Sachbücher des Monats: Juni 2015

Die Top Ten unter den Sachbüchern nebst einer persönlichen Empfehlung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Jeden Monat neu präsentiert von der Süddeutschen Zeitung, dem Norddeutschen Rundfunk, Buchjournal, Börsenblatt und Telepolis. (Die Jury )

Michael Pauen / Harald Welzer

Autonomie

Eine Verteidigung

Autonomie gilt als zentrale menschliche Eigenschaft. Doch sie gerät von vielen Seiten unter Beschuss: Die Neurowissenschaft erklärt, der Wille sei nicht frei, die Sozialpsychologie zeigt in ihren Experimenten ebenso wie Shitstorms im Internet, wie mächtig der Anpassungsdruck ist. Die Auswirkungen sind beträchtlich, wenn unsere Autonomie in Gefahr ist. Harald Welzer und Michael Pauen analysieren die Situation auf Grundlage eigener Experimente und Forschungen, um Möglichkeiten der Gegenwehr sichtbar zu machen: Wie können Gemeinschaften so gestaltet werden, dass Konformitätszwänge gering bleiben? Gleichzeitig zeigen sie, dass es wirksame Gegenstrategien nur auf der sozialen Ebene geben kann - solange wichtige Freiheitsspielräume noch bestehen. Die Zeit drängt.

S. Fischer Verlag, 328 Seiten, € 19,99

Walter Laqueur

Putinismus

Wohin treibt Russland?

Walter Laqueur beleuchtet Putins neue Großmachtpolitik. Er zeigt, wie sich nach dem Ende der Sowjetunion ein neuer gesellschaftlicher Konsens gebildet hat, antiwestlich, antiliberal und staatshörig, der an tief verwurzelte Traditionen Russlands anknüpft. Putin, Vorreiter dieser fatalen Entwicklung, findet breite Zustimmung im Lande. Sein Kurs, durch die Destabilisierung Osteuropas verlorenen Einfluss zurückzugewinnen, führt unweigerlich in eine gefährliche Konfrontation mit dem Westen.

Propyläen Verlag, 336 Seiten, € 22,00

Amnesty International Report 2014/15

Zur weltweiten Lage der Menschenrechte

"Eine Welt ohne Furcht und Not" - dieser Grundsatz aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrecht ist heute für immer mehr Menschen ein unerfülltes Versprechen. Bürgerkriege, Terrorgruppen wie der Islamische Staat aber auch der Missbrauch staatlicher Souveränität haben den größten Flüchtlingsstrom seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ausgelöst. 51 Millionen Menschen sind auf der Flucht vor religiöser, ethnischer und wirtschaftlicher Diskriminierung, vor Misshandlung, Folter und Tod. Der Report von Amnesty International gibt Auskunft über die Situation der Menschenrechte in ca. 150 Staaten und ist zugleich ein wichtiger Appell an die Weltöffentlichkeit, sich gegen Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Unterdrückung einzusetzen.

S. Fischer Verlag, 528 Seiten, € 14,99

Dieter Henrich

Der Philosoph

Dieter Henrich im Gespräch mit Alexandru Bulucz

Das unter den Titel "Sterbliche Gedanken" (Hölderlin) gestellte Gespräch mit Dieter Henrich, das die Gesprächsreiche "Einsichten im Dialog" eröffnet, berührt eine Vielfalt von Themen, philosophische und persönliche. Darunter sind Themen, über die der in München lebende Philosoph seit fast siebzig Jahren nachdenkt und schreibt. Hier spricht aber auch jemand über seinen Umgang mit erfahrenen Buddhisten, seine Begegnungen mit dem Dirigenten Sergiu Celibidache ebenso wie seinen von Hans-Georg Gadamer geprägten Bildungsweg, in der Nähe von Martin Heidegger und doch mit ihm selbst eigenen Themen und Motiven. Dieser Weg führte ihn später zu langen Gastrollen nach Amerika und zum freundschaftlichen Kontakt mit Meistern der analytischen Philosophie.

Edition Faust, 64 Steinen, € 10,00

Carl Heinrich Merck

Beschreibung der Tschucktschi, von ihren Gebräuchen und Lebensart

Sowie weitere Berichte und Materialien

Auf Geheiß der russischen Zarin Katharina II. begleitete der deutsche Arzt Carl Heinrich Merck als Naturforscher die geheime astronomische und geographische Expedition zur Erkundung Ostsibiriens und Alaskas (1785-1795).Von August 1791 bis Februar 1792 reisten Carl Heinrich Merck, sein Kapitän Joseph Billings und einige weitere Mitglieder der Mannschaft durch die Halbinsel Tschukotka. Sie waren die ersten Europäer, die längere Zeit mit den Tschukschen, die sich bis dahin beharrlich allen engeren Kontakten mit den Russen verweigert hatten, zusammenlebten und sie bei ihrem nomadischen Leben begleiten durften. Die von Merck verfasste "Beschreibung der Tschucktschi" gilt heute als das erste und ausführlichste Dokument des 18. Jahrhunderts zur Ethnologie dieses sibirischen Volkes. Herausgegeben von Dittmar Dahlmann, Diana Ordubadi und Helena Pivovar. Mit Beiträgen von Sylke Frahnert, Michael Knüppel und Lupold von Lehsten

Wallstein Verlag, 552 Seiten, € 22,90

Wolfrag Pyta

Hitler

Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse

Wolfram Pyta untersucht den Aufstieg des brotlosen Künstlers Hitler zum allmächtigen Politiker und Feldherrn. Der Historiker zeigt, wie Hitler durch raffinierte Ästhetisierung der Politik seine Massengefolgschaft fand - dem verhinderten Theaterarchitekt und passionierten Wagnerianer half dabei vor allem die konsequente Inszenierung seiner politischen Auftritte. In dem von ihm entfesselten Weltkrieg erlangte Hitler zudem die totale militärische Herrschaft, weil ihm der Geniekult die nötige Legitimation verlieh. So wird auf überraschende Weise deutlich, dass der Diktator und militärische Führer Hitler ohne sein reklamiertes Künstlertum nicht zu verstehen sind.

Siedler Verlag, 846 Seiten, € 39,99

Bedrich Loewenstein

Der Fortschrittsglaube

Europäisches Geschichtsdenken zwischen Utopie und Ideologie

Fortschritt, die Entwicklung hin zu einem Besseren, erscheint in der heutigen Wahrnehmung der westlichen Welt eine historische Tatsache zu sein. Tatsächlich aber ist dies eine Annahme, ein geschichtsphilosophisches Axiom. Im Kern entspringt diese Vorstellung der europäischen Aufklärung, und man muss gedanklich einen Schritt zurücktreten um zu erkennen, dass auch ganz andere Interpretationen historischer Verläufe denkbar sind und in anderen Kulturkreisen oder Epochen grundlegend waren oder sind. Bedrich Loewenstein geht der Idee des Fortschrittsglaubens, seinen Implikationen und Auswirkungen in seinem historischen Essay nach.

Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 520 Seiten, € 49,95

Michael J. Sandel

Moral und Politik

Gedanken zu einer gerechten Gesellschaft

Auf welche Weise können moralische Aspekte Einfluss auf die praktische Politik nehmen? Wie wertneutral dürfen sich Staat, Recht und Gesetz verhalten? Diese Fragen bilden den Hintergrund für Michael J. Sandels Betrachtungen zu gesellschaftlichen Streitpunkten - etwa zu den Themen Sterbehilfe, Abtreibung, Homosexuellenrechte oder Stammzellforschung. Auch die moralischen Herausforderungen der Marktwirtschaft, die die bürgerlichen Werte herabwürdigt, spricht er an. Sandel vermittelt dabei die Vision einer gerechten Gesellschaft. Er entwickelt einen staatsbürgerlichen Freiheitsbegriff, der es dem Einzelnen ermöglicht, seine eigenen Wertevorstellungen in die Gemeinschaft einzubringen. Aus dem Englischen von Helmut Reuter

Ullstein Verlag, 352 Seiten, € 22,00

Cord Aschenbrenner

Das evangelische Pfarrhaus

300 Jahre Glaube, Geist und Macht: Eine Familiengeschichte

Das evangelische Pfarrhaus war über Jahrhunderte ein seelisch-geistiger Fixpunkt der deutschen Geschichte. Seit Martin Luther ging von ihm eine ungeheure Wirkung aus: Aus dem Ideal des für alle offen stehenden, christlichen Hauses mit geistiger Ausstrahlung und kultureller Ansprache erwuchs ein bis heute lebendiger Mythos. Gotthold Ephraim Lessing, Friedrich Nietzsche, Gottfried Benn, Albert Schweitzer, Gudrun Ensslin, Klaus Harpprecht oder Angela Merkel - der prominenten evangelischen Pfarrerskinder gibt es viele. Cord Aschenbrenner erzählt die Geschichte des Pfarrhauses am Beispiel der deutsch-baltischen Pastorenfamilie von Hoerschelmann, die über neun Generationen hinweg geradezu idealtypisch das Wirken und Walten zwischen Glauben, Macht und bürgerlichem Leben verkörpert.

Siedler Verlag, 368 Seiten, € 24,99

Christian Bommarius

Der gute Deutsche

Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914

In der ruhmlosen deutschen Kolonialgeschichte dürfte das Kapitel über Kamerun eines der finstersten sein. Die unter fragwürdigen Begleitumständen ergaunerte Kolonie wurde in einträglicher Zusammenarbeit zwischen wilhelminischen Kolonialbeamten und ehrbaren Kaufleuten in ein Inferno für die versklavte Bevölkerung verwandelt. Einem Sohn des ehemaligen Königs wurde dennoch gestattet, in Deutschland Jura zu studieren. Als Prinz Manga Bell allerdings vom Gelernten Gebrauch machte und vor Gerichten gegen die deutschen Gräueltaten in seiner Heimat klagte, wurde er zu Beginn des ersten Weltkriegs des Hochverrats bezichtigt und in Windeseile aufgehängt. Christian Bommarius hat den Fall aufgerollt: Seine Geschichte eines Justizmordes ist zugleich eine Fallstudie über Rassismus, Gier und abgrundtiefe politische Dummheit.

Berenberg Verlag, 152 Seiten, € 20,00

Besondere Empfehlung des Monats Juni von Jörg-Dieter Kogel:

Immanuel Kant

Köche ohne Zunge

Notizen aus dem Nachlass

Auf dem Küchenzettel Immanuel Kants stand täglich Senf, eine Würze, die er zu jeder Speise liebte. Dass er auch zum literarischen Hauptgang die Pointenwürze nicht verschmäht hat, zeigt dieses Brevier. Zwar ist Kant kein Aphoristiker gewesen - er hätte es nie und nimmer bei einer Sammlung von zugespitzten und aus dem Augenblick geborenen Formulierungen seiner Gedanken bewenden lassen können -, auf Notizzetteln und an den Rändern seiner Lehrbücher aber hat der strenge Systematiker Aperçus aller Art festgehalten: Pikantes und Polemisches, Humorvolles und Tiefsinniges. So fielen neben der Kritik der reinen Vernunft wunderbare Gedankensplitter ab: Seufzer über die reine Unvernunft, Steine der Weisheit oder Ratschläge eines Menschenfreunds. Auswahl und Nachwort von Jens Kulenkampff

L.S.D. im Steidl-Verlag, 99 Seiten, € 14,80

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