Sanktionen sind stumpfe Instrumente

Warum internationale Sanktionen selten die erwünschte Wirkung erzielen

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Der jüngste Versuch, kriminelle, korrupte oder einfach nur missliebige Politiker mit Hilfe von Sanktionen wieder auf den Kurs der westlichen Welt zu bringen, liegt erst wenige Tage zurück. Laurent Gbagbo, dem abgewählten Präsidenten der Elfenbeinküste, drohten sowohl die Europäische Union als auch die Vereinigten Staaten mit einschneidenden Konsequenzen, sollte er sein Amt nicht an Alassane Ouattara übergeben, der bei der Stichwahl am 28. November 54 Prozent der Stimmen errungen hatte.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sah durch den Umstand, dass beide Konkurrenten einen Amtseid abgelegt und jeweils ein Kabinett ernannt hatten, nicht nur bei den Ivorern, sondern in weiteren Teilen Westafrikas "Stabilität und Frieden" bedroht. Die neue EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton erklärte sich deshalb bereit, notfalls "in Richtung Sanktionen voranzugehen".

Sollte der nominelle Wahlverlierer nicht nachgeben, hat die EU verschiedene Möglichkeiten, die von einer Kürzung der Finanzhilfen über das Einfrieren von Konten bis zu Visabeschränkungen reichen. Auch in den USA war bereits von Reiseverboten für Laurent Gbagbo, seine Familie und politischen Mitstreitern die Rede. Überdies drohte das amerikanische Außenministerium mit wirtschaftlichen Konsequenzen, denn schließlich hatte sich Präsident Barack Obama ebenfalls unmissverständlich auf die Seite Ouattaras gestellt.

In diesem speziellen Fall stand "der Westen" mit seiner Einschätzung nicht einmal allein dar. Auch die Afrikanische Union und die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS setzten die Mitgliedschaft der Elfenbeinküste vorerst aus. Die Union lehnt Sanktionen gegen das Land allerdings ausdrücklich ab.

Geringe Effekte

Allein in den 90er Jahren wurden über 50 Sanktionen gegen Länder verhängt, die zur Einhaltung der Menschenrechte, zur Beendigung von Bürgerkriegen oder zum Verzicht auf die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen gedrängt werden sollten. In den vergangenen Jahren kamen diplomatische, wirtschaftliche, finanzielle oder militärische Maßnahmen gegen Iran, Irak, Nordkorea, Sudan, Kongo, Liberia, Libanon oder Eritrea dazu, doch der Erfolg hielt sich zumeist in überschaubaren Grenzen.

Eine aktuelle Untersuchung des "German Institute of Global and Area Studies" (GIGA) bemüht in diesem Zusammenhang das Prädikat "wirkungslos" – trotz vereinzelter Erfolgserlebnisse (Südafrika, Libyen).

Der Iran ist – nicht nur nach Ansicht der GIGA-Forscher - das prominenteste Beispiel für die These, dass Sanktionen wirtschaftliche Abläufe zwar empfindlich stören können, aber nur selten eine Änderung des politischen Verhaltens bewirken und darüber hinaus kaum geeignet sind, einen Regimewechsel im Sinne der Urheber herbeizuführen.

Doch auch Kuba, Myanmar und Nordkorea ließen sich von "umfassenden" oder "zielgerichteten" Maßnahmen bislang nicht ernsthaft beeindrucken. Gleiches gilt für Belarus, wenn man Andrei Giro, dem Botschafter der Weißrussen, glauben mag.

Es (ist, Erg. d. Red.) uns trotz der EU-Sanktionen gelungen, unsere Handelsbilanz auszugleichen. Trotz der Kontaktsperre, trotz der Wirtschaftssanktionen konnten wir den europäischen Markt ausbauen. Da frage ich: Wie würde unsere Bilanz erst aussehen, wenn es keine Sanktionen gegeben hätte?

Andrei Giro

Seyyed Mohammad Dschahromi, Geschäftsführer der Bank Saderat Iran, ging Anfang November noch einen Schritt weiter:

Die Verhängung von Sanktionen gegen Iran schadet zunächst den Ländern, die die Sanktionen verhängen wie den USA. Die Sanktionen gegen Iran führen langfristig dazu, dass Iran auf den meisten Gebieten die Autarkie erreicht.

Seyyed Mohammad Dschahromi

Nach Ansicht der GIGA-Autoren Matthias Basedau, Clara Portela und Christian von Soest sind die Gründe für die insgesamt ernüchternde Bilanz zum Teil simpelster Natur. Viele Länder können auf strategische Rohstoffe zurückgreifen und suchen sich Handels- und Bündnispartner jenseits der Sanktions-Urheber. China und Russland bieten sich hier immer wieder als Alternativen an, aber die Beispiele Brasilien und Türkei, die im vergangenen Sommer gegen die die Verschärfung der Iran-Sanktionen stimmten, zeigen deutlich, dass von einer einheitlichen Willensbildung der vermeintlichen Weltgemeinschaft keine Rede sein kann.

Die Mehrheit der angedrohten, beschlossenen oder umgesetzten Strafmaßnahmen basiert auf historischen Kräfteverhältnissen, die längst dabei sind, sich entscheidend zu verändern.

Die Tatsache, dass die USA und die EU als die bedeutendsten Urheber von Sanktionen gelten, bildet die bisherige, seit dem Kalten Krieg gültige, vom Westen dominierte Weltordnung ab. Westliche Staaten versuchen in der Regel darüber hinaus, durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen geschlossene Sanktionsfronten der Staatengemeinschaft gegen bestimmte Länder und nichtstaatliche Akteure – wie al-Qaida – zu organisieren.

GIGA-Studie

Mit dem Aufkommen neuer Regionalmächte werde die "Multipolarität der Weltpolitik" weiter zunehmen und sich mit den "westlichen Zielsetzungen" immer weniger in Einklang bringen lassen, prophezeien die Autoren, die in ihrer Analyse sogar einen wesentlichen Faktor unberücksichtigt lassen. Schließlich trug auch die freie Wirtschaft durch die planmäßige Umgehung internationaler Bestimmungen regelmäßig dazu bei, Sanktionen zur Wirkungslosigkeit zu verurteilen.

Die "Wagenburg-Mentalität"

Neben diesen weitgehend bekannten Faktoren diagnostizieren die Forscher einen Bereich, der nach ihrer Einschätzung in Politik und Wissenschaft bislang zu selten betrachtet und in die Überlegungen einbezogen wird. Autoritäre Regime – und Einparteiensysteme noch stärker als Militärdiktaturen – seien erstaunlich resistent gegen die versuchte Einflussnahme von außen. Mehr noch: Staatsführern wie Mahmud Ahmadinedschad, Fidel Castro oder Robert Mugabe sei es immer wieder gelungen, einen Teil ihrer Bevölkerung mit nationalistischen und antikolonialistischen Kampagnen zur Solidarität zu bewegen, sodass Sanktionen, deren Wirkung von den Absendern oft überschätzt wurde, nachgerade kontraproduktiv wirkten.

Diese "Wagenburg-Mentalität" wurde in allen drei Fällen durch die lebhafte und vom Regime zielgerichtet aufgefrischte Erinnerung an frühere politische und militärische Interventionen begünstigt. Nun half Fidel Castro der Umstand, dass die USA einst Diktator Fulgencio Batista unterstützten. Die Heardliner im Iran profitierten von der "Operation Ajax", die mit ausdrücklicher Genehmigung des US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower und des britischen Premiers Winston Churchill den iranischen Premierminister Mohammad Mossadegh durch Fazlollah Zahedi ersetzen sollte.

Robert Mugabe, seit 1987 Präsident von Zimbabwe und seit einigen Tagen prominentes Wikileaks-"Opfer", schwor die Seinen immer wieder auf den verbalen und ideologischen Kampf gegen die ehemalige Kolonialmacht ein.

Nieder mit den Briten, nieder mit den Dieben, die unser Land stehlen wollen. Die Briten sagen, es gebe keine Demokratie in unserem Land. Dabei haben wir die Demokratie in Zimbabwe eingeführt.

Robert Mugabe

Basedau, Portela und von Soest führen in diesem Zusammenhang das zweifellos zentrale Argument der mangelnden Glaubwürdigkeit an. Wenn Länder, in denen die Menschenrechte eine ähnlich geringe Rolle spielen wie in den vermeintlichen "Schurkenstaaten", die sich auf einer virtuellen "Achse des Bösen" tummeln, aus strategischen Gründen von Sanktionen verschont bleiben, ergibt sich ein kontinuierliches Legitimationsproblem. Dieses wird durch emigrierte Lobbygruppen mitunter noch verstärkt.

Sanktionen werden verhängt, weil innenpolitisch wirkungsmächtig agierende Interessen- und Lobbygruppen zufrieden gestellt werden müssen. So führt man die US-Sanktionen gegen Myanmar nicht zuletzt auf das Wirken einer burmesischen Exillobby zurück. Auch die Kuba-Politik der USA sieht sich einem starken Druck der kubanischen Diaspora und ihrer Verbündeten – vor allem bei den Republikanern – ausgesetzt.

GIGA-Studie

Davon abgesehen werden sich die sanktionierten Staaten fragen, wie es ihre Gegenspieler selbst mit der Einhaltung von Menschenrechten oder der Produktion und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen halten. So interpretiert der Politikwissenschaftler Mohssen Massarrat den iranischen Atomkonflikt nicht nur als Ausdruck eines nationalen Fehlverhaltens, sondern als Ergebnis einer strukturellen Fehlentwicklung in der Region und außerdem als allgemeingültigen "Beweis für die Untrennbarkeit der friedlichen von der militärischen Nutzung der Atomtechnik".

Dass man angesichts der autoritären Machtstrukturen im Iran auch zu anderen Schlussfolgerungen gelangen und die Erfolgsaussichten von internationalen Sanktionen entsprechend positiver beurteilen kann (Hinter den Kulissen der Teheraner Nuklear-Vereinbarung), liegt in der komplexen Natur der länderspezifischen Entwicklungen und einer multipolaren Weltpolitik.

Alternativen

"Über 40 Jahre Sanktionsforschung haben noch keine schlüssigen, generellen Erkenntnisse darüber erbracht, wann und wie die Sanktionen wirken", heißt es in der GIGA-Studie. Das ist umso bedenklicher als sich die politischen Konstellationen in einem Tempo ändern, mit dem die wissenschaftliche Analyse offenbar nicht Schritt halten kann.

Die Autoren sehen Sanktionen gleichwohl als ein "sinnvolles Instrument der Außenpolitik" an. Weil es schlicht und ergreifend an Alternativen fehlt. Den Urhebern blieben nur Interventionen, meist militärischer Art, oder Kooperationsangebote ("Wandel durch Annäherung"). Diese Varianten kämen einerseits nur als ultima ratio in Frage und brächten anderseits die Gefahr einer jahrelangen, von Nordkorea in annähernder Perfektion vorgeführten Hinhaltetaktik mit sich. Aber stimmt überhaupt das Bedrohungsszenario, das der westlichen Welt permanent vorschwebt? Günter Wallraff, der sich als "Hans Esser" aufmachte, die Welt über die "Bild"-Zeitung aufzuklären, forderte am vergangenen Freitag in einem Interview mit der einst ungeliebten Springer-Presse, endlich das alte Lagerdenken zu überwinden. Und gab dann folgende Sätze zu Protokoll:

Der Iran ist immer noch die zur Zeit größte Bedrohung der Weltgemeinschaft. Das haben ja auch jetzt die Wikileaks-Enthüllungen gezeigt. Leider ist es wahrscheinlich schädlich, dass das publik wurde, was da an Bemühungen hinter den Kulissen lief, das Regime zu schwächen. Wenn dieser Ahmadinedschad, der an die Rückkehr des Mahdis glaubt und sich am Ende selbst als Vollstrecker sieht - wenn der im Besitz der Atombombe ist, und er steht ja kurz davor, dann ist mit allem zu rechnen.

Günter Wallraff

Qualitätsfragen

Die Qualität von internationalen Sanktionen wird in der GIGA-Untersuchung erstaunlicherweise nicht näher klassifiziert und überhaupt nur am Rande thematisiert. Dabei müssten sich entscheidende Aufschlüsse aus der Beantwortung der Frage gewinnen lassen, warum bestimmte Maßnahmen, die das südafrikanische Apartheid-Regime nachhaltig beeinträchtigten, im Irak, im Iran oder in Nordkorea weitgehend wirkungslos blieben.

Noch entscheidender wäre es, präzise Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche Initiativen vorwiegend oder ausschließend der Zivilbevölkerung eines sanktionierten Landes schaden und keinerlei Einfluss auf die Handlungsweise eines autoritären Regimes haben. Dem abschließenden Plädoyer der Studie ist insofern wenig hinzuzufügen.

Diese (Regierungen, Erg. d. Red.) sollten jedoch genau abwägen, wann sie Sanktionen einsetzen, wie sie diese konzipieren und insbesondere die Bedingungen berücksichtigen, die ihren Erfolg beeinflussen. Die Wissenschaft bleibt aufgerufen, die Erfolgsbedingungen von Sanktionen zu identifizieren.

GIGA-Studie