Sachbücher des Monats: März 2014

Die Top Ten unter den Sachbüchern nebst einer persönlichen Empfehlung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Jeden Monat neu präsentiert von der Süddeutschen Zeitung, dem Norddeutschen Rundfunk, Buchjournal, Börsenblatt und Telepolis. (Die Jury )

Jürgen Kaube

Max Weber

Ein Leben zwischen den Epochen

Bereits als Dreizehnjähriger studiert er die Werke Machiavellis und Luthers, mit neunundzwanzig wird er Professor, er ist zeitweise glühender Nationalist und sieht sich als Gesellschaftstourist dennoch gern den American Way of Life an: Max Weber (1864-1920) gehört nicht nur zu den einflussreichsten Denkern der Moderne, sondern ist zugleich eine der schillerndsten, widersprüchlichsten Persönlichkeiten des deutschen Geisteslebens im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Er leidet an der zeittypischen "Nervenkrankheit", arbeitet wie besessen und vollendet dennoch kaum ein Buch; selbst sein Hauptwerk "Wirtschaft und Gesellschaft" erscheint erst posthum. Webers Bedeutung als Soziologe und Volkswirt, Historiker und Jurist ist unumstritten - seine Aufsätze haben Generationen von Akademikern und Politikern beeinflusst, weltweit -, aber was prägte ihn selbst, was trieb ihn an? Als Mensch ist Max Weber bis heute ein Geheimnis geblieben.

Rowohlt Berlin, 495 Seiten, € 26,95

John Cornwell

Die Beichte

Eine dunkle Geschichte

Die Beichte, das "Bußsakrament", dient der Vergebung der Sünden - das ist gläubigen Christen zu allen Zeiten gepredigt worden. In Wahrheit, so zeigt John Cornwell in seinem aufrüttelnden Buch, ist sie bis heute ein zentrales Unterdrückungsinstrument der katholischen Kirche geblieben. Nicht nur vermittelt sie schon Kindern die Welt als Sündenpfuhl - in ihrem Freiraum wurde systematischer Missbrauch überhaupt erst möglich. Als Papst Pius X. im Jahr 1905 das Mindestalter für die Beichte auf sieben Jahre herabsetzte, begann ein großes Menschenexperiment: Kinder wurden seitdem systematisch in Scham und Schrecken gehalten. Die Furcht vor Sünde, Fegefeuer und ewiger Verdammnis schuf bei Generationen von Gläubigen ein Lebensgefühl der Angst. Es war kein Zufall, dass manche dieser Sünden Formen von Ungehorsam gegenüber den kirchlichen Autoritäten umfassten. Vor allem aber hat die Beichte das Verhältnis vieler Gläubiger und katholischer Amtsträger zur Sexualität nachhaltig geprägt. Die Folgen sind bis heute spürbar - in einer Epoche von Säkularisierung und sexueller Befreiung haben gerade der Freiraum der Beichte und das Konzept der Sünde dem Missbrauch von Kindern Vorschub geleistet. John Cornwell zeigt, wie sehr die Beichte zum Repressionsinstrument geworden ist - und warum sie offiziell wieder mehr in den Mittelpunkt des Glaubens rücken soll. Übersetzt von Helmut Dierlamm und Enrico Heinemann

Berlin Verlag. 320 Seiten, € 22,99

Dietrich Schubert

Künstler im Trommelfeuer des Krieges 1914-18

Im Sommer 1914 brach ein europäischer Krieg aus, der wie ein Feuer um sich griff. Die Deutschen glaubten ihr Reich und Vaterland bedroht. Als Wilhelm II. Frankreich den Krieg erklärte und die Republik sich für einen opferreichen Verteidigungskampf rüstete, zog die Jugend beider Seiten in einen Krieg, dessen Ausmaße und Schrecken total unterschätzt wurden. Statt dass die zwei Kulturnationen sich im Sinne Nietzsches vereinten, rannten sie in einen Krieg mit modernsten Waffen, der zu einem massenhaften Sterben im stundenlangen Trommelfeuer führte, welches die Soldaten beider Seiten auszuhalten verpflichtet waren. Unter ihnen waren viele junge bildende Künstler, Dichter und Schriftsteller, die Generation der von 1885 bis 1890 Geborenen, die schon vor dem Krieg künstlerisch oder schriftstellerisch tätig waren, deren Erlebnisse, Schicksale und Ängste im vorliegenden Band zusammengeführt werden. Die kollagenhafte Gegenüberstellung der Werke dieser jungen Künstler und Literaten beider Seiten, geben Zeugnis von der Kriegswirklichkeit der Jahre 1914 bis 1918 an der Westfront in Frankreich, als noch keine Sieger und Besiegte feststanden.

Verlag das Wunderhorn, 560 Seiten, € 68,00

Thomas de Padova

Leibnitz, Newton und die Erfindung der Zeit

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts entfesseln Isaac Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz eine heftige Debatte, die bis heute von Mathematikern und Philosophen geführt wird: Was ist das, was wir "Zeit" nennen? Thomas de Padova zeichnet das Bild einer Epoche, in der die Zeit zum heiß diskutierten Gegenstand der Naturwissenschaften wird und Uhren anfangen, unseren Alltag zu bestimmen. Der Streit zwischen Isaac Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz weitet sich zu einer Staatsaffäre aus. Ihre maßgebende Diskussion über das Wesen der Zeit markiert die radikale Umwälzung des Zeitverständnisses in einer Epoche, in der die Genauigkeit mechanischer Uhren sprunghaft gestiegen ist: Erst jetzt können die Ziffernblätter Minuten und Sekunden differenzieren und der private Besitz von Uhren wird für das großstädtische Bürgertum zur Selbstverständlichkeit. Anhand der Lebensläufe von Leibniz und Newton rollt Thomas de Padova die Geschichte unseres Verständnisses von Zeit auf. Er zeigt, warum die Zeit an der Schwelle zum 18. Jahrhundert so allgegenwärtig und zugleich zu einem zentralen Thema der Wissenschaft wird. Kurz: warum die Neuzeit ihren Namen zu Recht trägt.

Piper Verlag, 352 Seiten, € 22,99

Ortwin Renn

Das Risikoparadox

Warum wir uns vor dem Falschen fürchten

Nahezu täglich bringen uns die Medien neue Hiobsbotschaften: steigende Kriminalität, Vogelgrippe oder Elektrosmog. Wird unser Leben nicht immer gefährlicher, unsicherer, risikoreicher? Ortwin Renn, der international anerkannte Risikoforscher und renommierte Technik- und Umweltsoziologe, sagt: nein. Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt beständig, in vielerlei Hinsicht geht es uns immer besser. Wie fürchten uns, so Renn, vor "falschen" Gefahren, verschließen aber die Augen vor Risiken, die uns und unsere Nachwelt erheblich bedrohen. Renn zeigt, welches diese sind, warum wir sie unterschätzen und wie wir im Sinne der Nachhaltigkeit verantwortungsvoll damit umgehen können.

S. Fischer Verlag, 608 Seiten, € 12,99

Wolfgang Manderthaner/Michael Hochedlinger

Untergang einer Welt

Der große Krieg 1914 - 1918 in Fotografien und Texten

Im Hochsommer 1914 erweiterte sich die Konfrontation der Habsburgermonarchie mit dem südslawischen Nationalismus zu einer globalen Auseinandersetzung von beispielloser Vernichtungskraft. Der erste tatsächlich moderne Massen- und Maschinenkrieg brach aus. Eine industrialisierte, anonyme Kriegsmaschinerie verwandelte ganze Landstriche und Regionen in gespenstisch-groteske killing fields und führte ein Millionen zählendes "Menschenmaterial" in den Tod. Die habsburgischen Autoritäten haben das Geschehen von Anbeginn an penibel dokumentiert und bedeutende Intellektuelle und Kulturschaffende in den Dienst der Kriegspropaganda gestellt. Das eigens eingerichtete "Kriegspressequartier" legte besonderes Augenmerk auf jene Medien, die für die Zwecke der Massenpropaganda am geeignetsten erschienen: Film und Fotografie. Der vorliegende Band präsentiert herausragende Beispiele aus der mehrere hunderttausend Bilder umfassenden Fotosammlung dieses Kriegsarchivs.

Brandstätter Verlag, 320 Seiten, € 39,90

Martin Meyer

Camus

Die Freiheit leben

Als Albert Camus 1913 in der Nähe von Algier zur Welt kam, deutete nichts darauf hin, dass er eines Tages von Frankreich aus das Lebensgefühl einer ganzen Generation prägen sollte. Seine Romane und Dramen, seine Essays zur Philosophie und zur Politik handeln von den großen Fragen der menschlichen Existenz: Freiheit, Schuld, Verantwortung. "Die Pest" und "Der Fremde", "Der Mythos des Sisyphos" und "Der Mensch in der Revolte" faszinieren daher ebenso heutige Leser. Für Martin Meyer ist Camus einer der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts überhaupt. Sein Buch erklärt Camus Werk und stellt es in den Zusammenhang seiner Zeit. Zum 100. Geburtstag gilt es Camus als großen Zeitgenossen zu entdecken.

Carl Hanser Verlag, 368 Seiten, € 24,90

David Harvey

Rebellische Städte

Dass Städte politische Räume sind, verrät bereits die Herkunft des Wortes Politik vom griechischen "polis". In Städten wird regiert und demonstriert, zuletzt in Kairo oder New York. In Städte wird aber auch investiert, Geld verwandelt sich in Häuser, in Wolkenkratzer und Vorortsiedlungen. Und schließlich ist Stadtplanung spätestens seit dem Umbau von Paris durch Georges-Eugènes Haussmann immer zugleich ein Instrument der politischen Kontrolle. All diesen Themen geht David Harvey in "Rebellische Städte" nach. Er befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen Hochhausboom und Wirtschaftskrise, mit dem rasanten Wachstum chinesischer Städte und erkundet das emanzipatorische Potenzial urbaner Protestbewegungen wie "Occupy Wall Street" und "Recht auf Stadt". Übersetzt von Yasemin Dincer

Suhrkamp Verlag (es 2675), 283 Seiten, € 18,00

Jaron Lanier

Wem gehört die Zukunft?

"Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt"

"Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt." Spätestens seit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden ist klar: Die "schöne neue Welt" nimmt Gestalt an, und es wird höchste Zeit, ihr etwas entgegenzusetzen. Internetpionier und Cyberguru Jaron Lanier liefert eine profunde Analyse der aktuellen Trends in der Netzwerkökonomie, die sich in Richtung Totalüberwachung und Ausbeutung der Massen bewegt. Übersetzt von Dagmar Mallett und Heike Schlatterer

Verlag Hoffmann und Campe, 480 Seiten, € 24,99

Bernhard Uhde

Warum sie glauben, was sie glauben

Weltreligionen für Andersgläubige und Nachdenkende

Konflikte rühren oft vom Nichtwissen. Noch öfter vom Nichtverstehen: Wie "ticken" die "anderen" wirklich? Was sind ihre inneren Antriebskräfte, ihre gedanklichen Prinzipien? Damit Debatten über kulturelle Unterschiede nicht mehr so schnell ins Leere laufen, stellt Bernhard Uhde die inneren Konzepte vor, die die innere spirituelle und kulturelle Dynamik der großen Weltreligionen ausmachen - und zwar so, wie sie sich für Anhänger dieser Religion darstellen. Eine neue Basis für den Dialog und das Zusammenleben.

Herder Verlag, 256 Seiten, € 16,99

Besondere Empfehlung des Monats März von Herfried Münkler:

Burcu Dogramaci/Friederike Weimar (Hg.)

Sie starben jung

Künstler, Dichter, Ideen und Ideale vor dem Ersten Weltkrieg

1. August 1914: der Erste Weltkrieg bricht aus. Auch zahlreiche Kreative ziehen auf die Schlachtfelder. Welche Gedanken begleiteten die jungen Männer, welche Ideen und Ideale prägten sie? Wie sah ihr Weltbild aus, das ihr Werk formte? Dieses Buch lenkt den Blick auf acht bemerkenswerte, in jungen Jahren gefallene Kunstschaffende. Während die gesellschaftlichen Zwänge des Kaiserreiches sie in Naturflucht, Mystizismus und Spiritualität getrieben hatten, erschien ihnen der Krieg wie ein "reinigendes Gewitter": Der Krieg suggerierte, mit den bisweilen verhassten Heimatorten auch tradierte gesellschaftliche Regeln hinter sich lassen zu können, aber auch dass sozialer Ausgleich geschaffen und künstlerische Kräfte geweckt würden. Auf den Schlachtfeldern ließen sich, so die Hoffnung, physische und psychische Grenzsituationen erleben die den Menschen und sein künstlerisches Werk bereichern und vertiefen sollten. Im Krieg ließ sich der ödipale Konflikt mit den französischen "Vätern der Moderne" austragen: War vielen vor 1914 Frankreich ein künstlerisches Vorbild, so wurde das Nachbarland nun zum Feind. Eine ganz neue Gesellschaft vergeistigt, gereinigt, spirituell gestärkt würde sich aus den Trümmern erheben. Mit diesen Gedanken malten sie ihre Bilder, schrieben sie ihre Texte, zogen sie in den Krieg und starben jung!

Gebr. Mann Verlag, 120 Seiten, € 24,90

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