Saudis rein!

Das große außenpolitische Ziel Deutschlands ist in Gefahr

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Deutschland nach der Wahl ist Deutschland vor der Wahl: Arbeitslosigkeit, Binnennachfrage, Rentenreform, Steuerreform, Gesundheitsreform, Lohnnebenkosten-Debatte, Kündigungsschutzdebatte, Elterngeld-Debatte und vielleicht auch wieder das Dosenpfand. Die Zeit drängt, wir brauchen neue frische Impulse, sonst verlieren wir das "große Spiel".

Jeder der Freunde, die jetzt aus einem anderen Land zurückkommen, ärgert sich über den Ernüchterungsschock in Deutschland - "Keine leuchtenden Farben, blasse Gesichter, dauernde Klagen, keine Lust am Leben, ach" - , und freut sich gleichwohl über die schlecht gelaunten, neidischen Daheimbebliebenen, die sich im netten, behaglichen Alltagstrott seit eh und je treu bleiben; für viele Männer zählt der Abend am Tresen, das Bier und die Fussballergebnisse. Auch daran wird sich unter Merkel nichts ändern.

Es gibt allerdings Stimmen, die unzufrieden sind, mit der deutschen Vernunftmeierei, den Kneipenabenden, den politischen Diskussionen, mit der dauernden Einengung der Gedanken auf das Deutschmögliche. "Wo ist der liebe Gott?", fragte einst noch der Komantsche in einem Film des "Anarchisten" Achternbusch, der mit seinen Filmen das lebenswerte Unvernünftige beschwor, und der Komantsche suchte unter dem Tisch herum, wie zwei Dekaden später der Witz begabte amerikanische Präsident Bush, der in einer Fernsehshow die Suche nach Massenvernichtungswaffen im Irak unter dem Tisch des Talk-Show-Masters mit großem komödiantischen Talent nachstellte. Wie verbiestert die Liberalen, die solch spontane Geistesgegenwart und Situationswitzbegabung zum Anlass nahmen, mit Präsidentschaftstauglichkeitsargumenten zu kontern... Eine Merkel, die bei Kerner unterm Tisch nach außenpolitischen Zielvorgaben suchte, würde Authentizität demonstrieren und zugleich Selbstironie auf einem für deutsche Maßstäbe sehr hohem Niveau.

Doch wo ist er nun, der liebe Gott der Phantasie, und wo sind die Anarchisten, die das vernunftgeplagte Deutschland so nötig hätte? Wo ist die Unvernunft, die das Leben erst erfüllt und glücklich macht, wie Kinder in den Visionen des CDU-Visionärs Kirchhof? Die richtige Antwort lautet: in Saudi-Arabien. Dort gibt es nicht nur reiche Öl-Ressourcen, sondern ein intellektuelles, kreatives, mit allen Reformwassern gewaschenes, sophistisch geschultes Anarcho-Potential, das noch lange nicht ausgeschöpft ist. Die Deutschen sollten allerdings schnell handeln und sich, statt wie vor einigen Jahren Inder, saudische Geistliche, die ihren Abschluss an einer der vielen theologischen Fakultäten im wahabitischen Königreich gemacht haben und zur Arbeitslosigkeit in Saudi-Arabien verdammt sind, ins Land holen. Sonst droht nicht nur die Gefahr der kreativen Verarmung in Deutschland sondern vor allem die Gefährdung des wichtigsten außenpolitischen Ziels der nächsten Legislaturperiode: der Gewinn der Fußballweltmeisterschaft!

Und ganz nebenbei würde man mit der Anstellung tausender saudi-arabischer Theologiestudenten (natürlich mit Abschluss) und Kleriker mit einiger Fatwa-Praxis-Erfahrung in den Marketingabteilungen und den sonstigen für Firmenphilosophie und -strategie zuständigen Bereichen hiesiger Unternehmen einen deutschmöglichen, pazifistischen Beitrag zum War on Terror liefern. Häh?

Erstens: Niemand auf der ganzen Welt lässt sich Gewitzteres und Ausgefalleneres einfallen, um die Menschen vom langweiligen Pfad der alltäglichen Vernunft abzubringen wie saudische Kleriker, die Fatwas erlassen. (Beispiele für die noch Nicht-Überzeugten hier und dort und Der Satan im Taschentelefon). Die echten Querdenker leben in der großen geistfördernden Wüste zwischen Jeddah und Riad.

Doch aus Taif, unweit von Jeddah, erreicht uns eine Nachricht, die letzte Woche von der saudischen Zeitung al-Watan ("Vaterland") in Umlauf gesetzt wurde und Konsequenzen für unser Fußball-Vaterland haben wird - sollten Fatwas die Wirkung haben, wie es westliche Medien gerne unterstellen. In Taif hat nämlich ein Islam gelehrter Scheich eine Fatwa erlassen, wonach Fußballspielen mit den Gesetzen des Islam unvereinbar ist, verboten, eine Sünde!

Selbstverständlich stellt sich auch dieser auf den ersten Blick regressive und repressive Geist bei näherem Hinsehen als sehr kreativ heraus und wartet gleich mit einer ganzen Reihe neuer Regeln auf, um das Fußballspiel vom Regeldiktat der Ungläubigen zu befreien: Schlafanzüge statt Trikots mit den Ziffern der Ungläubigen, drei Halbzeiten (aus Widerstand gegen die Festlegungen der "Infidels"), Spucken ins Gesicht des Torschützen, "weil der Sinn des Spieles in der körperlichen Fitness besteht, nicht in der Freude am Toreschießen", das Verbot von Worten wie "Foul", "Strafstoß" und "Aus", weil diese Worte aus dem Vokabular Ungläubiger stammen, und schließlich das Verbot einer Zuschauermenge, die das Spiel bejubelt.

Die ortsansässige Fußball-Mannschaft "Al-Rasheed" war von den Ausführungen des Scheichs überzeugt und hörte sofort mit dem Sünden beladenen Ballspiel auf. Drei Spieler haben sich nach Presse-Informationen, wie Arab News und der Blogger The Religious Policeman gleichermaßen berichten, dem Dschihad im Irak angeschlossen.

Sollte dies Schule machen im magischen Königreich, wer bitte sorgt dann für den nötigen Kantersieg im Auftaktspiel der deutschen Mannschaft bei der nächsten WM? Gegen welche Mannschaft kann man sonst die Mut einflößenden sieben Tore machen, die es braucht, um diesmal das ganz große Ziel zu erreichen?

Fragen, deren Antwort weder Klinsi noch Merkel kennt und Kirchof schon gar nicht, aber vielleicht der Imam.