Saudi-Arabien: Riskantes Spiel mit Islamisten

Mekka. Foto: Ctba; Lizenz: CC BY-SA 3.0

Das Königshaus stuft die Muslimbrüder als terroristische Vereinigung ein und riskiert damit die Erosion einer Pufferzone gegen radikalere Strömungen und Dschihadisten

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Die moralische Unterstützung reicht schon oder die Weitergabe einer Aussage. Auch könnte die Polizei Artikel 4 des königlichen Dekrets ausnutzen und ein "Symbol", ein Logo, eine Zeichnung irgendwo in den Habseligkeiten des Verdächtigen platzieren. Lässt sich daraus eine Verbindung zu einem intellektuellen oder religiösen "Trend" oder einer Gruppe herstellen, die im In- oder im Ausland als "terroristisch" eingestuft wird, so schnappt wenig später die Tür einer gewiss nicht angenehmen Bleibe ins Schloss und geht mindestens drei, möglicherweise zwanzig Jahre lang nicht mehr richtig auf - man muss kein Experte sein, um auf den ersten Blick den Spielraum zu erkennen, welche die königlichen Dekrete in Saudi-Arabien der Exekutive in die Hand geben, um politische Gegner kaltzustellen.

Die drastischen Maßnahmen wurden am 4. Februar bekannt gegeben. Man wusste, dass die Muslimbrüder gemeint waren und dass dies mit den Entwicklungen in Ägypten in Zusammenhang stand. Anfang März veröffentlichte das saudi-arabische Innenministerium eine Liste der terroristischen Vereinigungen, die auf jeden Fall unter die erwähnten Regelungen fallen: die Muslimbrüder, die syrischen Dschihadisten, die mit al-Qaida verbunden sind, Jabath al-Nusra und ISIL (Islamischer Staat im Irak und in der Levante).

Auf der "sehr langen" Liste (Kristin Diwan) sind aber auch kleinere Gruppen aufgeführt wie die schiitischen Houthis, die vorwiegend im Jemen operieren, und Ansar Allah, die im Gazastreifen zu Hause ist.

Auch die Hamas steht theoretisch durch ihre engen Verbindungen zu den Muslimbrüdern auch auf der Liste, was manche Magazine wie Frontpage denn auch als Fakt verkündeten. Hamas-Führer Ismail Haniyeh fragte vorsichtshalber beim saudi-arabischen Außenminister Saud al-Faisal nach, wie die in Washinton, DC ansässige arabischen Zeitung al-Monitor berichtet.

Anscheinend gibt es demnach noch eine versöhnliche Verbindung zwischen Saudi-Arabien und dem Hamas-Führer, allerdings zu den Konditionen, die in Riad bestimmt werden, und zu einem Loyalitätspreis aus Sicht der Hamas: Haniyeh ließ gegenüber den saudischen Herrschern die Muslimbrüder in Ägypten fallen.

Solche Distanzierungen dürften nicht nur Haniyeh Unmut in Hamas-Gruppierungen eintragen, die Strategie der saudi-arabischen Führung könnte auch innerhalb des Landes Spannungen anheizen.

Mit Ägypten gegen die MB

Außenpolitisch ist damit ein enges Verhältnis mit Ägyptens Militärführung weiter gefestigt, das zuvor schon mit größeren Geldtransfers oder zumindest mit einem Milliarden-Dollar-Versprechen unterlegt wurde. Zugleich jedoch führte der Streit über die Muslimbrüder zu einem Zerwürfnis zwischen Saudi-Arabien und Katar, das auch auf den syrischen Krieg Auswirkungen hat.

Katar unterstützt dort zusammen mit der Türkei salafistische Milizen mit Verbindungen zu den Muslimbrüdern. Möglicherweise wächst dieser Streit auch im Golf-Kooperationsrat (GCC) zum Spaltpilz heran.

Aber vor allem innenpolitisch könnte die Kampfansage gegen die Muslimbrüder, die auch in der saudischen Gesellschaft über mit ihnen verbundenen Gruppierungen seit mehreren Jahrzehnten gut verankert sind, Konflikte verstärken.

Bislang wusste man die "Islamisten" auf Seiten der Herrscher. Sie galten als Pufferzone, auf die das Haus Saud zählte, als es darum ging, mit aller Härte auf Anschläge der al-Qaida-Dschihadisten im letzten Jahrzehnt zu reagieren (vgl. Nightmare on Ethyl Street). Die Trennung zwischen Terroristen und den wahrhaft und rechtschaffenen Religiösen war da einfach zu ziehen und verständlich zu machen.

Bei den Muslimbrüdern und ihren vielen Affiliationen ist das nicht mehr mit dieser Trennschärfe möglich. Damit wird das politische Moment solcher Dekrete umso deutlicher, die machtpolitische Motivation, das Willkürliche. In einer Zeit der wirtschaftlichen und politischen Krisen in der Region ist dies nicht ohne Risiko.