Samtene Revolution in Georgien

Update: Die georgische Opposition hat am Samstag das Parlament gestürmt, heute trat Präsident Eduard Schewardnadse schließlich zurück

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es hat lange gegärt in Georgien, gestern ist es dann zum großen Knall gekommen: Bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments stürmen Anhänger der Opposition den Saal. Die Fernsehbilder zeigen einen sichtlich überraschten Staatspräsidenten, der, in seiner Eröffnungsrede unterbrochen, eilig von Leibwächtern fortgeschafft wird. Doch selbst mit dem Rücken zur Wand zeigt Eduard Schewardnadse noch seinen Machtwillen. Am Abend spricht er von einem Staatsstreich und kündigt den Ausnahmezustand an. Von Rücktritt ist keine Rede, der Präsident erklärt sich entschlossen, seine Amtszeit bis 2005 zu erfüllen. Den Aufrührern verspricht er Strafe und droht mit dem Einsatz des Militärs. Doch weder Polizei noch Militär leisten ihm noch Gehorsam.

Mittlerweile ist Schewardnadse zurückgetreten. Nachdem Protestierende damit gedroht haben, in sein Haus einzudringen, und viele Soldaten sich der Opposition angeschlossen haben, ist Oppositionsführer Michail Saakaschwili mit einem Ultimatum zu Schewardnadse gegangen und hat erreicht, dass er seinen Rücktritt schriftlich bestätigt hat. Der russische Außenminister Iwanow war als Mittler aufgetreten, wie Civil.ge berichtet. Damit ist die "samtene Revolution" in Georgien bislang ohne Blutvergießen erfolgreich gewesen.

.

Zehntausende demonstrierten heute vor dem Parlamentsgebäude, um die "samtene Revolution" zu unetrstützen

Es bleibt ruhig in der Hauptstadt Tbilissi. Oppositionsführer Michail Saakaschwili hat, in Anlehnung an die "samtene Revolution" 1989 in Prag - verkündet, dass auch in Georgien eine samtene Revolution stattgefunden habe und ruft seine Anhänger immer wieder zum Gewaltverzicht auf. Die TV-Bilder von geschätzten 25.000 Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude zeigen eine friedliche Menge, die den Rücktritt Schewardnadses fordert, dabei aber eher tanzt und nicht um sich schlägt. Der Regimewechsel scheint ohne gewaltvolle Auseinandersetzungen über die Bühne zu gehen.

Die Geschicke des Landes zieht, zumindest vorübergehend, eine Frau an sich: Die frühere Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse erklärt sich zur Interims-Staatschefin, die bis zu vorgezogenen Parlaments- und Präsidentenwahlen in 45 Tagen amtieren will. Und sie macht auch gleich klar, wohin ihrer Meinung nach der weitere politische Kurs des Landes gehen soll: nämlich in Richtung der USA und der Europäischen Union. Auch von Oppositionsführer Michail Saakaschwili weiß man, dass er dem Westen zugetan ist.

Weit entfernt von Demokratie und freier Marktwirtschaft

Obwohl noch unklar ist, wie die Situation ausgehen wird, steht doch fest, dass die Ära Schewardnadse zu Ende ist. Der "schlaue Fuchs", wie er gerne genannt wird, hat die Georgier zwar in die Unabhängigkeit von Russland geführt, von freier Marktwirtschaft und Demokratie ist das Land allerdings meilenweit entfernt, vielmehr herrscht seit zwölf Jahren eine Art Dauerkrise: Erst brach ein Bürgerkrieg aus, dann folgten zwei Sezessionskriege mit den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien. Beide Konflikte sind bis heute nicht gelöst. Wirtschaftlich steht das Land vor dem Bankrott, rund 80 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Korruption beherrscht alle Bereiche der Gesellschaft.

An der Spitze des Staates steht seit 1993 ein übermächtiger Präsident, dessen Verwandten und Günstlinge die wirtschaftlichen Ressourcen kontrollieren. Das Parlament dagegen ist schwach, und sein Ruf ist schlecht. Auch wegen seiner vielen ethnischen Minderheiten gilt das Land im Süden des Kaukasus als hochgradig instabil. Alle beteiligten Seiten tun gut daran, besonnen zu handeln und es nicht zu einer Eskalation der Situation kommen zu lassen wie 1991, als die großen Demonstrationen in einem Bürgerkrieg endeten.

Einen Krieg wünschen sich auch weder die USA noch Russland, die beide hochrangige Interessen in der Region verfolgen. Russland betrachtet die Kaukasusrepublik noch als seinen angestammten Machtbereich, aber auch die Amerikaner wollen dort weiter Fuß fassen. Schließlich sollen die wichtigsten Exportleitungen für kaspisches Öl und Gas über georgisches Gebiet verlaufen. Die Brisanz der Situation zeigt auch die Tatsache, dass der russische Außenminister Igor Iwanow - selbst georgischer Abstammung - schon Stunden später in der Hauptstadt Tbilissi eintraf, um zu "vermitteln". Sein amerikanischer Amtskollege Colin Powell hat ebenfalls eine baldige Reise in die Region angekündigt.

Der einzige, der sich überraschenderweise bislang noch nicht zur Sprache gemeldet hat, ist der ehrgeizige Provinzfürst Aslan Abaschidse, der immer wieder als möglicher Nachfolger Schewardnadses gehandelt wird. Der ehemalige KGB-Mann residiert in der Schwarzmeer-Region Adscharien und regiert dort wie ein König. Seit Jahren hat es dort keine demokratischen Wahlen gegeben und die Region leistet keine Zahlungen in den Staatshaushalt. In den vergangenen Wochen war er immer wieder auf Reisen, im Nachbarland Aserbaidschan und auch in Russland, was vielen als ein Anzeichen für eine baldige Ablösung Schewardnadses galt.

In den kommenden Tagen wird sich das weitere Schicksal Georgiens entscheiden. Was auch immer es bringen wird, um Eduard Schewardnadse muss man sich keine Sorgen machen. Er hat für sich und seinen Clan gut vorgesorgt: Nach Medienberichten besitzt er im Ausland so manches warme Plätzchen, unter anderem auch eine ansehnliche Villa in Baden-Baden.