Sachsen-Anhalt: Qual der Wahl in einem abgewickelten Land

Der Landtag von Sachsen-Anhalt auf dem Magdeburger Domplatz. Foto: Nick Smith / CC-BY-SA-2.0

Ob es am Sonntag bei der Landtagswahl ein "Kopf-an-Kopf-Rennen" zwischen CDU und AfD gibt, steht lauf Umfragen nicht fest. Ideenreich ist der Wahlkampf auch nicht

Hoffen und Bangen für die Christdemokraten in Sachsen-Anhalt und im Bund: Dem Ausgang der Landtagswahl am Sonntag wird "eine große psychologische Bedeutung" für die Bundestagswahl bescheinigt. Der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer sieht in der Wahl den ersten Testlauf für den neuen CDU-Vorsitzenden und Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Dem Handelsblatt sagte er, das Ergebnis könne Laschet Rückenwind geben, aber auch neue Probleme bescheren.

In Sachsen-Anhalt liefern sich CDU und AfD ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den ersten Platz. Laut einer Umfrage im Auftrag des Spiegel lag die CDU zuletzt bei 29 Prozent der Wählerstimmen, dicht gefolgt von der AfD mit 28 Prozent. Das ZDF-Politbarometer Extra sah einen deutlichen Vorsprung der Christdemokraten, die demnach auf 30 Prozent kommen könnten, die AfD dagegen "nur" auf 23 Prozent.

Die anderen Parteien liegen demnach wohl weit zurück in der Wählergunst. Das ZDF-Politbarometer sieht Die Linke mit 11,5 Prozent auf Platz drei, die Sozialdemokraten könnten zehn Prozent bekommen, die Grünen neun Prozent - und sogar die FDP könnte mit 6,5 Prozent nach zehn Jahren des Daseins als Randpartei wieder in den Landtag einziehen. Aber schon vor der Wahl scheint festzustehen: Die AfD wird nicht in die Landesregierung eintreten, ganz egal, wie viele Stimmen sie am Ende erhalten sollte. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat erneut jede Kooperation mit ihr abgelehnt. Und andere Parteien, die mit der AfD koalieren würden, dürften sich nicht finden lassen.

Grüne wollen "auf jeden Fall weiter regieren"

Gleichzeitig scheinen andere Konstellationen unter Ausschluss der CDU unwahrscheinlich zu sein, so dass Reiner Haseloff wieder zum Ministerpräsidenten gekürt werden dürfte. Sozialdemokraten und Grüne stehen schon Gewehr bei Fuß und bieten eine Fortsetzung der gemeinsamen Regierung unter Führung der CDU an. Cornelia Lüddemann, Spitzenkandidatin der Grünen erklärte jüngst: "Ich will auf jeden Fall weiterregieren". Und Katja Pähle, Spitzenkandidatin der Sozialdemokraten, hielt sich noch bedeckt, in welcher Konstellation die SPD mitregieren wolle. Wichtig ist ihr, dass sie mitregiert: "Wir wollen auch in der nächsten Landesregierung eine prägende Kraft sein". Aber auch die FDP spekuliert darauf, in der Gunst der Christdemokraten zu stehen und wieder neben ihnen auf der Regierungsbank Platz nehmen zu dürfen.

Eine erfolgreiche AfD ist für viele ein Graus, nun warnten auch Ökonomen vor einem starken Abschneiden der Partei. "Eine Stärkung der AfD dürfte Sachsen-Anhalt wirtschaftlich massiv schwächen und Perspektiven verschlechtern", sagte zum Beispiel Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung dem Handelsblatt. Unternehmen bräuchten gut qualifizierte Fachkräfte und ein Klima der Offenheit und Toleranz. Unternehmen würden nicht investieren, wenn junge Menschen abwanderten und die Gesellschaft zunehmend gespalten sei.

Zunehmender Bevölkerungsschwund

Damit trifft Fratzscher einen wunden Punkt: Seit der Wiedervereinigung Deutschlands hält kaum noch etwas die jüngere Generation in Sachsen-Anhalt. 1990 lebten hier fast drei Millionen Menschen (genauer: 2,965 Millionen). Seitdem sinkt die Bevölkerungszahl kontinuierlich - und eine Trendumkehr ist nicht zu erkennen. Das Statistische Landesamt Sachsen-Anhalt schätzt, dass 2030 weniger als zwei Millionen Menschen das Bundesland ihr Zuhause nennen werden.

Fratzscher attestierte Sachsen-Anhalt im Handelsblatt, im wirtschaftlichen Aufholprozess "vielversprechende Ansätze und Chancen gezeigt" zu haben. Erhalte die AfD aber weiteren Zulauf, könnte das Erreichte aufs Spiel gesetzt und der Region ein anhaltender Schaden zugefügt werden. Gleichwohl sieht er in einer erstarkten AfD nicht das eigentliche Problem, sondern nur das Symptom tieferliegender Probleme. Dem Handelsblatt sagte er weiter: Viele Regionen, in Ost und West, hätten dasselbe Problem: Junge Menschen und Unternehmen wanderten ab und gleichzeitig wachse in den Regionen die Unzufriedenheit und die politische Polarisierung. Deutschland habe ein zunehmendes wirtschaftliches und soziales Süd-Nord-Gefälle und die Politik scheine aber "nicht gewillt zu sein, diese regionale Polarisierung ernsthaft zu adressieren".

In Sachsen-Anhalt gibt es nur wenige wirtschaftliche Leuchttürme: Leuna, das Industriegebiet Bitterfeld-Wolfen, wo unter anderem der deutsche Chemieriese Bayer das Kopfschmerzmittel Aspirin produziert. Der größte Sekthersteller Deutschlands hat seine Zentrale in Freyburg: Rotkäppchen-Mumm. In Dessau-Roßlau werden Impfstoffe produziert - und außer der Kohle gibt es nicht mehr viel. Mit der Wiedervereinigung wurde hier wirtschaftlich viel Porzellan zerschlagen. Traditionsbetriebe wurden von der Treuhandanstalt abgewickelt.

Wie es weitergehen soll, davon wird nicht viel gesprochen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung spricht von einer gewissen Inhaltsleere im Wahlkampf. "Für viele Kandidaten scheint ihr Name Programm genug zu sein; wer sich doch an einer Vision versucht, appelliert ähnlich wie die AfD an das Heimatgefühl der Menschen oder will ‚Nazis stoppen‘", heißt es da. Gleichzeitig wird Hasseloff zum Bollwerk gegen die AfD verklärt.

"Reiner Haseloff steht für die demokratische Mitte", hatte Haseloff selbst kürzlich dem ZDF-Morgenmagazin gesagt. Das sei auch die Position der gesamten Landes-CDU. Es werde mit ihm weder in Richtung rechts gemeinsame Sache gemacht, noch nach links. Das war in den zurückliegenden Jahren aber nicht immer so: Im Sommer 2017 hatte die AfD-Fraktion eine Enquete-Kommission beantragt, um mutmaßliche Verbindungen von Parteien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu "Linksextremisten" zu untersuchen. SPD, Grüne und Linke lehnten den Antrag als Versuch ab, Andersdenkende auszuspähen und zu diskreditieren. Die CDU stimmte allerdings zu, angeblich um der AfD ihr Minderheitenrecht zu ermöglichen. In der Bundespartei sorgte diese Zusammenarbeit für Unstimmigkeiten, hatte man doch eine Zusammenarbeit mit der AfD bis dahin abgelehnt.

Wenig später trachtete die AfD danach, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Auch dieser sollte Parteien, Gewerkschaften und Vereine unter die Lupe nehmen. Wieder ging es um Verbindungen zu linksextremistischen Organisationen. Auch diesmal konnte sich die CDU nicht durchringen, den Antrag abzulehnen. Siegfried Borgwardt (CDU) hatte damals im Landtag gesagt, zum Rechtsstaat gehöre, die rechtsstaatlichen Prinzipien einzuhalten. Wieder unter dem Deckmantel des Minderheitenschutzes stimmte die CDU nicht dagegen, sondern enthielt sich der Stimme.

Die AfD rief darauf das Landesverfassungsgericht an - und das Urteil vom Dezember 2020 zeigt deutlich, wie wenig Rechtsstaat und Demokratie in dem Vorhaben steckte. So heißt es, die Gewaltenteilung werde nicht beachtet, der Untersuchungsausschuss solle "Aufgaben übernehmen, die originär der Verfassungsschutzbehörde des Landes zugewiesen sind". Der Ausschuss dürfe sich nicht an die Stelle der zuständigen Behörden setzen. Darüber hinaus würde durch den Ausschuss "zumindest potentiell auch Einflussnahme auf die Mitwirkung politischer Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes eröffnet". Weder Parteien noch Gewerkschaften, Vereine oder Bürger seien nicht gegenüber dem Parlament verantwortlich.

Die parlamentarische Inquisition privaten Verhaltens verstößt gegen elementare Prinzipien des Rechtsstaats. Der Bürger ist gegenüber dem Parlament nicht - auch nicht politisch - verantwortlich.



Urteil vom 8.12.2020 - LVG 34/19 Rn. 85

Das Gericht monierte auch den Untersuchungsgegenstand: Linksextremismus. Es schreibt:

In nahezu allen Punkten des von den Antragstellern formulierten Untersuchungsauftrages wird der "Linksextremismus" als Anknüpfungspunkt für Untersuchungen gewählt. Linksextremismus stellt aber keinen juristisch definierten Begriff dar. Der Begriff wird zwar von Behörden, Medien und Wissenschaft benutzt. In den Sozialwissenschaften sind Grenzen und Anwendung des Begriffs uneinheitlich. Der Begriffsbestandteil "Extremismus" ist dabei eine Fremdzuschreibung, die regelmäßig nicht von den betroffenen Personen geteilt wird. […] Die Bezeichnung "Linksextremismus" kann stark von der jeweiligen eigenen Verortung in der politischen Landschaft abhängig sein. Hieraus resultiert eine Uferlosigkeit des Untersuchungsgegenstandes […].

Nach dem Urteil hat der Landtag die Enquete-Kommission "Linksextremismus" auch wieder eingestampft. Die Parteien - außer der AfD - waren der Auffassung, auch die Enquete-Kommission verstoße damit gegen rechtsstaatliche Prinzipien.