschaftssoziologie von Max Weber; sondern vor allem auf Unterschätzung der manipulativen Möglichkeiten moderner Propaganda, die die NSDAP seit 1930 wie keine anderen Partei beherrscht hat. Der Autor nimmt die Charisma-These sachkundig auseinander und zeigt, wie Adolf Hitler zunächst im rechtsradikalen Milieu zum Messias stilisiert und schließlich zum Mittelpunkt öffentlicher Verehrung gemacht wurde.

S. Fischer Verlag, 330 Seiten, EUR 22,95

Ian Dickie, Martin J. Dougherty, Phyllis G. Jestice, Christer Jörgensen, Tob. S. Rice

Geschichte der Seekriege

Vom Sieg der Ägypter über die Seevölker 1190 v. Chr. bis zur Waffentechnik moderner Flugzeugträger in der Schlacht um Midway - 3.000 Jahre Seekriege in einem illustrierten Überblick. Die Autoren erläutern, wie in der Geschichte der Seekriege technische Innovation in Schiffbau und Bewaffnung Hand in Hand gingen mit immer neuen Kriegstaktiken und Strategien. Sie untersuchen die Erfolgsrezepte siegreicher Admirale ebenso wie die Bauweise und Ausrüstung der Schiffe, die Ausbildung der Mannschaft oder die politischen und wirtschaftlichen Hintergründe von Seekriegen und ihre Bedeutung für den Lauf der Geschichte.Übersetzt von Henning Dedekind und Karin Schuler

Konrad Theiss Verlag, 256 Seiten, ca. 250 Abb., EUR 34,90

Olivier Roy

Heilige Einfalt

Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen

Im Schatten der Globalisierung erlebt der Glaube einen Boom. Doch während die Religion früher im Zentrum kultureller Traditionen stand, ist die neue Religiosität Ausdruck einer entwurzelten Sinnsuche des Einzelnen. Der einfältige Wunsch nach einer Religion ohne gemeinschaftliche Einbettung ist der Nährboden für religiösen Fundamentalismus und birgt massive Gefahren für Staat und Gesellschaft.Aus dem Französischen von Ursel Schäfer

Siedler Verlag, 335 Seiten, EUR 22,95

Johannes Willms

Stendhal

Biographie

Autor und Abenteurer, Diplomat und Salonlöwe, Soldat, Liebhaber der Frauen und Liebhaber der Künste: Stendhals Lebensgeschichte ist nicht minder abenteuerlich als seine Romane. Während seiner mondänen Jahre in Frankreich und Italien war der große Romancier der Weltliteratur mehr als Frauenheld denn als Schriftsteller bekannt. Johannes Willms erzählt in seiner Biographie das Schriftstellerleben eines literarischen Außenseiters, für den das Schreiben nur eine und nicht immer die wichtigste Beschäftigung war.

Carl Hanser Verlag, 330 Seiten, EUR 24,90

Maike Albath

Der Geist von Turin

Pavese, Ginzburg, Einaudi und die Wiedergeburt Italiens 1943

In Mussolinis Italien, im Schatten der Fabriken von Fiat und Olivetti, begegneten sich in den Dreißiger Jahren in Turin ein paar gebildete junge Leute. Sie gründeten Zeitschriften und Verlage, schrieben kritische Artikel, nahmen Verbannung und Gefängnis auf sich und fühlten sich als Avantgarde. Aus dem Kreis um Cesare Pavese, Leone und Natalia Ginzburg und den Verlag Einaudi kam jener Geist, der nach 1945 das Klima intellektueller Freiheit in Italien wesentlich geprägt hat. Selten haben Intellektuelle einen so nachhaltigen Einfluss auf die Geschicke eines ganzen Landes genommen.

Berenberg Verlag, 189 Seiten, EUR 19,00

Joseph Stiglitz

Im freien Fall

Vom Versagen der Märkte zur Neuordnung der Weltwirtschaft

Der freie Fall der Weltwirtschaft begann im Herbst 2008 mit dem Zusammenbruch der Investment-Bank Lehman Brothers. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, die wir seither erleben, ist die schlimmste seit den 1930er Jahren. In seinem neuen Buch fragt Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, wie es dazu kommen konnte - und erklärt, wie wir solche Katastrophen in Zukunft verhindern können.Übersetzt von Thorsten Schmidt

Siedler Verlag, 448 Seiten, EUR 24,95

Elisabeth Badinter

Der Infant von Parma

Oder Die Ohnmacht der Erziehung

Mitte des 18. Jahrhunderts. Der junge Prinz Ferdinand von Parma, Enkel des französischen Königs, wird zum Gegenstand eines einzigartigen pädagogischen Experiments. Seine Eltern wollen einen modernen, aufgeklärten Monarchen aus ihm machen und holen dafür die besten Lehrer aus Frankreich. Das Experiment soll den Glauben der Zeit an die Macht der Erziehung bestätigen. Halb Europa schaut gespannt nach Parma. Doch die Hoffnungen der Zeit, die das Kind auf seinen schwachen Schultern trägt, werden bitter enttäuscht. Es ist die Geschichte einer ehrgeizigen Erziehung, die das Herz ihres Zöglings nicht zu erreichen vermag.Übersetzt von Thomas Schultz

C. H. Beck Verlag, 144 Seiten, EUR 17,95

Karl Erich Grözinger

Jüdisches Denken: Theologie – Philosophie – Mystik 3

Von der Religionskritik der Renaissance zur Orthodoxie und Reform im 19. Jahrhundert

Grözinger zeigt, wie sich das italienische Judentum bereits ab dem 16. Jahrhundert, gut 200 Jahre vor der Aufklärung im mitteleuropäischen Judentum, den modernen Wissenschaften und Künsten öffnete und damit das jüdische Denken in Europa grundlegend veränderte. Verstärkt wurde die daraus resultierende religiöse Unsicherheit noch durch den Zuzug der von der iberischen Halbinsel stammenden sephardischen sowie zwangsgetauften Juden. All dies führte zu einer Religions- und Traditionskritik, die in Spinoza ihren letzten Höhepunkt fand. Parallel entstand, besonders in Osteuropa, eine »orthodoxe« und zugleich innovative Restrukturierung der rabbinischen Tradition.

Campus Verlag, 680 Seiten, EUR 68,00

Christian Marek/Peter Freitag

Geschichte Kleinasiens in der Antike

Die Autoren geben einen Überblick über 10.000 Jahre Historie eines menschheitsgeschichtlich hochbedeutenden Territoriums, wo sich der Prozess der Sesshaftwerdung des Menschen vollzog. Seit dem Auftreten der altorientalischen Hochkulturen lag es im Kraftfeld der Großreiche. Ägypter, Hethiter, Urartäer, Lykier, Karer, Phryger, Lyder, Assyrer, Griechen, Perser und Römer haben das Gebiet geprägt. Hier fand der Zug der Zehntausend statt, hier wurde das Geld erfunden, hier kämpfte Alexander der Große, hier zerfleischten sich die Diadochen, hier schuf Pompeius seine Neuordnung des Ostens, hier blühten Dichtung und Philosophie, hier missionierte der Apostel Paulus, hier verbreiteten sich die Häresien des Christentums.

Historische Bibliothek der Gerda Henkel StiftungC. H. Beck Verlag, 941 Seiten, EUR 44,00::32719_10.jpg

Besondere Empfehlung des Monats Juni 2010 von Hilal Sezgin:

Mark Terkessidis

Interkultur

Ob als theoretisches Konzept oder als polemische Formel - lange Zeit bestimmte der Begriff des Multikulturalismus die Debatte über die Einwanderungsgesellschaft. Doch Autoren und Regisseure wie Vladimir Kaminer oder Fatih Akin wollen nicht länger auf ihre Herkunft reduziert werden und haben die Vorstellungen von deutscher Kultur verändert. Daher sollten, so Mark Terkessidis, die alten Konzepte überwunden werden. Er plädiert für eine radikale interkulturelle Öffnung. Alle Institutionen müßten darauf abgeklopft werden, ob sie Personen, egal welcher Herkunft, auch tatsächlich die gleichen Chancen auf Teilhabe einräumen. Nur so können die Potentiale einer vielfältigen Gesellschaft fruchtbar gemacht werden.

Suhrkamp Verlag, (edition suhrkamp) 220 Seiten, EUR 13,00

Die Jury